Novelle Apothekengesetz: Der falsche Weg

10.11.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die ärztliche Versorgung müsse gesichert, nicht erodiert werden. Der kolportierte Entwurf zur Reform des Apothekengesetzes zeige, dass die Gesundheitsversorgung in Österreich falsch abzweigt, kritisiert die Österreichische Ärztekammer.

Sophie Niedenzu

Einfache Gesundheitstests in der Apotheke: das soll in Zukunft per Gesetz möglich sein. Denn laut einem jüngsten Entwurf des Apothekengesetzes, der in Begutachtung geschickt worden ist, sollen Apotheken künftig Medikationsanalysen und einfache Gesundheitstests wie zum Beispiel Blutdruck- oder Blutzucker-messungen, aber auch Analysen von Harnproben und anderen körpereigenen Stoffen, sowie Venenmessungen durchführen. Zudem soll die Einrichtung von ausgelagerten Abgabestellen und Filialapotheken erleichtert und die Öffnungszeiten ausgedehnt werden. „Anstatt die wohnortnahe, ärztliche Versorgung tatsächlich zu stärken, soll also nun vieles an die Apotheken ausgelagert werden“, kritisiert Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer: „Das ist aber der falsche Weg, ein Pharmazeut ist kein Arzt, der seine Patienten nun einmal am besten kennt und daher bestens versorgen kann“, betont der ÖÄK-Präsident. „Alleine diese Gesundheitstests durch nicht-ärztliches Personal als Verbesserung für die wohnortnahe Versorgung zu bezeichnen, ist entlarvend“, sagt Steinhart. Als positiv beurteilt er die geplante Ausweitung der Apotheken-Öffnungszeiten: „Das ist ein Schritt in die Richtung besserer Serviceleistungen.“

Ausbau, nicht Umbau

„Die Entlastung des niedergelassenen Bereichs erfolgt nicht über die vermeintliche Kompetenzerweiterung bei Apotheken, sondern über den Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung im niedergelassenen Bereich, der bis heute offenbar ein bloßes Lippenbekenntnis ist“, kritisiert Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Die Kompetenzerweiterung in Apotheken sei in vielen Punkten zu hinterfragen. So sei eine Medikationsanalyse in der Apotheke aus ärztlicher Sicht wenig sinnvoll. Zwar würden Pharmazeuten in ihrem Studium lernen, wie man Medikamente herstellt, wie sie wirken und welche Nebenwirkungen sie besitzen. Das allein genüge aber nicht, betont Wutscher: „Denn für die Bewertung der Kontraindikationen ist die Information notwendig, welche für die Medikation relevanten Erkrankungen und Konstellationen beim Patienten vorliegen – und über diese weiß nun mal der behandelnde Arzt am besten Bescheid“, sagt er. Blutwerte, die Patientengeschichte, mögliche sensible medizinische Informationen wie psychische Probleme – der Arzt des Vertrauens habe hier auch das umfassendste Bild über den Patienten: „Gerade sensible medizinische Probleme werden wohl eher in der Ordination bei einem behandelnden Arzt als in einer Apotheke besprochen“, sagt Wutscher. Damit können aber Apotheker beispielsweise Wechselwirkungen zwischen Antidepressiva oder Potenzmitteln und Antibiotika nicht in vollem Umfang beurteilen, weil ihnen dafür sensible Informationen fehlen. Es stelle sich auch die Frage nach der Verschwiegenheit in den Apotheken.

Viele offene Fragen

Grundsätzlich würden die Untersuchungen in Apotheken viele Fragen aufwerfen, betont Wutscher. Etwa die Frage, was bei positiven Testergebnissen in Apotheken die Konsequenz sei, wie die Beratung aussehe, inwiefern es zu einer Verunsicherung bei den Patienten komme. Entscheidend aber die Frage, wie die Dokumentation erfolgt, wie Ärzte auf die Informationen aus den Apotheken zugreifen könnten. Zudem sei unklar, wie der Datenschutz und die Qualitätskontrolle sichergestellt würden: „In jeder Ordination haben wir eine Qualitätskontrolle, sowohl intern als auch extern. Wie wollen das die Apotheker sicherstellen?“, sagt Wutscher. Weitere Fragen seien die Frage nach Motivation und Ziel einer Blutfettanalyse in der Apotheke: „Was ist die Konsequenz aus den Ergebnissen?“, fragt sich Wutscher. Letztendlich würden diese Kompetenzerweiterungen nur zur Verunsicherung führen. „Diese Novelle ist also alles, nur keine Entlastung des niedergelassenen Bereichs“, sagt er. Eine tatsächliche Entlastung sei nur durch den Ausbau der ärztlichen Versorgung sichergestellt: „Mit diesem politischen Stil, ärztliche Leistungen, womöglich ohne Qualitätskontrolle, einfach auslagern zu wollen und das Problem mit dem Kassenärztemangel nicht direkt bei der Wurzel zu packen, ist fatal für die Gesundheitsversorgung“, warnt Wutscher. Es sei außerdem irritierend, dass es keine Kommunikation zu Reformüberlegungen gegenüber der Ärzteschaft gebe: „Beim gemeinsamen Ziel, die öffentliche Gesundheitsversorgung zu stärken, sollte eigentlich klar sein, dass wir Ärzte als unmittelbar Betroffene bei entsprechenden Gesprächen und Überlegungen mit an Bord sind, letztendlich sind wir Experten“, sagt Wutscher.

