Standpunkt Johannes Steinhart: Schluss mit der Mangelwirtschaft

25.04.2024 | Aktuelles aus der ÖÄK

Obwohl draußen die Temperaturen steigen, dürfen wir den eben zu Ende gegangenen Winter nicht so schnell vergessen, sondern müssen aus gemachten Erfahrungen sinnvolle gesundheitspolitische Lehren ziehen. Wieder einmal hat ein tiefgreifender und langfristiger Medikamentenmangel Österreich in einem Ausmaß beschäftigt, das eines der reichsten Länder der Welt unwürdig ist. Besonders irritierend war, dass vielfach auch Medikamente betroffen waren, bei denen eine starke Nachfrage in der Erkältungszeit absehbar war. Dass nämlich im Winter verstärkt Antibiotika, Husten- und Fiebersäfte für Kinder oder Schmerzmittel benötigt werden, sagt schon der Hausverstand. Gerade diese Medikamente wurden aber schmerzlich vermisst.

Viele dieser Engpässe hatten mit unserer Abhängigkeit von Produktionsstandorten in Asien zu tun. Einige Mängel hatten rein österreichische Wurzeln: Obwohl auch die Infektionswellen von COVID und Influenza alles andere als überraschend gekommen sind, hat es Gesundheitsminister Rauch längere Zeit nicht geschafft oder nicht für nötig befunden, für ausreichend verfügbare Impfstoffe sowie für das antivirale Medikament Paxlovid zu sorgen. Das war ein gravierendes gesundheitspolitisches Versäumnis.

Die Politik muss künftig ihre Verantwortung wahrnehmen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger ausreichend medikamentös versorgt werden können. Kranken Menschen ist es in einem reichen Land nicht zumutbar, medikamentös nicht behandelt oder unterbehandelt zu werden, obwohl es geeignete Medikamente zwar gibt, diese aber nicht verfügbar sind. Und es ist Ärztinnen und Ärzten nicht zumutbar, ihre Patienten nicht angemessen behandeln zu können, weil die Politik keine geeigneten Rahmenbedingungen dafür schafft.

Angesetzt werden muss etwa bei strukturellen Problemen: Wir brauchen mehr Unabhängigkeit von Lieferketten aus Übersee, die sich schon in der Pandemiezeit als äußerst fragil erwiesen haben. Parallelexporte müssen verboten werden.

Ganz generell sollten wir die österreichische Niedrigpreis- und Erstattungsstrategie bei Medikamenten hinterfragen. Die Unternehmen produzieren hier oftmals nahe an der Wirtschaftlichkeitsgrenze und lassen es schließlich bleiben. Dann wird das Spektrum verfügbarer Medikamente noch enger – und der nächste Winter kommt bestimmt.

Dr. Johannes Steinhart
Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2024