Möglicherweise stehen wir gerade vor einer Zeitenwende. Bisher waren wir in Österreich daran gewöhnt, dass es für alle Menschen die bestmögliche medizinische Versorgung gibt, und das unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten. Unser solidarisches Gesundheitssystem hat uns zu einem internationalen Vorbild gemacht, aus aller Welt kamen neidvolle Blicke. Möglicherweise ist es aber damit bald vorbei: Der Kostendruck droht unser System kollabieren zu lassen, nachdem es über die vergangenen Jahre durch „Kostendämpfungspfade“ immer mehr ausgehöhlt wurde. Dass die Menschen in Österreich bereits mit Verschlechterungen des Angebots rechnen, das zeigt der aktuelle Austrian Health Report. 80 Prozent gehen davon aus, dass die Politik in den kommenden Jahren bei der Gesundheit sparen wird, und fast ebenso viele erwarten, dass sie künftig private Zusatzmittel aufwenden müssen, wenn sie eine gute medizinische Versorgung brauchen. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem ist also definitiv erschüttert.
Die Österreichische Ärztekammer wird sich damit nicht abfinden. Wir bekennen uns klar zum sozialen, solidarisch finanzierten Gesundheitssystem und kämpfen daher für dessen Weiterbestand. Wir Ärztinnen und Ärzte fühlen uns unseren Patientinnen und Patienten verantwortlich, deren Interessen leider oft nicht ausreichend ernst genommen werden. Die Politik ist nun gefordert, zu beweisen, dass es ihr ebenfalls ernst mit dem Erhalt dieser medizinischen Errungenschaften ist, und dass sie ebenfalls der Meinung ist, dass qualitativ hochwertige Versorgung allen Menschen ohne finanzielle Hürden zugänglich sein muss. Dafür brauchen Ärztinnen und Ärzte endlich die richtigen Rahmenbedingungen – sowohl im Arbeitsalltag, als auch bei den ZusammenarbeitsFormen und der Finanzierung. Viel Zeit bleibt nicht mehr.
Dr. Johannes Steinhart
Präsident der Österreichischen Ärztekammer
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2025