Mul­ti­ple Skle­rose und Migräne: Fort­schritte in der Therapie

25.03.2010 | Medizin

Der als Krebs­mit­tel zuge­las­sene Wirk­stoff Cladribin ver­spricht einer ers­ten Stu­die zufolge enorme Fort­schritte bei der Behand­lung der Mul­ti­plen Skle­rose. Die Schub­ra­ten konn­ten damit um mehr als 50 Pro­zent ver­rin­gert wer­den.
Von Bir­git Oswald

Die neu­es­ten Erkennt­nisse aus der Neu­ro­lo­gie – spe­zi­ell aus dem Bereich der Mul­ti­plen Skle­rose, der Ata­xie sowie der Migräne wur­den im Rah­men eines Vorab- Pres­se­ge­sprächs der 8. Jah­res­ta­gung der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Neu­ro­lo­gie Ende Feber in Wien prä­sen­tiert. Mehr als zehn Pro­zent der öster­rei­chi­schen Bevöl­ke­rung lei­den unter migrä­ne­be­ding­ten Kopf­schmer­zen. Das bedeu­tet nicht nur Leid für die Betrof­fe­nen, son­dern auch zwei Wochen Arbeits­aus­fall pro Jahr. Umso erfreu­li­cher sind die Fort­schritte in der aku­ten Migrä­ne­be­hand­lung. Neben den bewähr­ten Trip­ta­nen eröff­nen die Cal­ci­to­nin Gene Rela­ted Pep­tide-Ant­ago­nis­ten – kurz CGRP – neue The­ra­pie­mög­lich­kei­ten. Der orale CGRP- Rezep­tor­ant­ago­nist MK- 0974 (Tel­ca­ge­pant) blo­ckiert die Bin­dung von CGRP an Rezep­to­ren und hemmt so die Neu­tro­trans­mis­sion auf zel­lu­lä­rer Ebene, ohne den Blut­druck zu erhö­hen oder einen Vaso­konstrik­ti­ons­ef­fekt aus­zu­lö­sen. Im Ver­gleich zu Riz­a­trip­tan konnte der Wirk­stoff einer in „Neu­ro­logy“ publi­zier­ten Stu­die zufolge eine Migrä­ne­at­ta­cke gleich gut unter­bre­chen und hielt sogar län­ger an, ohne jedoch die für Trip­tane typi­schen Neben­wir­kun­gen wie etwa Müdig­keit oder Druck am Brust­korb zu ver­ur­sa­chen. Auch die Wie­der­kehr­rate des Kopf­schmer­zes fiel gerin­ger aus; in Abhän­gig­keit von der Dosie­rung waren zwi­schen 22 und 39 Pro­zent der Pati­en­ten schmerz­frei. „Tel­ca­ge­pant wird wohl die Palette der The­ra­pie­op­tio­nen bei Migräne berei­chern, aller­dings ist der Ter­min der Markt­ein­füh­rung in Europa noch nicht bekannt“ erklärt Priv. Doz. Chris­tian Lampl, Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Kopf­schmerz­ge­sell­schaft. Ende 2010 wer­den erste Daten des lau­fen­den Pro­jekts EUROLIGHT, das euro­pa­weit Kopf­schmerz­da­ten ermit­telt, erwar­tet. Dabei wer­den Erkennt­nisse über die Ver­brei­tung und die Bedeu­tung des Kopf­schmer­zes im All­tag erfasst. 

Auch bei der Mul­ti­plen Skle­rose konn­ten in den letz­ten 15 Jah­ren enorme Fort­schritte in der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie erzielt wer­den. Durch den seit 2006 mög­li­chen Ein­satz von Nata­li­zu­mab konnte die Zahl der Schübe um 70 bis 80 Pro­zent redu­ziert wer­den, gleich­zei­tig stieg aller­dings die Gefahr, an einer pro­gres­si­ven mul­ti­fo­ka­len Leu­koen­ze­pha­lo­pa­thie zu erkran­ken. Des­halb wurde von der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Neu­ro­lo­gie ein Nata­li­zu­mab-Regis­ter ein­ge­führt, wel­ches Wir­kun­gen und Neben­wir­kun­gen erfasst. Die­ses Ver­zeich­nis soll nun für den euro­päi­schen Raum aus­ge­wei­tet und zwei orale Wirk­stoffe in das Regis­ter ein­ge­fügt wer­den: Zum einen das als Krebs­mit­tel zuge­las­sene Cladribin, wel­ches laut ers­ten Stu­dien die Schub­rate bis zu 57,5 Pro­zent ver­min­dern kann und zum ande­ren Fin­go­li­mod, wel­ches schüt­zend auf das Zen­tral­ner­ven­sys­tem wirkt und zur teil­wei­sen Wie­der­her­stel­lung von Gewebe bei­tra­gen könnte. „Zu den Wirk­stof­fen Cladribin und Fin­go­li­mod lie­gen bis heute noch keine Lang­zeit­da­ten vor. Umso mehr gilt es, Vor- und Nach­teile abzu­wä­gen. Vor allem bei Cladribin wer­den Ernst zu neh­mende Neben­wir­kun­gen wie die Ent­ste­hung von Krebs­er­kran­kun­gen zumin­dest dis­ku­tiert“, erklärt Michael Ackerl, Prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Neurologie. 

Im Rah­men der nicht nur bei Mul­ti­pler Skle­rose auf­tre­ten­den Ata­xien kön­nen eben­falls Fort­schritte ver­zeich­net wer­den. Die Stö­run­gen der Bewe­gungs­ko­or­di­na­tio­nen wer­den oft fehl­in­ter­pre­tiert oder nicht erkannt. Gene­tisch bedingte Ata­xien kön­nen anhand von MRT-Unter­su­chun­gen des Gehirns, Unter­su­chun­gen der Augen, des Gleich­ge­wicht­sinns und Stoff­wech­sel­wer­ten, sowie häu­fig durch Genom- Unter­su­chun­gen dia­gnos­ti­ziert wer­den. Dar­auf zie­len künf­tige The­ra­pien ab: „Inzwi­schen gibt es erste ursäch­li­che, gen­ori­en­tierte The­ra­pie­ver­su­che wie zum Bei­spiel bei der Friedreich´schen Ata­xie, der mit 1:50 000 Gebur­ten häu­figs­ten gene­tisch beding­ten Form. Das Fern­ziel ist eine gegen die Ursa­chen der Krank­heit gerich­tete gen­ori­en­tierte The­ra­pie“, weiß Univ. Prof. Ger­hard Rans­mayr, Kon­gress­prä­si­dent und Vize­prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Parkinson-Gesellschaft. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2010