MUKIPA neu: Erfolg mit Wermutstropfen?

10.10.2011 | Politik


Erst vor kurzem wurden – auch auf Betreiben der ÖÄK – die Leistungen des MUKIPA um eine Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft, einen HIV-Test und einen Glukose-Toleranz-Test erweitert. DA besonders nach dem zweiten Lebensjahr die MUKIPA-Untersuchungen rapide abnehmen, wird neuerlich über Anreizsysteme nachgedacht.

Von Ruth Mayrhofer

In Österreich wurde der MUKIPA im Jahr 1974 auf Initiative von Bundeskanzler Bruno Kreisky und Gesundheitsministerin Ingrid Leodolter eingeführt mit dem Ziel, die Kindersterblichkeit zu senken. Mit großem Erfolg: Seitdem ist die Säuglingssterblichkeit von 23,5 Promille (1974) auf 3,8 Promille (2009) gesunken. Außerdem konnte die Müttersterblichkeit seit 1974 von 19,5 auf 5,2 (2009) bezogen auf 100.000 Lebendgeborene reduziert werden. Was die durchgeführten Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen betrifft, wurden 2009 insgesamt 1.100.963 Sonderleistungspositionen abgerechnet. Das betrifft alle Schwangeren- und Kindesuntersuchungen. Schwangerenuntersuchungen werden demnach zu 60 bis 70 Prozent in Anspruch genommen. Kindesuntersuchungen werden anfänglich zu 80 Prozent genutzt, nach dem ersten Lebensjahr kommt es langsam zu einem Absinken. Die für die Schwangeren und Eltern von Kleinkindern dadurch entstehenden Untersuchungskosten von etwa 50 Millionen Euro pro Jahr sind für die Betroffenen kostenlos, sie sind jedoch an die Leistungen des Kinderbetreuungsgeldes gebunden. Die Finanzierung erfolgt zu zwei Drittel aus Bundesmitteln (Familienlastenausgleichsfonds), und wird zu einem Drittel von den Sozialversicherungsträgern übernommen. Erst vor kurzem wurden die Leistungen auch auf Betreiben der ÖÄK um eine Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft, einen HIV-Test und einen Glukose-Toleranz-Test erweitert.

Der neue MUKIPA ist in einer Auflage von 100.000 Stück erschienen. Er besteht aus drei Teilen: dem Mutter-Kind-Pass als „Hauptdokument“, einer Begleitbroschüre und einer Impfinformation. Die Verteilung erfolgt über die Gesundheitsämter der Bundesländer an die ausgebenden Stellen: niedergelassene Ärzte und Abteilungen für Gynäkologie.

MUKIPA: Was neu ist

Die im MUKIPA enthaltenen Informationen wurden zur Gänze überarbeitet, wobei die grundsätzliche Gliederung in die Kapitel Schwangerschaft – Geburt – Das Baby – Rechtliche Fragen – Anlaufstellen und Broschüren – beibehalten wurde. Der Praxisteil mit alltagstauglichen Tipps wurde erweitert. Neu gestaltet wurden unter Mitarbeit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) die Texte über Ernährung und Getränke. Auch die Österreichische Ernährungspyramide für Schwangere, die die besonderen Bedürfnisse in der Schwangerschaft berücksichtigt, ist in der Broschüre enthalten. Neu aufgenommen wurden die Kapitel Ambulante Geburt und Hausgeburt.

Neu ist genauso eine Broschüre zum Thema Impfen mit den wichtigsten Informationen dazu in allgemein verständlicher Form. Enthalten sind alle Impfungen, die im Rahmen des Kinder-Impfprogrammes kostenlos zur Verfügung gestellt werden (Sechsfach-Impfung, Rotavirus, Masern-Mumps-Röteln-Impfung) sowie jene, die dringend empfohlen werden, jedoch privat bezahlt werden müssen (Meningokokken, Pneumokokken). Zusätzlich gibt es Erklärungen zu den einzelnen Erkrankungen und deren Auswirkungen. Durch die Mitarbeit der Österreichischen Gesellschaft für Kinderheilkunde gilt die medizinische Evidenz als gesichert. Dem Mutter-Kind-Pass angeschlossen ist außerdem der Internationale Impfpass, der die Dokumentation der durchgeführten Impfungen ermöglicht.

