Enquete „Spitalsärztin/Spitalsarzt 2025“: Die Zukunft proaktiv gestalten

10.11.2014 | Politik

Wie kann man in Zukunft im Spitalswesen die Versorgung in gewohnter Qualität erhalten und zugleich lebbare, attraktive Arbeitsbedingungen schaffen? Darüber diskutierten Experten kürzlich bei einer Enquete der Bundeskurie Angestellte Ärzte der ÖÄK.
Von Marion Huber

Wir wollen die Zukunft gestalten“, betonte ÖÄK-Präsident Artur Wechselberger zu Beginn einer Enquete der Bundeskurie Angestellte Ärzte der ÖÄK, die ganz im Zeichen der Zukunft des Spitalswesens stand. Wenn man die Zukunft auch nicht vorhersehen könne, sei sie doch planbar, so Wechselberger weiter: „Mit der Initiative ‚Spitalsärztin/Spitalsarzt 2025‘ kann das gelingen.“ Die Bundeskurie Angestellte Ärzte hat sich in einem Prozess proaktiv mit den derzeitigen Problemfeldern befasst und sich Gedanken darüber gemacht, wie man als Spitalsarzt/Spitalsärztin 2025 arbeiten könnte. Dazu der Kurienobmann der Angestellten Ärzte in der ÖÄK, Harald Mayer: „Diejenigen, die die Verantwortung für die optimale Behandlung der Patienten tragen, sollen auch die Strukturen und Prozesse mitbestimmen und ihre Standpunkte darlegen können, damit die Gesundheitsversorgung der österreichischen Bevölkerung nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien gesteuert wird.“ Das Konzept „Spitalsärztin/Spitalsarzt 2025“ – es befasst sich mit neuen Organisationsund Kooperationsstrukturen, die Ärzten und Patienten Vorteile bringen – wurde von der Bundeskurie einstimmig beschlossen (siehe dazu ÖÄZ 15/16 vom 15. August 2014).

Dieses Konzept liegt nun auf dem Tisch und es wäre „ein richtiger Weg, um das Spitalswesen für künftige Herausforderungen aufzustellen und nachhaltig zu sichern“, ist Mayer überzeugt. „Wir brauchen Neuregelungen für den Zugang zum Spital, die einerseits die Ambulanzen entlasten und andererseits die Patientenströme besser koordinieren sollen“, betonte er. Und weiter: „An uns scheitert es nicht.“ Die Bundeskurie stehe jederzeit für konstruktive Gespräche zur Verfügung. Denn eines ist für ihn klar: „Auch noch so gute Konzepte können nur dann leben, wenn wir die Ärzte dafür haben.“ Genau hier liege das Problem: Den Ärztemangel gebe es nicht mehr nur in der Peripherie; er sei schon im Zentralraum angekommen.

Abwandern der „klugen Köpfe“

Auch Univ. Prof. Günter Neubauer, Volkswirt und Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München (IfG), sieht die Gefahr, dass der „brain drift“ – „das Abwandern der klugen Köpfe“ – innerhalb der EU kaum aufzuhalten ist. Während österreichische Ärzte vermehrt in die deutschsprachigen Nachbarländer abwandern, habe man in Deutschland mit der Konkurrenz durch Norwegen und Großbritannien zu kämpfen. Was dort besser ist? Das Einkommen und immer mehr auch die Lebens- und Arbeitsbedingungen seien entscheidend – nur wenn sie attraktiv sind, könne man gute Ärzte bekommen und halten.

Wann sind Arbeitsbedingungen attraktiv? Wenn die Formen von Zusammenarbeit, Zeiteinteilung und Organisation flexibel sind, waren sich die Experten einig. Franz Harnoncourt, Geschäftsführer der Malteser Deutschland GmbH, sieht Potential in neuen Versorgungsund Kooperationsformen, weil „die Grenzen zwischen ambulant und stationär ohnehin immer mehr verschwimmen“. Ein Spitalsarzt könne ebenso ambulant Leistungen erbringen, ein niedergelassener Arzt wiederum Spitalseinrichtungen nutzen. Kooperieren hieße auch, Leistungen wie etwa Physiotherapie oder Labor auszulagern, indem sie von Dritten vor Ort im Krankenhaus erbracht werden. Chirurg Harnoncourt, der zuletzt im Krankenhaus der Elisabethinen in Linz als Geschäftsführer tätig war, weiß, wie unterschiedlich deutsche und österreichische Strukturen sind: „In Deutschland haben ärztliche Kooperationen viel mehr Freiraum.“ So arbeiten Ärzte aus beliebigen Fachgebieten, fächerübergreifend oder fachgleich, gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen, in beliebiger Anzahl zusammen – die Möglichkeiten sind „grenzenlos“. Vom enormen Potential, das in Kooperationen liegt, ist auch Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenzgruppe, überzeugt: „Einsparungen sind hier möglich, ohne dass die Qualität darunter leidet.“ Wenn es nicht derart viele Hemmnisse gäbe: unterschiedliche, vielfach nicht kostendeckende Vergütung je Bundesland und Sektor oder unflexible Organisationsformen und Strukturen würden wirkungsvollen Kooperationen im Weg stehen, so Heinisch.

