E-Medikation in Österreich: Pilotversuche starten im Herbst

15.07.2010 | Politik

Ab Ende November 2010 soll in drei Pilot-Regionen das Projekt der E-Medikation als erstes Teilprojekt von ELGA starten. Schon Ende 2011 wird mit einem landesweiten Roll-out gerechnet. Offene Fragen gibt es nach wie vor zur Finanzierung, zum Datenschutz sowie zur Haftung.
Von Ruth Mayrhofer

Mit einer Pressekonferenz und einem Symposium wurde jüngst der offizielle Startschuss für das Projekt E-Medikation gesetzt. Die Pilotierung der E-Medikation ist die erste Pilotierung einer ELGA-Anwendung. Zunächst werden in einem Pilotbetrieb in drei Regionen – Reutte/Zams (Tirol), Wels-Grieskirchen (Oberösterreich) und Wien-Donaustadt – Ärzte, Apotheken, Spitäler und Patienten freiwillig teilnehmen. Dabei soll erprobt werden, wie der online-Check von verschriebenen Arzneimitteln auf Wechselwirkungen mit rezeptfreien Arzneimitteln, die jeder individuelle Patient einnimmt, in der Praxis funktioniert. Auch Mehrfachverschreibungen sollen damit vermieden werden. Ziel ist es, nach einem erfolgreichen Testbetrieb das System Ende 2011 auf ganz Österreich auszudehnen.

Die Kosten für die sechs bis neun Monate dauernde Pilotphase werden rund 3,2 Millionen Euro betragen. Diese werden zu je einem Drittel von Bund, Ländern und Sozialversicherung aufgebracht. Beim landesweiten Roll-out sollen dann die Kassenvertragspartner zur Teilnahme verpflichtet werden. Der Hauptverband erwartet sich eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme an der elektronischen Gesundheitsakte ELGA – die E-Medikation ist dabei das erste große Teilprojekt via das geplante ELGA-Gesetz.

Mit der E-Medikation sollen alle System-Teilnehmer einen einheitlichen, aktuellen Überblick über die Medikation eines einzelnen Patienten bekommen. Der Patient kann einen Ausdruck „seiner“ Liste samt Einnahmemodalitäten erhalten. Das nützt nicht nur ihm selbst, sondern auch zum Beispiel Pflegediensten. Bei einer Dauermedikation erhält der Arzt Einsicht darüber, ob der Kranke seine Arzneimittel regelmäßig bekommen hat.

Datensicherheit als oberstes Gebot

Die technische Basis für die E-Medikation ist das E-Card-System. Die persönlichen Arzneimitteldaten werden aber nicht auf der E-Card, sondern in einem Arzneimittelkonto gespeichert werden. Die E-Card bleibt, was sie derzeit schon ist: ein Zugangsschlüssel und keine Datenkarte per se. Die E-Medikation erlaubt im Zusammenspiel mit Arzt-, Krankenhaus- und Apothekensoftware österreichweit die Abklärung von Medikationsdaten. Diese Abklärung erfolgt entsprechend den Vorgaben für die Verarbeitung von sensiblen Daten. Die Datenüberprüfung erfolgt dabei nicht über das Internet, sondern über das sichere und nur für berechtigte Teilnehmer nutzbare Gesundheitsinformationsnetz (GIN).

Mit der E-Medikation ist es nun in Österreich erstmals möglich, dass Ärzte, Apotheken und Spitäler fächerübergreifend gezielte Informationen über all jene Arzneimittel, die ein spezifischer Patient einnimmt, erhalten. Dies hilft insbesondere bei Spitalsaufnahmen, Erstkonsultationen und stellt – wie der Hauptverband betont – ebenso einen „wichtigen Schritt zur Verbesserung der Schnittstellenproblematik“ dar. „All das dient in erster Linie den Patienten, in zweiter Linie aber auch der Ökonomie“, fasst Martina Anditsch, klinische Pharmazeutin am Wiener Donauspital, zusammen.

