IHS-Studie: Mehr Hausarzt = weniger Ambulanzbesuche

25.02.2014 | Politik

Wo Patienten häufiger den Hausarzt aufsuchen, nehmen sie weniger oft Ambulanzen in Anspruch. Mit dem Ausbau der Primärversorgung könnten Spitalsambulanzen entlastet werden – zu diesem Schluss kommt eine aktuelle IHS-Studie.Von Marion Huber

Je häufiger Patienten Kassen-Allgemeinmediziner aufsuchen, desto seltener nehmen sie Ambulanzen in Anspruch – das ist eine der Kernaussagen einer kürzlich veröffentlichten Studie des Wiener Instituts für Höhere Studien (IHS). Weil der ambulante Versorgungssektor in Österreich wenig erforscht ist, hat ein Team um Thomas Czypionka, den Leiter des Forschungsbereichs Gesundheitsökonomie und Gesundheitspolitik am IHS, in einem Modell die „Interdependenzen in der ambulanten medizinischen Versorgung in Österreich“ berechnet und analysiert.

Ausgangspunkt waren zunächst international publizierte Studien zur ambulanten Versorgung (siehe Kasten). Was man bei all diesen Studien aber unterscheiden muss – und was laut Czypionka auch oft falsch interpretiert wurde: ob die Anzahl der Ärzte oder deren Inanspruchnahme untersucht wird. „Wir haben nicht die Köpfe der Ärzte gezählt, sondern die Konsultationen und haben diese um soziale Kriterien und Flächen-Parameter bereinigt“, erklärt er. In der überwiegenden Zahl werde laut dem Experten in der internationalen Literatur – aus einem „sehr ökonomischen Grund“ – aber eine andere Frage gestellt: Nämlich wo und unter welchen Umständen sich Ärzte niederlassen.

Zur Situation in Österreich: Für seine Analyse hat das Team des IHS die extramurale Versorgung durch Kassenärzte und Wahlärzte und die intramurale Versorgung – in Form von Spitalsambulanzen über nicht-bettenführende Kostenstellen und stationär über bettenführende Kostenstellen – gegenübergestellt. Um den niedergelassenen Bereich abzubilden, wurden die Daten der Sozialversicherung aus dem Jahr 2010 auf Basis der ambulanten Versorgungseinheiten und Erstkonsultationen herangezogen, für den Spitalsbereich wiederum die Frequenz der ambulanten Patienten und die stationären Aufenthalte. Datengrundlage waren die 121 politischen Bezirke; weitere Modelle wurden auf Basis der 32 Versorgungsregionen sowie der Bezirke ohne Wien erstellt.

Komplexes Modell

Um einen aussagekräftigen Zusammenhang herstellen zu können, mussten sozio-demographische und geographische Einflussfaktoren, die die Auslastung der Sektoren beeinflussen, berücksichtigt werden. In das Modell des IHS sind somit auch Faktoren wie Einkommen, Arbeitslosigkeit und auch die Besiedelung eingeflossen. „In einem so komplexen statistischen Modell, wie wir es verwenden, können wir die Einflüsse all dieser Größen separieren“, erklärt Czypionka. Wäre das nicht möglich, würde man falsch positive Zusammenhänge herstellen.

So könnte es zum Beispiel in einem Gebiet mehr Wahlärzte und auch eine geringere Inanspruchnahme der Ambulanzen geben. In einer einfachen Korrelation würde man daher einen Zusammenhang zwischen Wahlärzten und Ambulanzen annehmen. Unberücksichtigt bliebe dabei, dass in Gebieten mit vielen Wahlärzten auch das Einkommen hoch ist und daher bei beiden Größen lediglich ein Zusammenhang mit dem Einkommen der Bevölkerung besteht. Ähnliches gilt für den Faktor Alter: Ist zum Beispiel die Bevölkerung älter, ist automatisch die Inanspruchnahme von Ambulanzen und Allgemeinmedizinern höher. Um keine falschen Schlüsse zu ziehen, wurden in der IHS-Studie deswegen auch Krankenhäuser berücksichtigt, so Czypionka: „Man muss bedenken, dass dort, wo ein größeres Krankenhaus ist, automatisch die Ambulanzen häufiger in Anspruch genommen werden.“ All diese Variablen mussten im Rahmen der Analyse aber herausgerechnet werden, wie der Experte betont, weil „uns nur der Zusammenhang der Ambulanzen mit der Inanspruchnahme von Fachärzten, Wahlärzten und Allgemeinmedizinern interessiert hat.“

Daher lautete die Kardinalfrage: Inwiefern hängt die Zahl der Ambulanzbesuche von der Versorgung im niedergelassenen Bereich ab? Für Czypionka ist die Hypothese aus der Studie eindeutig: Wo Patienten häufiger den Hausarzt aufsuchen, nehmen sie weniger oft Ambulanzen in Anspruch. Sein Fazit: Man kann die Spitalsambulanzen entlasten, indem man das Potential der Primärversorgung ausschöpft und ausbaut.

