Hypertonie: Angst vor Therapie-Nebenwirkungen

10.02.2010 | Medizin


Angst vor Therapie-Nebenwirkungen

Viele Patienten haben vor den Nebenwirkungen einer Hypertonie-Therapie mehr Angst als vor der Erkrankung selbst. Darin sehen Experten einen der Gründe, wieso viele Betroffene nach wie vor unbehandelt sind. Immerhin weist jeder zweite Österreicher über 50 Jahren einen erhöhten Blutdruck auf. Von Sabine Fisch

Nur jeder zweite Betroffene weiß von seiner Hypertonie; und wiederum nur die Hälfte erhält eine Therapie, die den Ziel-Blutdruckwert erreicht: „Die Hypertonie wird in Österreich eher schlecht therapiert“, konstatiert der Leiter der Klinischen Abteilung für Kardiologie an der Medizinischen Universität Graz, Univ. Prof. Burkert M. Pieske und führt drei Gründe dafür an: Erstens bleibt die Hypertonie oft über lange Zeit unerkannt. Zweitens: Wird sie diagnostiziert, ist die Behandlung häufig unzureichend und Hypertonie tut nicht weh.

Auch der Wiener Nephrologe Univ. Prof. Bruno Watschinger von der Univ.-Klinik für Innere Medizin III am AKH Wien schließt sich der Meinung seines Grazer Kollegen an. Die Ursachen für diese Situation orten die Experten in einem zu geringen Stellenwert der Hypertonie sowohl auf Seiten der Ärzte als auch auf Seiten der Patienten. „Viele Patienten haben mehr Angst vor den Nebenwirkungen einer blutdrucksenkenden Therapie als vor der Hypertonie“, hält Watschinger fest. „Und von ärztlicher Seite gibt es manchmal zu wenig Nachdruck, die Therapie zu verstärken, mehrere Medikamente einzusetzen, um die Zielwerte zu erreichen.“

Gespräche besser honorieren

Burkert M. Pieske sieht dabei ein grundsätzliches Problem des österreichischen Gesundheitssystems. „Das Gespräch mit dem Patienten wird in unserem System von allen Leistungen am schlechtesten honoriert“, ärgert sich der Kardiologe. „Das Einstellen des Patienten auf seine Medikamente, das Hochtitrieren, bis der Zielwert erreicht ist, erfordert häufige Arzt-Patientenkontakte.“ Alle drei bis vier Wochen sollte der Patient seinen Arzt aufsuchen, bis die optimale Medikamentenkombination ermittelt und der Zielblutdruckwert erreicht wurde. „In unserem System wird ein Patient anbehandelt und nach einem halben Jahr kontrolliert. Das reicht nicht aus“, sagt Pieske. Aus diesem Grund wurde von der Gesellschaft für Hypertonie eine DVD für Patienten erarbeitet, die über die Website der Österreichischen Gesellschaft für Hypertonie bestellt werden kann und auch zum Download zur Verfügung steht.

Der Zielwert beim „unkomplizierten“ Hypertoniker liegt bei 149/90 mmHg. Bei zusätzlichen Risikofaktoren wie etwa Typ 2-Diabetes, Koronarer Herzkrankheit, nach einem Schlaganfall, bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz oder bei Nierenproblemen, muss ein Zielwert von 130/80 mmHg angestrebt werden. Den idealen Blutdruckwert geben die Experten mit 120/80 oder 120/70 mmHg an. „Der Goldstandard in der Diagnostik ist die 24-Stunden-Messung“, betont Bruno Watschinger.

Auch das Führen eines Blutdruck-Tagebuchs vom Patienten kann sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie wertvolle Dienste leisten. „Die enge Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient spielt eine wesentliche Rolle, um langfristig die Zielblutdruckwerte zu erreichen“, zeigt sich Burkert M. Pieske überzeugt, der auch bei Ärzten einen Bewusstseinswandel zur Gefährlichkeit der Hypertonie feststellt. „Noch vor gar nicht allzu langer Zeit galt etwa der Bluthochdruck im höheren Lebensalter als normal. Heute ist bekannt, dass das Unsinn ist. Es gibt keinen ‚normalen‘ Altershochdruck.“

Eine suffiziente Therapie der Hypertonie umfasst mehrere Faktoren: die genaue Abklärung der Ursache der Hypertonie, Umstellung des Lebensstils mit täglicher Bewegung und gesunder Ernährung mit dem Fokus auf salzarmer Kost und eine ausreichende medikamentöse Behandlung. „Jeder Arzt sollte bei einer geringgradigen Hypertonie Lebensstilveränderungen als Basisbehandlung vorschlagen. Allerdings darf mit einer medikamentösen Therapie nicht zu lange gewartet werden. Denn je früher man den Blutdruck in den Normalbereich senkt, desto besser kann man den Patienten vor Folgeschäden schützen“, betont Watschinger.

