Stand­punkt: Johan­nes Stein­hart: So wie es jetzt ist

24.02.2023 | Aktuelles aus der ÖÄK

„Ein All­ge­mein­me­di­zi­ner mit Kas­sen­ver­trag darf heute keine Medi­zin mehr machen.“

Dem ist eigent­lich nicht viel hin­zu­zu­fü­gen. Oder viel­leicht doch … Wer Kri­tik daran übt, dass die Haupt­tä­tig­keit von All­ge­mein­me­di­zi­nern – beson­ders in Groß­städ­ten – viel­fach nur noch im Aus­stel­len von Attes­ten, Über­wei­sun­gen und Arbeits­un­fä­hig­keits­be­schei­ni­gun­gen besteht, darf sich nicht wun­dern, dass die Situa­tion heute so ist, wie sie ist. Solange Ultra­schall und Lun­gen­funk­ti­ons­un­ter­su­chung gar nicht hono­riert wer­den und das ärzt­li­che Gespräch limi­tiert ist. Wären all diese Leis­tun­gen im Hono­rar­ka­ta­log adäquat abge­bil­det, wäre die Situa­tion eine andere. Davon bin ich überzeugt.

Dar­über hin­aus hat man Ärz­tin­nen und Ärzte – nicht nur All­ge­mein­me­di­zi­ner, son­dern auch Fach­ärzte – über die Jahre in ein Kor­sett von Berichts- und Doku­men­ta­ti­ons­pflich­ten gequetscht, die die ärzt­li­che Tätig­keit in einer Ordi­na­tion nicht unbe­dingt erleich­tern. Ein wei­te­rer Grund, wieso die Situa­tion so ist, wie sie ist.

Bis es zu zeit­ge­mä­ßen Ände­run­gen kommt, dau­ert es auf­grund von Büro­kra­tie und oft man­geln­dem Wis­sen der Ent­schei­dungs­trä­ger lange – oft viel zu lange – bis es zu den not­wen­di­gen Adap­tie­run­gen kommt. Ein Bei­spiel: die ver­pflich­tende Lehr­pra­xis. Die Aus­bil­dung von Jung­ärz­tin­nen und Jung­ärz­ten in den Spi­tä­lern fin­det unter mas­siv erschwer­ten Rah­men­be­din­gun­gen statt: Der Pati­en­ten­an­drang in den Ambu­lan­zen ist enorm – nach­dem der nie­der­ge­las­sene Bereich in den letz­ten Jah­ren sträf­lich ver­nach­läs­sigt wurde. Auf den Sta­tio­nen domi­niert die Admi­nis­tra­tion den All­tag von jun­gen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen. Die medi­zi­ni­sche Aus­bil­dung erfolgt – sofern über­haupt mög­lich – so nebenbei.

Wun­dert sich hier wirk­lich ernst­haft noch irgend­je­mand, dass die Situa­tion in unse­rem Gesund­heits­we­sen so ist, wie sie ist?

Mich wun­dert eigent­lich nur das Erstau­nen all der­je­ni­gen, die maß­geb­lich dazu bei­getra­gen haben, dass es so ist, wie es ist: indem längst über­fäl­lige Wei­ter­ent­wick­lun­gen ent­we­der kom­plett ver­hin­dert oder nur zöger­lich ange­gan­gen wur­den. Die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung war abseh­bar. Der Man­gel bei der kas­sen­ärzt­li­chen Ver­sor­gung im nie­der­ge­las­se­nen Bereich war abseh­bar. Die pre­käre Aus­bil­dungs­si­tua­tion in den Spi­tä­lern ist seit lan­gem bekannt. Auf all das hat die Öster­rei­chi­sche Ärz­te­kam­mer in den ver­gan­ge­nen Jah­ren immer wie­der hin­ge­wie­sen: in den Gesprä­chen mit den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen im Gesund­heits­be­reich und auch mit den Ent­schei­dungs­trä­gern der Sozi­al­ver­si­che­rung. Man wollte es nicht hören. Man hat uns nicht gehört. Darum ist die Situa­tion jetzt so, wie sie ist.

Dr. Johan­nes Steinhart
Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Ärztekammer

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 4 /​25.02.2023