Standpunkt Harald Schlögel: Rettet die Retter

12.09.2022 | Aktuelles aus der ÖÄK

Zu den besorgniserregendsten Entwicklungen der vergangenen Jahre zählt der Umgang mit Menschen, die in Gesundheitsberufen tätig sind. Den Anfang machten Handyfotos von Unfällen: Voyeure behinderten die Rettungshelfer so sehr, dass diese zeitweise nicht einmal an den Ort des Geschehens vordringen konnten. Dort brauchte es dann Sichtschutzwände, um in Ruhe arbeiten zu können.

Dazu kamen Attacken im Netz: Unter dem Deckmantel der Anonymität lässt es sich in den sozialen Medien leicht hetzen. Zudem werden Bewertungsplattformen – angeblich von der Meinungsfreiheit gedeckt – missbraucht, um die wirtschaftliche Grundlage von Ärzten zu gefährden. Eine Kleinpartei drehte die Eskalationsspirale dann noch weiter: Wurde das Gesundheitspersonal zu Beginn der Corona-Krise noch beklatscht, wandte sich das Blatt rasch. Das Ganze gipfelte darin, dass Ärzte, die auf die prekäre Lage in den Spitälern hinwiesen und zur Schutzimpfung aufriefen, pauschal von einer Politikerin als „Verbrecher“ bezeichnet wurden.

Man kann die Bizarrheit, die für einen Arzt kaum zu begreifen ist, gar nicht genug betonen. Man widmet sein Leben dem Ziel, Kranken zu helfen, man opfert Tage und Nächte im Dienst, vernachlässigt seine Familie, Freunde, bricht Urlaube ab, macht zusätzlich Fortbildung auf eigene Kosten. Man hat mit dem Beginn der Coronapandemie genauso Angst um sein Leben wie alle anderen, stellt sich trotzdem täglich in die Ordination oder die Ambulanz, um für andere da zu sein. Und wird dafür beschimpft! Und dieses Verhalten wird von Möchtegern-Politikern dann auch noch befeuert.

Wollen wir das so? Ist das der Weg, den unsere Gesellschaft wirklich gehen will?

Mir geht es nicht um Schuldzuweisung, mir geht es darum, die Solidargemeinschaft aufzurütteln, die schweigende Mehrheit im Lande davon zu überzeugen, dass es jetzt Zeit ist, sich zu artikulieren.

Seien wir stolz darauf, was das kleine Österreich an Wissenschaftlern und sonstigen klugen Köpfen hervorbringt, vertrauen wir vor allem unseren Ärzten und deren Expertise. Millionenfach pro Jahr werden Behandlungen durchgeführt, Beratungen abgehalten und Leid gemindert. Würdigen wir dies durch ein würdevolles Verhalten. Retten wir die, die uns retten!

Dr. Harald Schlögel
1. Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2022