Ärzte in die Pflicht nehmen!

Besonders was die psychologische Gesundheit anbelangt will Klaus Schmitt, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) die Haus- und Kinderärzte quasi als „Gate-keeper“ zunehmend in die Pflicht genommen wissen. Deswegen will die ÖGKJ künftig vermehrt entsprechende Schulungen anbieten, damit diese Arztgruppen verstärkt psychosoziale Defizite erkennen und – bei Bedarf – die betroffenen Kinder und deren Eltern an entsprechende Fachärzte oder Psychologen weiter überweisen.

Klaus Schmitt hält außerdem die Erweiterung um die Impfinformationen für einen besonders wichtigen Baustein des MUKIPA, da in Österreich eine gewisse Impfmüdigkeit um sich greift. Um dieser zu begegnen, wünscht sich Schmitt eine zunehmende Sensibilisierung der Ärzteschaft: „Jeder Arzt sollte bei jedem Patientenkontakt auf die Impfungen hinweisen.“ In einem Umfeld, in dem vormals schwerste und lebensbedrohliche Krankheiten und deren Folgen dank Impfungen nicht mehr im Gedächtnis der Menschen sind und Eltern meist den Nutzen der Impfung unter-, hingegen die Risiken überbewerten, wäre dies „zumindest ein wichtiger Schritt“. Ein anderer Aspekt bereitet dem Pädiater Sorgen. „Nach dem zweiten Lebensjahr nehmen die MUKIPA-Untersuchungen rapide ab“, weiß Schmitt. Er vermutet, dass dabei insbesondere Familien aus sozial schwächeren Schichten in ihrem Untersuchungsverhalten „nachlassen“.

Kreatives Denken und Anreize gefragt

Sehr nüchtern beurteilt diesen Umstand Dietmar Baumgartner, Bundesfachgruppenobmann für Kinder- und Jugendheilkunde der ÖÄK: „Dieser Knick war zu erwarten, weil das vormalige Bonifikationssystem weggefallen ist“, und: „ohne Geld geht gar nichts“. Baumgartner plädiert daher – wie auch Schmitt – massiv für die Wiedereinführung eines Anreizsystems, wobei jedoch kreatives Denken gefordert sei: „Man muss ja nicht das Gleiche machen wie vor 25 Jahren.“ Ins gleiche Horn stößt sein Kollege Georg Braune, Bundesfachgruppen-Stellvertreter für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in der ÖÄK, der sogar ein negatives Anreizsystem befürworten würde, weil aus seiner Sicht „ein positives wahrscheinlich nicht leistbar“ ist.

Nicht unzufrieden, aber …

Insgesamt ist man seitens der ÖÄK mit dem erneuerten MUKIPA nicht unzufrieden, wenn es auch noch Nachbesserungsbedarf gibt. Bernhard Auer, Fachgruppenobmann für Gynäkologie in der Tiroler Ärztekammer, hat die Entstehung des Papiers in der entsprechenden Arbeitsgruppe für die ÖÄK mitverfolgt: „Leider war es aus finanziellen Gründen nicht durchsetzbar, die interne Untersuchung der Schwangeren, wie sie im MUKIPA nach wie vor vorgesehen ist, in eine generelle Vorsorgeuntersuchung – wie es den Vorstellungen der ÖÄK entspricht – umzuwandeln. Dies würde jedoch bei sehr jungen beziehungsweise späten Erstgebärenden viel Sinn machen.“ Daher dürfe man beim MUKIPA nicht nachlassen, schrittweise immer wieder Veränderungen im Sinne von Verbesserungen durchzuführen und müsse vermehrt auch die niedergelassenen Fachärzte für Gynäkologie und Geburtshilfe, die ja die große Masse der Schwangeren betreuen, in diese Prozesse einbinden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2011