Landarzt – Interview: Carmen Berti-Zambanini: „Von der Wiege bis zur Bahre“

25.04.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Im Interview mit Sophie Niedenzu spricht die Allgemeinmedizinerin und neue Obfrau des Schutzverbandes hausapothekenführender Ärzte, Carmen Berti-Zambanini, über ihre Arbeit als Gemeindeärztin im Bregenzerwald, über Rahmenbedingungen und die Versorgung mit Medikamenten im ländlichen Bereich.

Sie haben seit 2019 eine Ordination mit ärztlicher Hausapotheke in Alberschwende in Vorarlberg. Wie sind Sie zu dieser Stelle gekommen? Ich habe als erste Turnusärztin in Vorarlberg, die verpflichtend in die Allgemeinmedizin musste, in einer Ordination in Alberschwende zu arbeiten angefangen. Der Hintergrund ist der, dass mit Einführung des damals neuen Curriculums die Allgemeinmedizin mit sechs Monaten als Pflichtfach dazugekommen ist – davor war die Wahl für das Fach Allgemeinmedizin freiwillig. Mittlerweile hat sich das ja noch weiterentwickelt und die Dauer, die Ärzte in Ausbildung in der Allgemeinmedizin verbringen, auf neun Monate ausgebaut worden. Der jüngst beschlossene neue Facharzt für Allgemeinmedizin ist ja auch eine Bereicherung und eine große Aufwertung des Faches. In meinem Fall war es dann so, dass ich bereits nach den ersten drei Monaten in der Praxis gefragt wurde, ob ich nicht mit einsteigen wollen würde und mit der Pensionierung meines Kollegen dann die Ordination übernehme. Nach einer kurzen Bedenkzeit habe ich auch zugesagt. Wir haben dann in Folge vier Jahre lang in einem Jobsharing-Modell zusammengearbeitet. Dadurch konnte ich sehr viel lernen, vor allem auch die Abläufe und die Wichtigkeit einer ärztlichen Hausapotheke.

Was zeichnet die Arbeit als Gemeindeärztin im Bregenzerwald aus? Die Ordination ist eine Landarztordination. In dieser Gegend ist die Versorgung der Patienten mit Medikamenten besonders wichtig. Für mich war das damals alles sehr neu, da ich bisher nur im städtischen Bereich gearbeitet habe. Bezüglich der Bewilligung der Hausapotheke hatte ich keine Probleme, diese wurde mir nach Einreichung direkt zugesprochen. Als Gemeindeärztin im ländlichen Bereich sind die Aufgaben sehr vielseitig. Es gibt Bereitschaftsdienste, in denen immer ein Arzt erreichbar ist, an denen ich auch teilnehme. Besonders wichtig sind in unserem Bereich auch die Hausbesuche, die von den Patienten sehr geschätzt werden. Wir machen fast täglich Hausbesuche. Auch Blutabnahmen werden von uns vor der Ordination durchgeführt, sodass die Patienten nicht so früh – falls eine Abnahme im nüchternen Zustand nötig ist – aus dem Haus müssen. Auch durch die sehr vielen 24-Stunden-Betreuungen ist es nötig, viele Hausbesuche zu machen. Denn für die Pflegerinnen ist es meist nicht möglich, mit dem Patienten in die Ordination zu kommen, weil beispielsweise kein Auto zur Verfügung steht.

Wie verläuft die interdisziplinäre Zusammenarbeit? Das ist ein großer Unterschied zum städtischen Bereich. Wir arbeiten im ländlichen Bereich eng mit den medizinischen Berufsgruppen zusammen, wie beispielsweise mit der Hauskrankenpflege oder der mobilen Gerontopsychiatrie. Es besteht ein sehr enger Austausch zu diesen Berufsgruppen, sodass wir den Patienten sehr lange ermöglichen können, zuhause versorgt zu werden. Besonders bei Palliativ-Patienten ist auch die Versorgung mit den Medikamenten besonders wichtig. Wenn diese zum Beispiel aus dem Krankenhaus entlassen werden – am Wochenende – werden die Medikamente durch die ärztliche Hausapotheke abgegeben und können auch direkt erklärt werden.

