Wenn Ärzte Spitäler leiten: Medizin & Management = Erfolg

25.10.2011 | Politik

Spitäler mit einer hohen Anzahl an ärztlichen Führungskräften schnitten bei einer Evaluierung des Managements um 50 Prozent besser ab als andere. Dadurch nimmt nicht nur die Qualität der Gesundheitsversorgung zu, die Spitäler arbeiten sogar effizienter.
Von Marion Huber

In Österreich ist die Organisation der Spitäler durch die kollegiale Führung, bestehend aus ärztlichem Direktor, Direktor des Pflegedienstes, Verwaltungsdirektor und technischem Direktor, strukturiert. Damit hat sich das Führungskonzept immer weiter von der Ärzteschaft weg und hin zu den administrativen und betriebswirtschaftlichen Disziplinen entwickelt – was direkte Auswirkungen auf die Spitäler hat, wie Studien belegen.

Ist die kollegiale Führung dennoch zeitgemäß? Dass sie zumindest ein „gutes Modell“ ist, sagen Univ. Prof. Petra Kohlberger, Vorständin für Medizin und Pflege der KAGes (Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft) und Ingrid Federl, ärztliche Direktorin des LKH Steyr. Allerdings mit einer Einschränkung, wie Kohlberger betont: „Nur wenn die Balance zwischen Medizin, Pflege und Verwaltung stimmt!“ Auch für Federl ist es wichtig, „dass in der Führung alle Sichtweisen berücksichtigt werden“. „Damit wird die kollegiale Führung aber zu einer Gratwanderung, bei der man um Lösungen ringen und einen Konsens finden muss“, zeigt Kohlberger die Schattenseiten auf. Denn wenn die Betriebswirtschaft die Oberhand bekäme und die Medizin und Pflege einen Schritt zurücktreten müssten, wäre das „nicht im Sinne der Patienten und Mitarbeiter!“

Besonders angesichts des wachsenden ökonomischen Drucks, der geforderten Einsparungen und des zunehmenden Ärztemangels steht das Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen; auch ein Überdenken der Führungsstrukturen ist daher angebracht. So heißt es im Artikel „When clinicians lead“, der im Februar 2009 in McKinsey Quarterly, einer Fachzeitschrift für Management und Betriebswirtschaft, publiziert wurde, dass nur Ärzte in der Lage sind, künftig solche Führungsrollen zu übernehmen – sie treffen nicht nur direkt am Patienten und im Spital jene Entscheidungen, welche die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung ausmachen, sondern verfügen auch über das Fachwissen, um sinnvolle Strategien für die Zukunft des Gesundheitswesens zu entwickeln.

Qualität und Effizienz

Ein positives Beispiel aus dem genannten Beitrag: Eine Abteilung des US-amerikanischen Kriegsveteranen-Ministeriums, die Veterans Health Administration, schrieb Mitte der 1990er Jahre so schlechte Zahlen, dass sie kurz vor der Schließung stand. Als ein Arzt die Leitung übernahm, strukturierte er die Abteilung komplett um. Bald darauf war das Kriegsveteranen-Ministerium bei der klinischen Qualität führend: Das Sterberisiko der über 65-jährigen Männer, die von dessen Einrichtungen behandelt werden, liegt 40 Prozent unter dem US-amerikanischen Durchschnitt; die Patientenzufriedenheit stieg auf 83 Prozent und war damit zwölf Prozent über dem Durchschnitt – und das, obwohl sich die Patientenzahlen in den darauffolgenden zehn Jahren verdoppelten.

Dieser positive Entwicklungstrend durch ärztliche Führung wird durch eine weitere Studie („Management in Healthcare: Why good practice really matters“) belegt, die von McKinsey&Company und der London School of Economics unter Mitarbeit von Akademikern der US-amerikanischen Universitäten Stanford und Harvard im Jahr 2010 erstellt wurde. Dafür wurden im Jahr 2006 zunächst 104 Spitäler des National Health Service (NHS) und 22 private Spitäler in Großbritannien untersucht; 2009 wurde die Forschung auf 1.194 Spitäler in den USA, Kanada, Schweden, Deutschland, Frankreich und Italien ausgeweitet. Um das Management zu evaluieren, wurden doppelblinde Befragungen der Abteilungs- und Bereichsleiter und der Krankenhausmanager durchgeführt. Laut den Forschungsergebnissen schnitten Spitäler mit einer hohen Anzahl an ärztlichen Führungskräften um 50 Prozent besser ab als andere. Jene Spitäler, an deren Spitze ein Arzt steht, hatten insgesamt bessere Bewertungen beim Management. Daraus schlossen die Studienautoren, dass Führungskräfte, die aus der Medizin kommen, den Spitalsbetrieb scheinbar besser verstehen und ärztliches Personal dadurch auch besser führen können.

