Die alte Bundesregierung hatte im Februar 2023 durch Gesundheitsminister Johannes Rauch eine Digitalisierungs-Initiative in den Spitälern ausgerufen. Diese ist allerdings bis heute noch nicht in Schwung gekommen und braucht eigentlich einen totalen Neustart, wie der Arbeitsmediziner und Anästhesist Daniel von Langen, Vorsitzender des Bildungsausschuss der Österreichischen Ärztekammer, konstatiert.
Thorsten Medwedeff
Im Rahmen der Ausbildungsevaluierung wurden die Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung auch zum Thema Bürokratie und Administration befragt, und dazu, wie es um die funktionierende, digitale Infrastruktur bestellt ist, um effizient arbeiten zu können. Das Ergebnis: Die flächendeckende, zuverlässige Internetverbindung in den österreichischen Spitälern wurde mit der Gesamtnote 4,82 von 6,0 bedacht, die dazugehörige Hardware sogar nur mit 4,17 von 6,0. „Das ist im 21. Jahrhundert eigentlich verheerend, gibt aber ganz gut die tatsächliche Realität wieder – und die sieht so aus, dass es in Zeiten personeller Knappheit in den Abteilungen zusätzlich extrem frustrierend ist, mit schlechten und alten Computern Zeit zu verschwenden, die acht Jahre oder mehr am Buckel haben. Oder sich mit einer veralteten IT-Infrastruktur herumzuschlagen, die dazu führt, dass es teilweise zehn Minuten oder mehr dauert, Krankenakten zu öffnen“, skizziert Daniel von Langen. „Veraltete Geräte sind ein No-Go. Solange aber dieser Zustand herrscht, kann die begrüßenswerte E-Health-Strategie der Bundesregierung – und auch die neue Regierung wird sich dazu bekennen müssen – niemals sinnvoll umgesetzt werden.“
Digitale Verantwortung übernehmen
Dazu müsste endlich mit den Spitalsbetreibern über die Ausstattung in den Spitälern gesprochen werden, das dortige Management ist dafür verantwortlich und „performt in dieser Angelegenheit seit Jahren nicht gerade herausragend“. Diese Probleme lägen komplett „im Konzept des Total Cost of Ownership, dieses Verständnis fehlt mir seitens der Verantwortlichen aber“, betont von Langen. „Laptops oder Stand-PCs gehören einfach spätestens nach vier Jahren ausgetauscht. Diese Gesamtbetriebskosten müssen die Spitalsbetreiber tragen.“
Die digitale Vernetzung von intramuraler und extramuraler Versorgung ist wiederum Sache des Bundes. Von Langen: „Es muss endlich eine bundesweit einheitliche Stelle geben, die die digitale Verantwortung übernimmt. Es muss sich jemand als verantwortlich deklarieren und klare Vorgaben machen.“ Eine digitale, nationale Gesundheitsbehörde in jedem Land – wie von der EU für den Europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS verpflichtend vorgeschrieben – kann der Tiroler Mediziner nur befürworten. In Österreich muss diese Stelle erst ausfinanziert und gefunden werden.
Mit der Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums sollen Gesundheitsdaten bald sogar europaweit abrufbar werden. Durch die Verknüpfung der Informationen der nationalen Gesundheitssysteme soll es künftig möglich werden, dass etwa der behandelnde Arzt in Portugal die Krankengeschichte oder die Labortests eines Urlaubers aus Österreich am Computer abrufen kann, um die richtigen Medikamente zu verschreiben oder dass eine Touristin aus Deutschland, die eine Wachau-Radtour unternimmt, ihr Rezept in einer Apotheke in Dürnstein einlösen kann.