Allerdings steckt der Teufel noch immer im Detail: Wie Jochen Schuler, Oberarzt an der Universitätsklinik Salzburg betont, ist „E-Medikation ein wichtiges, neues Werkzeug, um die Arzneimitteltherapie transparenter zu machen. Dieses Tool steckt aber größtenteils noch in den Kinderschuhen und es wird eigene Nebenwirkungen produzieren“. Ob die E-Medikation daher eine nachhaltige Verbesserung der Arzneimitteltherapie-Sicherheit bewirken wird, müsse sich somit erst erweisen. Bei allem berechtigten Optimismus dürfe nicht vergessen werden, dass es genauso andere, weniger technologische Werkzeuge gibt, die unbedingt weiterentwickelt werden müssten. An vorderster Front stünde dabei das Arzt-Patienten-Gespräch und die Zeit, die dafür zur Verfügung steht, mahnt Schuler.

Noch offene Fragen

Für Tirols Ärztekammer-Präsidenten Artur Wechselberger, zugleich Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, stellt die Art der Lösungen zur Anwenderfreundlichkeit in den Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken genauso „kritische Erfolgsfaktoren“ dar wie derzeit noch offene Fragen der Finanzierung, der Haftung und zum Datenschutz. Bei Letzterem geht es um das Regelwerk der Zugriffsberechtigung und der Löschung von nicht mehr benötigten Medikationsdaten. Konkret, so Wechselberger, gäbe es etwa noch immer keine Zusage auf die Forderung der Ärzteschaft, dass im Rahmen des E-Medikation-Pilots und auch später, also nach dem österreichweiten Roll-out, keine Investitions- oder Betriebskosten bei der Ärzteschaft „hängenbleiben“ dürften. Beim Datenschutz gibt es ebenso immer noch einige Fragezeichen; etwa die Anwendung der E-Medikation in den Apotheken, oder die tatsächliche Löschung (nicht lediglich „kein Zugriff mehr“) aller Daten nach sechs Monaten.

Das unterstreicht auch Robert Hawliczek, Kurienobmann-Stellvertreter der Kurie Angestellte Ärzte der Wiener Ärztekammer sowie Obmannstellvertreter und Primarärztereferent der ÖÄK, der in Sachen E-Medikation im Beratungsausschuss arbeitet: „Die Forderung der ÖÄK lautet eindeutig, dass der Zugriff auf alle ELGA-Anwendungen auch nach der Pilotphase für alle Gesundheitsdiensteanbieter (GDA) unentgeltlich sein muss, selbst, wenn eine Verpflichtung zur Teilnahme Gesetz würde. Wenn das letztlich nicht so sein sollte, dann wird es von Ärzte-Seite aus heißen ‚so nicht!‘“ Diese Entscheidung hängt von Gesundheitsministerium, Bund und Ländern ab, die ja die drei Betreiber des Projektes sind. Das ELGA-Gesetz wird demnächst in die Begutachtung gehen; bis kommenden Herbst soll die Gesetzeslage klar sein.

Was die tatsächliche Löschung der gespeicherten Daten nach sechs Monaten anbelangt, ist für Hawliczek die Situation ebenfalls eindeutig: Gemäß Datenschutzgesetz können Daten nur so lange gespeichert werden beziehungsweise bleiben, als sie unmittelbar für den Patienten zu verwenden sind. „Hier ist das nicht der Fall und auch die therapeutische Relevanz ist nicht gegeben“, meint der Experte. Allerdings – und auch das wird Gegenstand weiterer Gespräche sein müssen – haben insbesondere die Sozialversicherung, aber auch die Länder und die Pharmaindustrie Interesse an einer längeren Datenspeicherung. Schließlich lassen sich daraus beispielsweise wertvolle Informationen über Arzneimittelverbrauch oder die regionale Verteilung der Verordnungen gewinnen. „Nochmals: mit therapeutischer Relevanz hat dies aber wirklich nichts zu tun“, betont Hawliczek mit Nachdruck.

Für die ärztlichen Ordinationen ist jedoch die Bedienerfreundlichkeit des Systems von besonderem Belang: Die Zugriffszeiten müssen möglichst kurz und das Handling des Programms so ausgereift sein, um zu ermöglichen, dass den Ärzten bei der Rezeptur kein zeitlicher Mehraufwand entsteht. Dieser Punkt, so Artur Wechselberger, sollte im Rahmen der Pilotierung überprüft werden und in der Folge auch ein wichtiges Evaluierungskriterium sein.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2010