Harn­in­kon­ti­nenz beim Mann: Meist iatro­gen verursacht

10.05.2014 | Medizin

Die iatro­gene Belas­tungs­in­kon­ti­nenz nach radi­ka­ler Pro­sta­tek­to­mie kann auch noch bis zu zwei Jahre nach dem Ein­griff vor­kom­men. Ver­ur­sacht wird diese Post-Pro­sta­tek­to­mie-Inkon­ti­nenz in ers­ter Linie durch eine Sphinkt­er­schwä­che. Von Irene Mlekusch

Mit der stei­gen­den Zahl der Ein­griffe an der Pro­stata – vor allem auf­grund der radi­ka­len Pro­sta­tek­to­mie und der radi­ka­len Zys­tek­to­mie – hat eine beim Mann frü­her nicht bekannte Form der Inkon­ti­nenz, die Belas­tungs­in­kon­ti­nenz, zuge­nom­men. „Die Belas­tungs­in­kon­ti­nenz tritt beim Mann fast nur iatro­gen auf“, erklärt Univ. Prof. Ste­phan Maders­ba­cher von der Abtei­lung für Uro­lo­gie und Andro­lo­gie am Sozi­al­me­di­zi­ni­schen Zen­trum Ost Donau­spi­tal in Wien, und weist dar­auf hin, dass auch Rek­tum-Ope­ra­tio­nen eine Inkon­ti­nenz nach sich zie­hen kön­nen. Eine iatro­gene Belas­tungs­in­kon­ti­nenz nach radi­ka­ler Pro­sta­tek­to­mie kommt jedoch auch noch zwei Jahre nach dem Ein­griff bei fünf bis zehn Pro­zent der betrof­fe­nen Män­ner vor, wobei die in der Lite­ra­tur ange­ge­be­nen Pro­zent­sätze sehr stark schwan­ken. „Eine Detru­sor-Über­ak­ti­vi­tät kann in fünf bis zehn Pro­zent die Ursa­che sein”, fügt Univ. Doz. Gün­ter Pri­mus, Lei­ter der uro­dy­na­mi­schen Ambu­lanz der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Uro­lo­gie in Graz, hinzu. Vor allem die gemischte Belas­tungs- und Dran­gin­kon­ti­nenz berei­tet mit­un­ter dia­gnos­ti­sche Schwie­rig­kei­ten, wobei Pri­mus emp­fiehlt, die Drang­kom­po­nente zuerst zu behan­deln. „Män­ner reagie­ren sen­si­bler auf eine Harn­in­kon­ti­nenz und suchen im Ver­gleich zu Frauen frü­her pro­fes­sio­nelle Hilfe“, berich­tet Pri­mus aus dem kli­ni­schen All­tag. Maders­ba­cher ergänzt: „Vor allem nach einer Ope­ra­tion sind die Män­ner motivierter.“

Bei der Ana­mnese müs­sen Art und Dauer der Sym­ptome ebenso erho­ben wer­den wie Vor­er­kran­kun­gen und Vor­ope­ra­tio­nen. Abge­se­hen davon liegt beson­de­res Augen­merk auf der kör­per­li­chen Unter­su­chung mit abdo­mi­na­ler und rek­ta­ler Unter­su­chung sowie einem gro­ben neu­ro­lo­gi­schen Sta­tus. Beide Exper­ten legen Wert auf einen Harn­be­fund und eine Rest­harn­be­stim­mung. „Ein Mik­ti­ons­pro­to­koll über 48 Stun­den gibt Aus­kunft über die Mik­ti­ons­fre­quenz, Mik­ti­ons­vo­lu­mina, Trink­vo­lu­mina, Harn­drangstärke, Ein­näss- Epi­so­den und Vor­la­gen­ver­brauch“, zählt Pri­mus auf. „Nach Durch­sicht des Bla­sen-Tage­bu­ches und einer Basis­dia­gnos­tik kön­nen bereits 90 Pro­zent aller Inkon­ti­nenzen soweit abge­klärt wer­den, dass eine adäquate kon­ser­va­tive Behand­lung ein­ge­lei­tet wer­den kann“, sagt Maders­ba­cher. Even­tu­ell ist eine erwei­terte Abklä­rung mit­tels Uro­dy­na­mik oder radio­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen nötig.

Bei leich­ten Fäl­len von Dran­gin­kon­ti­nenz reicht oft ein Ver­hal­tens­trai­ning im Sinn eines Bla­sen- und Toi­let­ten­trai­nings. Für die Behand­lung der Dran­gin­kon­ti­nenz ste­hen diverse Medi­ka­mente zur Ver­fü­gung, an ers­ter Stelle Anti­mus­ka­ri­nika. Zum Neben­wir­kungs­spek­trum der Sub­stan­zen gehö­ren Mund­tro­cken­heit, Obs­ti­pa­tion, Visus­be­ein­träch­ti­gung, Tachy­kar­die, Bauch­schmer­zen und Harn­ver­hal­ten. Vor allem bei älte­ren Pati­en­ten mit kogni­ti­ven Beein­träch­ti­gun­gen ist unter gleich­zei­ti­ger Ein­nahme von Cho­li­ne­s­ter­ase­hem­mern Vor­sicht gebo­ten, da sich die kogni­tive Leis­tung wei­ter ver­schlech­tern könnte. „Mit dem Beta3-Sym­pa­tho­mime­ti­kum Mira­be­gron wurde kürz­lich eine neue Sub­stanz­gruppe zur The­ra­pie der Dran­gin­kon­ti­nenz zuge­las­sen”, berich­tet Maders­ba­cher.

Erste Wahl: Physiotherapie

The­ra­pie der ers­ten Wahl bei der Belas­tungs­in­kon­ti­nenz stellt die Phy­sio­the­ra­pie mit Becken­bo­den­trai­ning, Elek­tro­sti­mu­la­tion und Bio­feed­back dar. Auch bei Dran­gin­kon­ti­nenz mit leich­ten bis mit­tel­gra­di­gen Beschwer­den und neu­ro­ge­nen Bla­sen­ent­lee­rungs­stö­run­gen zei­gen Becken­bo­den­übun­gen gute Erfolge. „Die Becken­bo­den­gym­nas­tik sollte mit spe­zia­li­sier­ten Phy­sio­the­ra­peu­ten durch­ge­führt und das Auf­merk­sam­keits- und Mus­kel­trai­ning mehr­mals täg­lich wie­der­holt wer­den“, fasst Pri­mus zusam­men. Ein Trai­ning unter Belas­tungs­be­din­gun­gen und das bewusste Akti­vie­ren des Becken­bo­dens im All­tag ver­bes­sern das Ergeb­nis zusätzlich.

Nach Ver­sa­gen aller kon­ser­va­ti­ven Maß­nah­men und bei gro­ßem Lei­dens­druck kön­nen bei per­sis­tie­ren­der Dran­gin­kon­ti­nenz die intra­ves­ikale Injek­tion von Botu­li­num­to­xin A oder die sakrale Neu­ro­mo­du­la­tion sowie bei der Belas­tungs­in­kon­ti­nenz Ope­ra­tio­nen in Erwä­gung gezo­gen wer­den – wobei sich „der Pati­ent bewusst für die Ope­ra­tion ent­schei­den muss“, wie Pri­mus betont.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2014

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