Doppelprimariat: pro und contra

Den Alltag mit einer weiteren Variante der Kooperation – als „Lone Man Standing“ im Doppelprimariat – schilderten Univ. Prof. Hermann Enzelsberger, Leiter der Abteilungen für Gynäkologie und Geburtshilfe an den Landeskrankenhäusern Steyr und Kirchdorf, und Univ. Prof. Peter Lechner, Ärztlicher Direktor und Abteilungsvorstand der Chirurgie am Universitätsklinikum Tulln. Zwar berge ein Doppelprimariat durchaus Potential, weil etwa Synergien genutzt und Leistungen ausgelagert werden können; zugleich würden Konflikte und Probleme zum Beispiel durch den Faktor Zeit entstehen. Ist der Primar an jeder seiner Abteilungen nur „Teilzeit“ anwesend: Wie viel Information geht dabei verloren? Leidet die Ausbildung der Turnusärzte? Wie groß ist die psychische und physische Belastung für den Primar? Enzelsberger dazu: „Es ist zweifellos eine gewaltige Aufgabe, für die es keinen Beipackzettel mit Risiken und Nebenwirkungen gibt.“

In manchen – vor allem ländlichen Gegenden – sei ein Doppelprimariat eine mögliche Alternative zur Schließung von Standorten und könne unter Umständen die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung sichern. Andernorts könne es aber nur eine Überbrückung darstellen, so die übereinstimmende Meinung der Experten. Auf lange Sicht werde man jedoch nicht umhin kommen, andere und nachhaltigere Lösungen zu finden. Harnoncourt dazu: „Es passiert immer erst dann etwas, wenn der Leidensdruck groß genug ist.“ Der Ärztemangel werde die Veränderungen erzwingen…

Interview – Univ. Prof. Günter Neubauer

„Arzt verwaltet Knappheit“

Die Ökonomie gibt dem Arzt Begrenzungen vor, die er gegenüber seinen Patienten verwalten muss. Die Politik komme in dieser Welt der knappen Mittel oft ihrer Verpflichtung nicht nach, kritisiert Univ. Prof. Günter Neubauer, Volkswirt und Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik in München (IfG), im Gespräch mit Marion Huber.

ÖÄZ: Was steht in Zeiten von Einsparungen und Ressourcenmangel an erster Stelle: der Patientennutzen oder die Ökonomie?

Neubauer: Der Konflikt ist nicht immer von vornherein gegeben. Häufig gehen Ökonomie und Patientennutzen auch zusammen. Wo der Konflikt entsteht, ist, dass die Politik dem Arzt begrenzte Mittel gibt, wodurch der Arzt das Problem hat, mit den begrenzten Mitteln nicht das Bestmögliche für alle Patienten machen zu können. Wenn er etwa ein begrenztes Budget für Arzneimittel hat, und sich nicht die besten Arzneimittel für einen Patienten leisten kann, weil er die Mittel auch noch für andere Patienten braucht. Da gibt die Ökonomie dem Arzt Begrenzungen vor, die er gegenüber seinen Patienten verwalten muss und das schafft natürlich Unbehagen. Andererseits sind ökonomische Begrenzungen oft berechtigt und notwendig.

