ELGA: Mehr Kosten als Nutzen

25.02.2012 | Politik


ELGA verursacht mehr Kosten, als sie Nutzen bringt – zu diesem Ergebnis kommt ein von der Unternehmensberatung Hübner & Hübner erstelltes Gutachten. ELGA spart nicht 129 Millionen, sondern lediglich 22 Millionen Euro ein. Und auch nur dann, wenn ELGA flächendeckend umgesetzt ist, also frühestens 2015.

Von Agnes M. Mühlgassner

Aus dem Jahr 2008 stammt das Gutachten der mittlerweile nicht mehr existierenden Beratungsgesellschaft Debold & Lux. Darauf basieren die von der ELGA-GmbH berechneten möglichen Einsparungspotentiale bei einem Vollbetrieb von ELGA in der Höhe von 129 Millionen Euro. „Dieses Gutachten ist aus meiner festen Überzeugung keinesfalls stimmig und keinesfalls nachvollziehbar“, erklärte Klaus Hübner, Steuerberater und Präsident der Wirtschaftstreuhänder, Mitte Feber bei der Präsentation des Gutachtens in Wien.

Aufgabe der Hübner & Hübner Management Consulting GmbH war es, die der „Debold & Lux-Studie“ zu Grunde liegenden Berechnungen auf Plausibilität, Kontinuität, Transparenz und Korrektheit zu überprüfen. Hübner zu deem vom Gesundheitsministerium immer wieder genannten Einparungspotential von 129 Millionen Euro: „Es ist nach unseren Berechnungen ein Nutzen von rund 22 Millionen Euro zu erwarten. Offenkundig bestehen Rechenfehler, betriebswirtschaftliche Fehler sowie Referenz- und Analogiefehler.“

Einige Beispiele dazu:

  1. Das durchschnittliche Einsparungspotential bei Erstkontakten im Bereich Radiologie/Labor wird mit 50 Prozent beziffert. In der Referenzstudie wird jedoch ein Einsparungseffekt bei Erstkontakten von 25 Prozent ausgewiesen. Das macht in Summe rund 200.000 Euro weniger an Einsparungseffekten aus.
  2. Im Bereich „Vermiedene Arbeitsunfälle“ wurde die Referenzzahl „Anzahl der Erwerbstätigen an den Spitalsfällen“ in der Höhe von 50 Prozent berücksichtigt. Laut Statistischem Handbuch der Österreichischen Sozialversicherung beträgt der Anteil der Erwerbstätigen an den Spitalsfällen jedoch nur rund 30 Prozent. Ergibt pro Jahr eine Summe von drei Millionen Euro weniger an Einsparungen.
  3. Ein wesentliches Referenzprojekt des Rechenmodells des Ministeriums stellt die Evaluierung des Pilotprojektes „Arzneimittel-Sicherheitsgurt mit E-Card“ dar. Die Ergebnisse wurden auf ganz Österreich hochgerechnet. „Jedoch ist die Übertragbarkeit des Pilotprojekts (63 Prozent der Teilnehmer sind über 50 Jahre) auf die österreichische Bevölkerung (rund 35 Prozent der Bevölkerung sind über 50 Jahre) als sehr problematisch und ungenau anzusehen“ – heißt es dazu im Gutachten. Ein weiterer Punkt, der nicht berücksichtigt wurde: 45 Prozent der erfassten Medikationen im Pilotprojekt sind auf Dauertherapien zurückzuführen und führen lediglich zu Einmaleffekten. Nicht berücksichtigt wurde auch, dass Interaktionen oft bewusst in Kauf genommen werden. Eine geringe Veränderung dieses Referenzwertes von rund zehn Prozent führt zu einer Veränderung des Nutzens von mehr als einer Million Euro.
  4. Der Nutzen aus vermeidbaren Spitalsaufenthalten: Bei den Spitalsaufenthalten könnten nur variable Kosten (wie beispielsweise medizinisches Verbrauchsmaterial) eingespart werden, nicht jedoch Fixkosten, so Hübner. Und weiter: „Wenn Sie in einem Spital 50 Räume haben und drei nicht brauchen, können Sie die nicht abreißen oder verkaufen.“ Im Gutachten heißt es dazu: „Allein dieser Fehler führt zu einem geringeren Brutto-Kostendämpfungspotential von rund 20 Millionen Euro.“

Außerdem wird kritisiert, dass die Kosten-Nutzen-Analyse von Debold & Lux lediglich Allgemeinmediziner und Fachärzte berücksichtigt, nicht aber Wahlärzte, Zahnärzte und private Krankenanstalten.

