Ärztliche Fortbildung: Unabhängigkeit bewahren

25.01.2013 | Politik


Im Zuge politischer und organisatorischer Veränderungen nach der Ärztekammerwahl 2012 schied zu Jahresende der Gründungspräsident der österreichischen akademie der ärzte, Wolfgang Routil, aus seiner Funktion aus. Im ÖÄZ-Gespräch sieht er die berufsbegleitende, kontinuierliche und strukturierte Fortbildung als zeitlose ethische Verpflichtung zur Erhaltung der ärztlichen Freiheit.
Von Martin Stickler

Die Bilanz lässt sich sehen. Die von der österreichischen akademie der ärzte eingerichtete Fortbildungsplattform erweist sich als sprichwörtlicher Renner. Seit ihrer Einführung nutzten bereits 20.000 Ärztinnen und Ärzte das digitale Lernangebot im Rahmen des Diplomfortbildungsprogramms der Österreichischen Ärztekammer (DFP). Insgesamt sind über 4,8 Millionen Punkte verbucht, im Durchschnitt 238 pro Konto. Ein Erfolg, der nicht von ungefähr kommt und ein Ergebnis, das mit einem Namen fest verbunden ist: Wolfgang Routil, der als Akademie-Präsident bis Ende 2012 die eindrucksvolle Entwicklung federführend mitgestaltete.

Das E-Learning ist innerhalb des DFP also nicht mehr wegzudenken, es weist eine 50-prozentige Durchdringung innerhalb der Ärzteschaft auf. Routil schießt noch einige eindrucksvolle Zahlen nach: 255.000 Fachartikel wurden bereits durchgearbeitet und dem elektronischen Fortbildungskonto gutgeschrieben, insgesamt sind im elektronischen Fortbildungssystem der Akademie weit über 1.000 Artikel aus den unterschiedlichsten Fachbereichen für die Diplomfortbildung veröffentlicht.

Langer Weg – viele Aufgaben

Der Eintritt der strukturierten und kontinuierlichen ärztlichen Fortbildung in das digitale Zeitalter markiert einen Meilenstein eines langen, mitunter durchaus steinigen Weges, der 1995 seinen Anfang nahm. Nach einem kurzen ersten Versuch in der Steiermark erließ die ÖÄK die Richtlinie zum Diplomfortbildungsprogramm als Empfehlung, 2001 folgte dann auf ihrer Grundlage die Integration der Fortbildungsverpflichtung in das Ärztegesetz. Danach wurde in Anlehnung an die internationale Entwicklung ein österreichischer Akkreditierungsrat eingerichtet. Dieses sachkundige Gremium berechtigt Organisationen, kraft ihrer Kompetenz Fortbildungsveranstaltungen durchzuführen.

Parallel zur laufenden Weiterentwicklung des DFP hat die Ärzteakademie noch andere, zahlreiche Aufgaben zu bewältigen. Nach der Ausarbeitung der Arztprüfungen mit dem Schweizer Institut für medizinische Lehre und wissenschaftlichen Gesellschaften ist die Akademie auch für die laufende Durchführung des Examens als Voraussetzung zur selbstständigen Berufsausübung zuständig. Bis heute wurden über 10.000 Facharztprüfungen und rund 6.500 allgemeinmedizinische Prüfungen abgenommen. Die Akademie organisiert darüber hinaus 31 Spezialdiplome von der Akupunktur bis zur Umweltmedizin, fünf Zertifikate und zwei CPD-Lehrgänge (continuing professional development) in angewandtem Qualitätsmanagement in der Praxis und Gesundheitsökonomie. Im Weiteren stehen jährliche Kongresse in Grado und Velden auf der Tagesordnung, Anziehungspunkt für hunderte fortbildungshungrige Ärztinnen und Ärzte.