Ärztliche Hausapotheken

Dass die Novelle des Apothekengesetzes als Entlastung der Ärzte angepriesen werde, sei für ihn weder fachlich noch empathisch nachvollziehbar, kritisiert Silvester Hutgrabner, Leiter des ÖÄK-Referats für Hausapotheken und Medikamenten-angelegenheiten: „Diese Novelle richtet sich ganz klar auch gegen die Bevölkerung, weil es zu einer dramatischen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung kommen wird.“ Besonders kritisch sei, dass es durch die Novelle zukünftig leichter werde, Filialapotheken zu führen. Es sei zu befürchten, dass damit die Anzahl der ärztlichen Hausapotheken weiter sinken wird, warnt Hutgrabner: „Ärztliche Hausapotheken spielen im ländlichen Raum eine wesentliche Rolle, denn sie garantieren eine tatsächliche wohnortnahe Versorgung.“ Einseitige Erweiterungen der Geschäftstätigkeit durch Filialapotheken und ausgedehnte Geschäftszeiten dürften nicht zu Lasten der ärztlichen Hausapotheken und somit der medizinischen Versorgung der tatsächlich ortsansässigen Bevölkerung gehen. Eine Verdrängung ärztlicher Hausapotheken führe immer zu einer Verschlechterung der Versorgungslage, verweist Hutgrabner auf eine rezente Studie, wonach ärztliche Hausapotheken den Kassenärztemangel verringern könnten. Bereits vor vier Jahren ist die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) in einer Analyse zum Schluss gekommen, dass der Betrieb einer ärztlichen Hausapotheke ein wesentlicher Aspekt für die Attraktivität einer Kassenordination eines Landarztes ist. Laut der Bundeswettbewerbsbehörde führen die wettbewerbsrechtlich unterschiedliche Behandlung von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken weder zur Verbesserung der Versorgungssicherheit noch zur Sicherstellung eines Qualitätsniveaus, das bei der Verabreichung von Medikamenten erforderlich ist. Daher empfiehlt die Behörde eine Deregulierung der derzeit geltenden Kilometerbestimmungen.

Novelle nötig, aber anders

Eine Novelle müsste daher das Ziel haben, die Einschränkungen für die ärztlichen Hausapotheken aufzulassen. Im Apothekengesetz ist dazu festgehalten, dass im Umkreis von vier Straßenkilometern einer öffentlichen Apotheke gar keine ärztlichen Hausapotheken bewilligt werden, im Umkreis zwischen vier und sechs Kilometern nur in Form einer Nachfolgepraxis. Konsequenterweise müssen auch langjährig bestehende ärztliche Hausapotheken geschlossen werden, wenn innerhalb von vier Kilometern eine Konzession für eine neue öffentliche Apotheke erteilt wird. Eine Rücknahme der Hausapothekenbewilligung habe aber in den meisten Fällen die Abwanderung ortsansässiger Ärzte zur Folge: „Kassenplanstellen können nicht besetzt werden, weil Ärzte ihre Patienten – etwa bei Hausbesuchen – nicht mit Medikamenten versorgen dürfen“, sagt Hutgrabner. Den Ärzten im ländlichen Raum dies Möglichkeit der direkten, schnellen und unkomplizierten Medikamentenversorgung zu nehmen, aber gleichzeitig ausgelagerte Abgabestellen und Filialapotheken zu ermöglichen, sei daher fatal: „Das ist der falsche Weg, denn das verschärft nur den Kassenärztemangel“, warnt Hutgrabner. Eine Liberalisierung der derzeitigen Gesetzeslage würde dazu führen, den Kassenärztemangel im ländlichen Raum zu reduzieren und fördere ein duales System mit einem friedlichen Nebeneinander von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken. Die Lösung für die Verbesserung der derzeitigen Situation mit dem Kassenärztemangel sei daher die Streichung der gesetzlichen Regelung zur verpflichtenden Zurücknahme der Hausapotheken-Bewilligung (§29 Absatz 3 Apothekengesetz).

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2023