Wer entscheidet darüber, was Priorität hat? Welche Rolle kommt dem Arzt zu?
Auf der Mikroebene entscheidet der Arzt; er muss die Knappheit verwalten. Aber diese Begrenzung wird von der Politik oder den Krankenkassen vorgegeben. Auf dieser Ebene entscheidet die Politik oft nicht rational. Zum Beispiel fließen Mittel eher in aktuelle politische Anliegen, dafür wird für Prävention weniger ausgegeben. Ein ganz deutliches Beispiel aus Deutschland: Die Krankenhäuser haben einen Investitionsstau von 50 Milliarden Euro – einfach deswegen, weil die einzelnen Bundesländer den Krankenhäusern nicht die Priorität einräumen, wie sie das müssten. Im Krankenhaus aber muss der Arzt dem Patienten gegenüber den Mangel verwalten. Die Ärzte klagen da mit Recht darüber, dass die Politik ihren Verpflichtungen nicht nachkommt. Ein Arzt wird dennoch mit den begrenzten Mitteln versuchen, in Summe das Beste zu machen – nur für jeden Einzelnen geht es nicht. Allenfalls kann man das Niveau insgesamt heben und für alle Patienten mehr tun; aber dass man für alle Patienten das Beste tun kann, wird man nie erreichen. Wir Ökonomen sagen: ‚Wir leben in einer Welt der Knappheit‘ und Knappheit heißt immer Prioritäten setzen,und das muss man nach medizinischen, ökonomischen aber auch nicht-monetären Gesichtspunkten wie Familienleben und Work-Life-Balance.

Stichwort Work-Life-Balance. Der Trend geht dahin, dass Ärzte lieber angestellt als niedergelassen arbeiten. Warum?
Zum einen ist der niedergelassene, freiberufliche Arzt deshalb nicht mehr so attraktiv, weil die Einkommensverhältnisse im Vergleich zu früher schlechter sind. Zum zweiten möchte niemand mehr sieben Tage die Woche, 24 Stunden lang bereit sein, wenn der Patient etwas braucht. Zum dritten, auch weil immer mehr Frauen den Arztberuf ergreifen, ist in der Niederlassung ‚alter Art‘ die Zeitorganisation viel schwieriger. In Deutschland sind angestellte Ärzte im Krankenhaus Einkommens-mäßig wesentlich nach oben gerutscht. Dort kann man die Arbeitszeiten auch deutlich besser organisieren. Wenn man in die Niederlassung geht, muss man auch zunächst einmal investieren – je nach Fachrichtung 150.000 bis etwa 500.000 Euro in der Radiologie. Wer möchte so viel investieren? Für Frauen, die eventuell wegen der Familie nur Teilzeit arbeiten, lohnt es sich kaum und auch Männer scheuen so ein Investitionsrisiko. Deswegen lassen sich auch immer mehr Ärzte in Deutschland in der Niederlassung anstellen. Sie haben Krankenhaus ähnliche Strukturen, mehrere Kollegen, mit denen man sich abstimmen kann und man kann sich fachlich spezialisieren.

Nicht nur finanzielle Mittel sind knapp, auch personelle Ressourcen. Immer mehr Ärzte wandern ab. Wie versucht man in Deutschland, das in den Griff zu bekommen?

Eigentlich geht es darum: Was verdiene ich unter welchen Arbeitsbedingungen. Durch die Knappheit an Ärzten bekommt man in peripheren Gebieten keine Ärzte mehr, wenn man nicht Einkommen und Arbeitsbedingungen attraktiv gestaltet. Selbst dann ist es noch schwierig. Genau daran arbeiten wir in Deutschland. Erstens sind die Ärzte-Einkommen im Krankenhaus in den letzten Jahren deutlich angehoben worden. Das hat auch dazu geführt, dass die Ärzte, weil sie jetzt teurer sind, vermehrt dort eingesetzt werden, wo sie das tun, was nur sie können und was auch teuer ist. Zweitens versucht man, das Kollegialprinzip stärker auszuprägen. Das ‚alte‘ deutsche Krankenhaus war hierarchisch angelegt; dem versucht man heute gegenzusteuern. Gerade die jungen nachkommenden Chefärzte haben oft im Ausland die Erfahrung gemacht, dass flachere Hierarchien sinnvoll sind. Längerfristig wird natürlich auch diskutiert, ob nicht ärztliche Leistungen stärker arbeitsteilig mit nachgeordneten Gesundheitsberufen geteilt werden können. Wir wissen, dass Pflegekräfte etwa in der Schweiz und im angelsächsischen Raum sehr viel mehr Tätigkeiten übernehmen, die bei uns noch der Arzt machen muss: Wundwechsel, Spritzen geben etc. Das könnte künftig von Pflegekräften gemacht werden – natürlich immer unter Aufsicht des Arztes. Dann kann der Arzt sich auf das konzentrieren, was seine Expertise ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2014