Standpunkt Johannes Steinhart: Casus belli

10.11.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

Die österreichischen Apothekerinnen und Apotheker leisten hervorragende Arbeit – zumindest bis jetzt, solange es bei den Befugnissen und Kompetenzen eine klare Abgrenzung zu Ärzten gegeben hat. Mit der geplanten Novelle des Apothekengesetzes sollen nun Optionen in einer Art und Weise erweitert werden, mit der eine rote Linie überschritten wird und die aus ärztlicher Sicht nur als Affront bezeichnet werden kann.

Dass das Erstellen einer Diagnose eine ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehaltene Tätigkeit ist, steht hoffentlich außer Diskussion. Was bringt es also, wenn künftig der Harnstreifen in der Apotheke gemacht wird oder auch der Blutzucker gemessen wird? Abgesehen davon, dass jeder einzelne Befund nur in der Gesamtschau beurteilt werden kann – was nur Ärztinnen und Ärzte können –, frage ich mich, welche Interessen hier dahinterstehen. Ist es ein Marketing-Gag? Oder Idealismus? Oder sind es vielleicht doch pekuniäre Interessen? Auch ist vieles rechtlich völlig ungeklärt. Wer haftet, wenn solche Befunde nicht korrekt erstellt werden und wenn es deswegen zu schweren Folgeschäden kommt?

Dass mit dieser Novelle die medizinische Versorgung der Bevölkerung besser wird, glauben doch hoffentlich nicht einmal die Apotheker. Wie geht es weiter, wenn ein solcher Test positiv ausfällt? Wer veranlasst das weitere Vorgehen? Wer erstellt den Therapieplan? All das sind die ureigensten Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten. Wer etwas anders sagt, streut den Patientinnen und Patienten wohlweislich einmal mehr Sand in die Augen bezüglich der medizinischen Versorgung in Österreich. Und bei den brennendsten Fragen in punkto Engpässe bei Medikamenten bleibt der Minister – entgegen allen groß angekündigten Ver-sprechungen – bis heute Lösungen schuldig.

Warum folgen den jahrelangen Versprechen von der Stärkung des niedergelassenen Bereichs nicht endlich Taten? Wann gibt es endlich mehr Geld, damit eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt oder Ärztin wieder attraktiv ist? Der einzige unmittelbare Nutzen für Patientinnen und Patienten ist die geplante Ausweitung der Öffnungszeiten. Die geplante Erleichterung für den Betrieb von Filialapotheken und Abgabestellen – Apotheken light sozusagen – hingegen gefährdet ärztliche Hausapotheken und damit die medizinische Versorgung am Land.

Wie so vieles, was wir aktuell bei den sogenannten Neuerungen im Gesundheitsbereich erleben, sind auch die jetzt geplanten Änderungen nicht zu Ende gedacht. Wenn man eine Auseinandersetzung mit uns Ärzten will, geht man genauso vor, wie es hier geschehen ist: keine Einbindung der Ärzte in die Novelle, keine Gespräche mit uns vor der Begutachtungsphase. Offenbar ist der Minister dem Lobbyismus der Apotheker erlegen. Man hat uns Ärztinnen und Ärzte schlicht und einfach übergangen.

Diese Novelle ist ein Casus belli.

Dr. Johannes Steinhart
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2023