Medikamente unbedingt nötig

Eine ausgeprägte Hypertonie ist – darin sind sich die beiden Experten einig – mit Lebensstil-Veränderungen allein nicht beeinflussbar. Meist reicht auch ein einzelnes Medikament nicht aus, um den Zielblutdruckwert zu erreichen. „Ein milder Hypertonus kann mit einem Medikament eingestellt werden“, meint Pieske. „Liegt aber ein Bluthochdruck ab 160 vor, müssen in den meisten Fällen mehrere Substanzen kombiniert werden, um den Zielwert zu erreichen.“ Als Firstline-Therapie nennt er Diuretika, ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten, Kalzium-Antagonisten und – in Einzelfällen – Betablocker. Welche Kombination zum Erfolg führt, muss mit dem einzelnen Patienten abgestimmt werden. Liegen bereits Folgenschäden wie etwa an der Niere vor, „sollte auf alle Fälle ein Renin-Angiotensin-Hemmer Teil der Therapie sein“, meint Watschinger. Patienten mit Nierenproblemen müssten rigoros auf die gewünschten Zielwerte eingestellt werden. „Die Hypertonie ist ein wesentlicher Faktor für die Nierenfunktionsverschlechterung“, hält Watschinger fest. Nierenpatienten weisen die schwersten Formen der Hypertonie auf und brauchen oft fünf bis sechs Medikamente, bis sie optimal auf den Zielwert eingestellt sind. „Wir dürfen uns aber nicht davor scheuen, diese Medikamente auch zu verordnen, weil wir wissen, dass wir damit das chronische, terminale Nierenversagen hinauszögern können“, weiß der Experte.

Die häufig von Patienten gefürchteten Potenzprobleme als Nebenwirkung einer suffizienten antihypertensiven Therapie sehen sowohl Watschinger als auch Pieske gelassen. „Eine nicht eingestellte Hypertonie stellt wahrscheinlich ein größeres Risiko für Potenzprobleme dar als die medikamentöse Therapie“, sagt Watschinger. Und Pieske meint: „Eine gut eingestellte, blutdrucksenkende Therapie wird die Potenz wahrscheinlich nicht negativ beeinflussen“. Einzig bei Betablockern tritt diese Nebenwirkung relativ häufig auf, weshalb Pieske „einem jüngeren aktiven Mann ohne weitere Risikofaktoren wahrscheinlich den Betablocker nicht als Firstline-Medikament verordnen würde.“ Eine individualisierte Therapie sei laut den Experten allerdings bei jedem Patienten erforderlich, nicht nur um letztlich die angestrebten Zielwerte zu erreichen, sondern auch um die Compliance der Patienten zu optimieren.

Wird der Zielblutdruckwert auch mit einer optimal eingestellten medikamentösen Therapie nicht erreicht, ist Ursachenforschung angezeigt: In etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle liegt eine sekundäre Hypertonie vor wie etwa bei einer Nierenarterien-Stenose oder endokrinen Störungen. Die sekundäre Hypertonie kommt jedoch selten vor und ist in den meisten Fällen heilbar. Liegt allerdings eine essentielle Hypertonie vor und kann der Zielwert trotzdem nicht erreicht werden, muss festgestellt werden, ob der Patient seine Medikamente regelmäßig einnimmt und sich an die vorgeschriebene salzarme Diät hält. Pieske dazu: „Wir haben heute so effektive Antihypertensiva, dass man bei essentieller Hypertonie den Patienten in aller Regel sehr gut einstellen kann“. Dass der Zielwert beim Hypertoniker erreicht werden kann, wenn der Patient straff geführt wird und die Compliance gut ist, davon ist auch Watschinger überzeugt. Sollte es trotzdem Schwierigkeiten bei der Erreichung des Zielwertes geben, sollte abgeklärt werden, ob der Patient gleichzeitig andere Medikamente einnimmt wie etwa nichtsteroidale Antirheumatika; diese können der antihypertensiven Medikation entgegen wirken.

Die medizinische Forschung zur Behandlung der Hypertonie verfolgt mehrere Strategien. „Beforscht werden Substanzen, die in der Hormonkaskade weiter oben ansetzen wie etwa Renin-Inhibitoren, die gerade in großen klinischen Phase III-Studien erprobt werden“, berichtet Pieske. Auch die Genetik könnte in Zukunft eine wesentliche Rolle bei der Diagnose und Therapie der Hypertonie spielen. „Vielleicht wird man in gar nicht allzu ferner Zukunft mittels eines genetischen Tests prognostizieren können, wie der Patient auf bestimmte Antihypertensiva ansprechen wird, was die individualisierte Therapie verbessern und die Zielblutdruckeinstellung erleichtern würde“, so Pieske weiter. Watschinger setzt Hoffnung in die neue Substanzklasse der Renin-Inhibitoren. Auch neue fixe Medikamentenkombinationen sieht der Nephrologe als wesentlichen Bestandteil einer suffizienten antihypertensiven Therapie. Und darüber hinaus wird den Aussagen von Watschinger zufolge derzeit eine Impfung gegen Hypertonie in der klinischen Forschung an Menschen getestet. „Diese Impfung soll sich gegen Angiotensin II richten. Vorläufig ist das allerdings noch Zukunftsmusik“, weiß Watschinger.


Tipp:

www.hochdruckliga.at
Über diese Website und die Hotline 0800 20 20 30 kann man die Patienten-DVD und eine Broschüre kostenlos anfordern.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2010