Als ärztliche Direktorin des Krankenhauses Hietzing in Wien kann Brigitte Ettl das nur bestätigen: „Ein Arzt als Führungsperson – vorausgesetzt er hat eine entsprechende Management-Ausbildung – hat mit Primarärzten eine ganz andere Gesprächsbasis als jemand, der aus der Wirtschaft kommt. Hier gibt es eine gemeinsame Gesprächsebene und einen gemeinsamen übergeordneten Zweck, nämlich die Behandlung des Patienten.“ Ettl ist zutiefst überzeugt davon, dass die kollegiale Führung somit „alles andere als ein zeitgemäßes Modell“ ist.

Die Entscheidung, Medizin und Management zu trennen, ist demnach falsch – denn gerade die Kombination von klinischer Erfahrung und Managementfähigkeiten ist den Ergebnissen zufolge der Schlüssel zu besserem Krankenhaus-Management. Die Studien zeigen: Ärztlich geprägte Führungsstrukturen in Spitälern erhöhen die Qualität und Produktivität der Gesundheitsversorgung. Besonders in Zeiten von unterbesetzten Spitalsabteilungen, Einsparungen und Ärzten, die in großer Zahl abwandern, ist es an der Zeit, die Führungsstrukturen zu überdenken – ein Erfolgsmodell scheint gefunden.

Tipps:

Management in Healthcare:

Why good practice really matters (2010)
http://worldmanagementsurvey.org

The McKinsey Quarterly:
When clinicians lead (Februar 2009)
www.mckinseyquarterly.com

Interview – Univ. Doz. Robert Hawliczek

„Untaugliches Modell“

Wie Krankenhäuser von einem Arzt an der Spitze profitieren und was sich dafür an der österreichischen Führungsstruktur ändern muss, erklärt Univ. Doz. Robert Hawliczek, Referent für leitende Ärzte der Ärztekammer für Wien, im Gespräch mit Marion Huber. Für ihn stellt die kollegiale Führung ein „untaugliches Modell“ dar.

ÖÄZ: Welche Vorteile hat es, wenn ein Arzt an der Spitze eines Spitals steht?
Hawliczek: Durch die Kombination von klinischem Fachwissen – also Erfahrung an der Patientenfront – und Managementwissen werden nicht nur die Qualität und das Personalmanagement verbessert, sondern auch die Kosten gesenkt. Es würde wesentliche ökonomische Vorteile für das Krankenhaus bedeuten, weil das Geld und die Ressourcen auch dort ankommen, wo sie wirklich hingehören, nämlich beim Patienten. Verschiedenste, auch empirische Studien belegen das.

Wenn die Vorteile auf der Hand liegen, warum hat sich das Modell nicht durchgesetzt?

Wir haben das Problem, dass es gegenüber Ärzten in Führungspositionen massive Vorurteile gibt: So heißt es etwa, Ärzte könnten nicht managen, wären Kostenverursacher und hätten geschäftliche Interessen. Ein weiteres Dogma, das von den Krankenkassen kommt, ist, dass Ärzte als Gesundheitsdienste-Anbieter von den Zahlern streng getrennt werden müssen und wir Ärzte daher nicht mitreden dürfen. Ein Punkt, der vollkommen absurd ist und in den Studien auch klar widerlegt wird.

Was ist das Problem an den Führungsstrukturen in österreichischen Spitälern?
Unsere verkrusteten Strukturen haben so viele Störfaktoren eingebaut, die ärztlichen Führungskräften im Weg stehen, sodass sie kaum Spielraum haben, um zu managen. Das Einzige, was uns Ärzten bleibt, sind die Verantwortung und die Konsequenzen – die dürfen wir uneingeschränkt tragen. Wir haben aber keine Möglichkeit, etwa den Personaleinsatz und die Dienstzeiten den strukturellen Notwendigkeiten im Sinn der Patientenversorgung anzupassen. Das Modell der kollegialen Führung steht all den Erkenntnissen aus den Studien absolut entgegen – es ist ein vollkommen untaugliches Modell. In anderen Ländern, wie etwa in Italien, müssen Krankenhäuser sogar per Gesetz von einem Arzt geleitet werden.

Was muss sich also Ihrer Meinung nach ändern?
Was wir brauchen, sind Bereiche – egal ob Stationen, Abteilungen etc. – die relativ autonom sind und von ärztlichen Managern geführt werden. Diese Manager müssen dort einen entsprechenden Entscheidungsfreiraum etwa vom Personal bis hin zum Budget haben. Das sind Modelle, die funktionieren und ökonomisch sind, weil sie sich direkt an den Bedürfnissen der Patienten orientieren, anstatt sinnlose Umwege zu machen. In Österreich ist das leider absolut nicht gegeben. Dem stehen nämlich Hierarchien oder falsch verstandene Standesdünkel entgegen. Aber: Wenn man über Ökonomisierung von Spitalsbetrieben nachdenkt – ohne Leistungsverlust, wie das immer gepredigt wird – ist es entscheidend, auch über die Strukturen und die Entscheidungsträger nachzudenken.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2011