Restart auf Dänisch
Als Vorbild für Österreich könnte man das „dänische Modell“ heranziehen, so von Langen. „Dort hat man vor 20 Jahren praktisch bei null mit der Digitalisierung begonnen und verwendet jetzt die Technologie, die up to date ist. Wir haben in Österreich bereits in den 1990er-Jahren mit der Einführung digitaler Systeme begonnen und waren damals eigentlich vorne mit dabei. Darauf haben wir uns allerdings zu lange ausgeruht. Eigentlich braucht es jetzt einen Restart.“
In Dänemark nutzt auch der niedergelassene Bereich die gleichen EDV-Systeme wie die Spitäler. Von Langen: „Der Datenschutz wurde dort für den Gesundheitsbereich etwas lockerer geregelt, aber die Daten liegen in Dänemark und nicht irgendwo, sind also sehr sicher, weil auch penibel protokolliert wird, wer die Daten einsieht. Auch der Patient kann jederzeit darauf zugreifen und kontrollieren, wer außerdem noch zugreift. Dazu müssten wir aber die in Österreich sehr hohen datenschutzrechtlichen Hürden endlich rationalisieren.“
In Österreich dagegen kenne er allein in Tirol drei unterschiedliche Krankenhausinformationssysteme (KIS). „Das führt zu solchen Absurditäten, dass ich mir eine Datei aus einem nur 80 Kilometer entfernten Spital nicht anschauen kann, weil die IT-Systeme nicht miteinander kommunizieren können“, schüttelt von Langen den Kopf. „Optische Datenträger sind in Österreich leider noch immer State of the Art. Immerhin sind wir schon so weit fortgeschritten, dass so langsam alle Faxgeräte aus den Krankenhäusern verschwunden sind. Meine unter-30-jährigen Kollegen wissen ohnehin nicht mehr, wie man ein Fax versendet.“
Der Bund müsse – wenn er die Digitalisierung im medizinischen Bereich wirklich ernsthaft fördern möchte – hier einschreiten und ein Programm, das alle verbindlich verwenden müssen, vorgeben. „Es braucht eine bundesweite Homogenisierung der IT, aber noch haben Länder und Spitalsbetreiber jeweils divergierende Vorstellungen. Wenn aber der Bund ein Programm vorgibt und dies vielleicht noch zu 80 Prozent finanziell fördert, dann hätten vermutlich alle in absehbarer Zeit die gleiche Software. Damit wäre viel gewonnen.“
Ärzte bei IT-Lösungen mit einbinden
Zu all den erwähnten Problemen mit veralteter Hard- und Software, mangelhaften Internet-Kapazitäten oder fehlenden Schnittstellen, kommt, dass die IT-Lösungen in den meisten Fällen nicht auf die Bedürfnisse der Ärzteschaft abgestimmt sind. „Zumeist gibt es in größeren Abteilungen einen einzigen IT-Experten, der durch die finanziellen Möglichkeiten total eingeschränkt ist und eigentlich ein ‚armer Hund‘ ist und das umsetzen muss, was das Management in diesem knappen Rahmen zulässt – und nicht, was den Ärzten die Arbeit erleichtern würde. In den meisten unserer Spitäler erfüllt die IT daher nicht das, was wir uns erwarten.“
Wünschenswert wären IT-Lösungen, die sich der Arbeit der Ärzte anpasst, betont von Langen. „Viele der Systeme im medizinischen Bereich sind im besten Sinne artfremd, der User wird mit einem Ablauf konfrontiert, der aus der Welt der Programmierer kommt – es wäre optimal, bereits bei der Entwicklung erfahrene Ärzte beizuziehen. Nur so kann auch die digitale Kommunikation zwischen Arzt und Patient optimiert werden, sodass Letztere sich wohl fühlen, wenn sie ihre Gesundheitsdaten teilen.“ Und wünschenswert wäre auch, dass es für viele digitale Arbeiten gar keiner Ärzte mehr bedarf. „Seit Jahren fordern wir als Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer, dass an allen Abteilungen flächendeckend so genannte Dokumentationsassistenten angestellt werden, die den Arzt bei bürokratischen Arbeiten freispielen. Dieses Assistenzpersonal ist ein ganz wichtiger Faktor bei einer Digitalisierungsoffensive – neben der Forderung nach einem modernen Spitalsmanagement im digitalen Bereich, einem modernen, zeitgemäßen Umgang mit der EDV und Investitionen in funktionierende, homogene Systeme.“
Automatisch & praktisch
Auf die Frage, ob es in den heimischen Krankenhäusern auch funktionierende, nützliche digitale Systeme gebe, kommt von Langen ins Grübeln: „Das, was noch am besten funktioniert, sind die Patientendatenmanagementsysteme (Abk.: PDMS) auf den Intensivstationen.“ In die PDMS sind alle Patientendaten eingebunden – automatisch – und sind quasi Schnittstellen aller wichtiger Parameter wie Medikation, Blutdruckwerte, Daten aus den Operationen des Patienten und vieles mehr. „Das betrifft zwar hauptsächlich die Pflege-Dokumentation, wo alles nachvollziehbar ist. Dadurch braucht man keine 70-seitigen Akten mehr wie früher üblich auf Intensivstationen. Das ist der Bereich, wo es meiner Kenntnis nach am besten funktioniert. Man sieht also: Es gibt auch Bereiche, wo wir im Krankenhaus beinahe digital das 21. Jahrhundert erreicht haben.“
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2024