Welche Defizite gibt es in der ärztlichen Versorgung am Land? Auch am Land haben wir natürlich die besondere Herausforderung mit der Beschaffung der Medikamente. Derzeit sind viele Medikamente nicht immer lieferbar. Ein Vorteil der ärztlichen Hausapotheke ist aber sicher, dass wir auf alternative Medikamente zurückgreifen können. Das Vertrauen der Patienten spielt dabei eine wichtige Rolle. Die Medikamente werden ja wie gesagt direkt vom Arzt übergeben und erklärt, sodass meiner Meinung nach ein viel höheres Vertrauen da ist und damit auch die Bereitschaft, sich auf ein mögliches, anderes Medikament einzulassen und es korrekt einzunehmen. Es wäre eine massive Verschlechterung, wenn die Hausapotheken wegfallen, denn das größte Defizit ist der Mangel an ärztlichen Hausapotheken.

Welche Rahmenbedingungen sollten verändert werden, um die offenen Kassenstellen – insbesondere in der Allgemeinmedizin – nachbesetzen zu können? Für die Nachbesetzung der offenen Stellen würde ich mir wünschen, dass bereits während der Ausbildung mehr von der Allgemeinmedizin und auch von den Ordinationen im ländlichen Bereich gezeigt wird. Die meisten Turnusärzte können sich nicht vorstellen, was in einer Landarztordination gemacht werden muss. Die Betreuung der Patienten ist sehr viel persönlicher. Im Idealfall begleitet ein Landarzt seine Patienten von der Wiege bis zur Bahre. Das ist auch für mich einer der wichtigsten Gründe gewesen, Gemeindeärztin zu werden. Verbesserungspotential sehe ich definitiv auch bei einer besseren entgeltlichen Abgeltung und bei flexiblen Arbeitszeitmodellen sowie leichteren Bedingungen, Ärzte einzustellen. Vor allem für Frauen mit Kinderwunsch sollten die Rahmenbedingungen geändert werden.

Sie sind Obfrau des Schutzverbands der hausapothekenführenden Ärzte Österreichs – wie kann man sich diese Position vorstellen? Als meine Aufgabe als Obfrau des Schutzverbandes der hausapothekenführenden Ärzte Österreichs sehe ich vor allem, dass wir den Kollegen zur Seite stehen, wenn es Veränderungen – wie Ordinationsübernahmen, Pensionierungen, Praxisverlegungen – gibt. Hierbei können sich unsere Mitglieder unkompliziert mit uns in Verbindung setzen und es kann schon in einer frühen Phase eingegriffen werden. Wir bieten eine kostenfreie Rechtsberatung mit unserem Juristen, der auf Apothekenrecht spezialisiert ist und können daher auch schnell effiziente Lösungen anbieten. Aus meiner persönlichen Erfahrung bei einer Übernahme einer Ordination weiß ich, dass es sehr viele rechtliche Dinge zu beachten gibt.

Was wäre das beispielsweise? Grundsätzlich sollten die bürokratischen Herausforderungen reduziert werden. Dazu versuchen wir mit dem Schutzverband eine bessere Hilfestellung zu geben. Es gibt keine Vorlagen für den Antrag für eine ärztliche Hausapotheke. Für mich war es sehr hilfreich, dass ich eine bereits bestehende ärztliche Hausapotheke übernehmen konnte. Denn so wurde ich vom Vorgänger über meine Rechte und Pflichten aufgeklärt, wie zum Beispiel wer Zugang zur ärztlichen Hausapotheke hat, wie ein Suchtgiftbuch zu führen ist, welche Voraussetzungen es für die Kühlung der Medikamente braucht, wie der Raum belüftet werden muss – das sind eigentlich lauter kleine Dinge, die aber zu großen Problemen führen können, wenn hier irgendetwas fehlt. Das wäre auch ein Ziel des Schutzverbandes, dass wir Ärzte schon im Vorfeld beraten möchten. Genau aus dem Grund ist es meiner Meinung nach sehr wichtig, von Beginn an Mitglied beim Schutzverband zu werden.


Schutzverband der hausapothekenführenden Ärzte Österreichs

Der Schutzverband wurde 1947 gegründet und hat seither durchgehend seine Beratungen und rechtlichen Begleitungen bei jeglichen Fragen zum Hausapothekenrecht beantwortet. Mit November wurde der Vorstand neu besetzt. Neben der Obfrau Carmen Berti-Zambanini engagieren sich als ihre Stellvertreter der Salzburger Allgemeinmediziner Manuel Hackl (Unken) sowie der Tiroler Allgemeinmediziner Klaus Schweitzer (Tulfes) im Schutzverband. Der Verein wird im Rahmenvon Praxisgründungsseminaren vorgestellt und organisiert Veranstaltungen zum Thema Landarzt und ärztliche Hausapotheken.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2024