Die Conclusio der Gutachter: Unter Berücksichtigung der notwendigen Korrekturen beläuft sich das Brutto-Kostendämpfungspotential durch die Effekte von ELGA bei einem unterstellten Wirkungsgrad von 30 Prozent auf lediglich rund 22 Millionen Euro.

Kritik übt Hübner auch daran, dass von den berechneten 129 Millionen Euro Einspareffekten „viele Dinge lediglich Einmaleffekte“ sind. Somit sei in den Folgejahren von einem deutlich geringeren Brutto-Kostendämpfungspotential auszugehen. „Ich halte es schlicht für unvertretbar, dass durch ELGA jährlich 129 Millionen Euro eingespart werden können. Das ist nicht nachvollziehbar“, so das Fazit von Klaus Hübner. Den Nutzen von 22 Millionen Euro gäbe es nur dann, wenn alle Bereiche vollständig eingebunden sind, das heißt Allgemeinmediziner, Fachärzte sowie Krankenanstalten – das ist erst nach der vollständigen Umsetzung von ELGA 2015 zu erwarten.

Betriebswirt Peter Neidhart von der Österreichischen Ärztekammer hat die einzelnen Kosten-Nutzen-Berechnungen verglichen: „Bei ELGA stehen Ausgaben von rund 237 Millionen Euro gegenüber, um 176 Millionen Euro einzusparen.“ Des Weiteren wurden auch Berechnungen darüber angestellt, in welchem Ausmaß die Ärzte mit zusätzlichen finanziellen Belastungen zu rechnen haben. Neidhart dazu: „Laut den Berechnungen des Ministeriums sind es rund 18 Millionen Euro für alle Ärzte. Unseren Schätzungen nach sind es jedoch allein für die niedergelassenen Ärzte rund 62 Millionen Euro an Investitionskosten sowie rund 35 Millionen laufende Betriebskosten.“ Ähnlich gestaltet sich die Situation für die Spitäler: Auch hier könnten die Kosten vermutlich höher liegen als sie derzeit vom Ministerium angegeben werden.

„Die Kosten-Nutzen-Analyse des Ministeriums ist buchstäblich zerfledert worden“, so die Analyse von ÖÄK-Präsident Walter Dorner. Erstaunt zeigte er sich vor allem darüber, dass die Firma Debold & Lux, auf deren Studie sich die vermeintlichen Einsparungspotentiale von ELGA stützen, bereits seit Dezember 2010 nicht mehr existiert.

Für Walter Dorner gibt es aufgrund der aktuellen Fakten nur eine logische Konsequenz: „ELGA muss zurück an den Start.“ Dabei müsse der medizinische Nutzen ins Zentrum gestellt werden. Man benötige ein Projekt, das die tägliche Arbeit der Ärzte in den Ordinationen erleichtere und zur Patientensicherheit beitrage. Es brauche Realitäts-nahe digitale Austauschsysteme, die bereits bestehende Systeme berücksichtigen. „Wir brauchen ein Projekt mit einer klaren Verantwortlichkeit – und die vermissen wir zusätzlich“, unterstrich Dorner. Außerdem fordert er, dass eine unabhängige öffentliche Institution – wie etwa der Rechnungshof – die Kosten-Nutzen-Analyse überprüft. „Der Minister ist nicht gut beraten, wenn er dieses zerfledderte ELGA-Gesetz dauernd als Tischvorlage in den Ministerrat bringt“, sagte Dorner.

Geplant sei auch, demnächst österreichweit eine repräsentative Umfrage unter niedergelassenen Ärzten durchzuführen, um festzustellen, wie hoch die Zahl der schweren Medikamenten-Interaktionen tatsächlich ist.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2012