Langjährige Forderungen der ÖÄK bestätigt sieht Präsident Artur Wechselberger: „Wir haben es einmal mehr Schwarz auf Weiß, dass eine gut ausgebaute Versorgung durch niedergelassene Ärzte den Zustrom in die Ambulanzen bremst“.

Arzt-Wahl im internationalen Vergleich

Welche Motive ausschlaggebend sind, warum Patienten in der Schweiz, Italien und Großbritannien Allgemeinmediziner, Fachärzte oder eine Spitalsambulanz aufsuchen, war eine weitere zentrale Frage der IHS-Studie. Aber auch die Motive für die Wahl des Niederlassungsorts wurden hinterfragt.

Der ambulante Sektor ist in anderen Ländern wesentlich stärker erforscht als in Österreich. In einer Literaturanalyse hat sich das Team um Thomas Czypionka vom IHS mit dem ambulanten Versorgungssektor in Österreich befasst sowie auch internationale Ergebnisse dargestellt.

So wurde bereits vor mehr als 20 Jahren in einer norwegischen Studie herausgefunden, dass der Ort der Facharztausbildung, der Geburtsort des Ehepartners und das Alter des Arztes eine Rolle bei der Standortwahl für die Niederlassung spielen. Solche persönlichen Entscheidungs-Faktoren sind laut Czypionka „durchaus auch für die Standort-Wahl von österreichischen Ärzten relevant“.

Neben diesen persönlichen Faktoren haben in anderen Ländern aber auch Marktkonditionen Einfluss auf die Wahl der Niederlassung. So wirken sich einer Schweizer Studie zufolge Faktoren wie Bevölkerungs- und Markt-Größe, ein professionelles Klima sowie Weiterbildungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten positiv auf die Ärztedichte in bestimmten Regionen aus. Ist die Ärztedichte – und damit die Konkurrenz – in einer Region bereits hoch, ist eine Neu-Niederlassung für einen Arzt eher unattraktiv. Ebenso zeigte sich, dass sich öffentliche Allgemeinmediziner weniger oft in Gebieten mit einer hohen Ärztedichte niederlassen; bei den Fachärzten ist es genau umgekehrt. Sie lassen sich dort nieder, wo das Bevölkerungswachstum groß ist und Universitätsspitäler angesiedelt sind.

Eine ähnliche Untersuchung zum Wettbewerb zwischen Wahl- und Vertragsärzten hat für Österreich folgendes Bild ergeben: Allgemeinmediziner, die als Wahlärzte tätig sind, lassen sich nicht dort nieder, wo bereits viele Allgemeinmediziner mit Kassenverträgen praktizieren. Für Fachärzte gilt das nicht. Auch gibt es zwischen Wahl-Allgemeinmedizinern und Wahl- Fachärzten keinen Wettbewerb. Im Gegenteil: Durch Zusammenarbeit und Überweisungen profitieren beide von der Nähe zueinander. Im Vergleich zu anderen Ländern spiele der Markt in Österreich eher eine untergeordnete Rolle und sei allenfalls für Wahlärzte relevant, „weil die Standorte durch die ausverhandelten Kassenstellen schon definiert sind“, erklärt Czypionka.

Nicht nur das Angebot von medizinischen Leistungen ist entscheidend für eine ausgewogene Auslastung des ambulanten beziehungsweise stationären Sektors; maßgeblich ist auch, wo Patienten die Leistung nachfragen. Dies wird zu einem großen Teil durch sozio-ökonomische Faktoren beeinflusst, wie eine Untersuchung aus Großbritannien zeigte. So nahmen dort etwa Personen mit höherem Einkommen und einer politisch konservativen Einstellung eher private als öffentliche Leistungen in Anspruch.

Im italienischen Gesundheitssystem – dort dürfen öffentliche Fachärzte nur mit Überweisung aufgesucht werden – wiederum gilt: Je häufiger Patienten Allgemeinmediziner aufsuchen, umso weniger konsultieren sie öffentliche Fachärzte. Dort zeigte sich auch, dass Leistungen von öffentlichen Allgemeinmedizinern, öffentlichen Fachärzten und privaten Fachärzten einander ersetzen. Auch in Italien waren sozio-ökonomische Kriterien entscheidend dafür, welche Patienten welchen Sektor aufsuchten. Personen aus höheren Bildungsschichten suchen weniger oft Allgemeinmediziner auf, gleichzeitig aber häufiger private Fachärzte.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2014