Zeitlose Ziele

Mittlerweile hat sich die Ärzteakademie als Serviceeinrichtung, Angelpunkt und Motor der ärztlichen Fortbildung bestens etabliert. Routil: „Die Ziele sind zeitlos. Einesteils gilt es, die ärztliche Fort- und Weiterbildung in Anbetracht der Explosion des medizinischen Wissens laufend zu bündeln und die ärztliche Themenführerschaft zu leben. Auf der anderen Seite ist der internationale Wissenstransfer in Methodik und Didaktik zu fördern.“ Im Vordergrund stehe auch die Wahrung der Unabhängigkeit der Fortbildung von politischen, politisch-institutionellen und ökonomischen Einflüssen entsprechend dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft. Und da zeigt sich ein Bruch zum politischen Zeitgeist, der vorschreiben, kontrollieren, sanktionieren und auf alles einen ökonomischen Deckel legen will. Denn, so Routil, „vieles lässt sich nicht unter eine Zwangsjacke pressen“. So habe auch die europäische Ärzteorganisation (CPME), wo Routil das Komitee für ärztliche Bildung und Qualitätssicherung über vier Jahre leitete, eindeutig manifestiert, dass Ärzte persönliche und unterschiedliche Lernkonzepte verfolgen. Dem politischen Trend zur universellen Schematisierung etwa durch Leitlinien oder zur Totalkontrolle der Fortbildung mit Rezertifizierung steht der scheidende Akademiechef höchst skeptisch gegenüber. „Die starre Fixierung bedeutet, dass die Medizin die wesensbestimmende, individuelle Dimension in Behandlung und auch Verantwortung verliert und an gestaltloser Technokratie gewinnt.“

„Bipolare“ Freiheit

Freilich sei der dem freien Beruf des Arztes zugrunde liegende Freiheitsbegriff patientenzentriert und „bipolar“. Er ist durch Verantwortung und zeitlose ethische Bindung limitiert. Die Freiheit von externen politischen oder von anderen Interessen geleiteten Einflüssen beinhalte die implizite Notwendigkeit, sich einem eigenen Regelwerk zu unterwerfen. Oder: „Wenn wir die Autonomie auch in unserer lebenslangen Fortbildung erhalten wollen, dann müssen wir unsere ethische Verpflichtung sehr ernst nehmen und ein hohes Maß an Selbstkontrolle auf uns nehmen.“ Nur so bestehe die Chance, den begehrlichen Mühlen des Staates zu entkommen. Widrigenfalls würden Sozialversicherung, Krankenanstaltenträger oder Gesundheitsministerium unter anderer als ärztlicher Schwerpunktsetzung das übernehmen, was die Ärzteschaft nicht selber schaffe. Diese Vorstellung ist für Routil aber höchst kontraproduktiv, weil demotivierend: „Die Fremdbestimmung nimmt sukzessive die Freude am Beruf. Verantwortung kann nur in Freiheit wahrgenommen werden, nur so kann sich der Arzt dauerhaft und mit Empathie zur Erzielung eines bestmöglichen Erfolges für seine Patienten einbringen“, resümiert der Bildungsexperte.

Panta rei

In der Änderung liegt der Fortschritt. Der zum Jahreswechsel ausgeschiedene Akademie-Präsident hat etwa das qualitative Fortbildungsmanagement als Ergänzung des rein quantitativen vor Augen. Oder autonome Qualitätszirkel, die inhaltlich in das Diplom-Fortbildungsprogramm eingebaut werden könnten.

Änderungen gibt es im Übrigen auch bei der Rechtsform der österreichischen akademie der ärzte. War sie bisher ein gemeinnütziger Verein, fungiert sie mit Jahreswechsel als Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Damit verfügen nun alle unter einer Firmenholding zusammengefassten Tochterfirmen der Österreichischen Ärztekammer – neben der Akademie das „Verlagshaus der Ärzte“ und die ÖQMed – über eine einheitliche Gesellschaftsform, was erhebliche strukturelle und steuerliche Vorteile bringt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2013