Standpunkt Johannes Steinhart: Keine Versorgung „light“

25.02.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Nicht nur die Gesundheitsberufe, sondern auch die gesamte Arbeitswelt, stehen unmittelbar vor einer Zäsur. Die Generation der sogenannten Babyboomer geht in den nächsten Jahren in Pension, die geburtenschwächeren Jahrgänge, die nun auf den Arbeitsmarkt kommen, können die entstehende Lücke nicht füllen. Der entstehende Fachkräftemangel stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Gleichzeitig ist es aber zu einem traurigen Trend in der Politik geworden, dass man den Antworten auf diese drängenden Fragen lieber ausweicht und stattdessen den einfachsten Weg gehen möchte – nämlich die Nivellierung nach unten. Wenn es zu wenige Spezialisten gibt, sollen eben leichter zu findende „Light-Versionen“ dieser Berufe als Surrogate geschaffen werden.

Aktuell sehen wir das bei der psychotherapeutisch-medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Hier liegt ein Entwurf für ein Psychotherapiegesetz auf dem Tisch, der weder den Patienten, noch der Forschung, noch dem System als solchem etwas bringt – im Gegenteil drohen Versorgungsmängel und eine deutliche Verteuerung des Systems. Der Ärztemangel in den Fächern Psychiatrie und Kinderpsychiatrie, vor allem im Kassenbereich, wird seit Jahren immer gravierender. Statt die Lösungsvorschläge der Österreichischen Ärztekammer aufzugreifen, wird mit dieser Novelle versucht, einen „Psychiater light“ zu schaffen. Trotz deutlich kürzerer Ausbildungszeit sollen künftige Psychotherapeuten unverhältnismäßig große Kompetenzfelder bearbeiten können, die weit in sinnvollerweise ärztliche Tätigkeitsbereiche eingreifen. Um das zu erreichen, soll eine künstliche Abtrennung einer unklar definierten Psychotherapiewissenschaft von Psychiatrie und Psychosomatik durchgeführt werden – ein Geisterfahrerkurs gegen den internationalen Konsens, dass diese Bereiche enger zusammengeführt werden sollen, um den gegenseitigen Austausch sicherzustellen und Psyche und Körper möglichst in Zusammenschau zu behandeln.

Dass das weder im Sinne der Patienten, noch im Sinne eines effizienten Gesundheitssystems ist, liegt auf der Hand. Entsprechend vehement werden wir darauf drängen, dass die Politik wieder in die richtige Spur zurückkehrt, den vorliegenden Gesetzesentwurf großflächig überarbeitet und wieder auf zukunftsträchtige Lösungen setzt. Denn der kürzeste und einfachste Weg führt nicht immer ans richtige Ziel.

Dr. Johannes Steinhart
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2024