Interview – Dr. Gerhard Postl: Mit Analgetika zum Sieg

10.10.2010 | Medizin

Rund ein Drittel aller Hobbysportler greift zur rezeptfreien Schmerzmitteln und Antirheumatika, wenn sie ihre Leistungsgrenzen überschreiten wollen, erklärt Gerhard Postl, Anti-Doping-Beauftragter der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, im Gespräch mit Birgit Oswald.


Welcher Trend zeichnet sich bezüglich Doping im Freizeitsport ab?

Man muss generell zwischen der Anwendung von Doping-relevanten Substanzen wie Erythropoetin oder Anabolika und Arzneimittel-Missbrauch von Medikamenten unterscheiden. Doping-relevante Substanzen werden eher im Kraftsportbereich eingenommen, Arzneimittel-Missbrauch betrifft wiederum Ausdauer-Sportarten. Der Anteil an Ausdauersportlern, der Doping-relevante Substanzen konsumiert, ist eher gering, der genaue Prozentsatz unklar. Es gibt aber Schätzungen, die von einem Anteil von bis zu 30 Prozent ausgehen. Außerdem sind diese Mittel teilweise sehr kostenintensiv. Eine dreiwöchige Kur mit Erythropoetin beispielsweise kostet schätzungsweise zwischen 4.000 und 5.000 Euro.

Und wie sieht es beim Arzneimittel-Missbrauch aus?
Der Arzneimittelmissbrauch spielt eine bedeutend größere Rolle. Dabei kommen vor allem Medikamente zum Einsatz, die man rezeptfrei in der Apotheke oder beim Hausarzt bekommt. Diese Medikamente stehen nicht auf der Dopingliste, die sind also auch im Spitzensport nicht verboten. Dazu zählen Schmerzmittel wie Aspirin oder Antirheumatika wie Voltaren oder Ibuprofen. Manche Sportler nehmen zusätzlich einen Magenschutz ein, um die Nebenwirkungen abzuschwächen.

Welche Sportarten im Hobbybereich sind vor allem betroffen?
Alle Sportarten, die weit über die physiologische Leistungsfähigkeit des Menschen hinausgehen, wie Ultra-Marathonbewerbe im Laufsport und Radfahren. Ich glaube nicht, dass der Mensch dafür vorgesehen ist, stundenlang Rad zu fahren oder Hunderte Kilometer zu laufen. Mit der Einnahme von Schmerzmitteln wie Voltaren versuchen vor allem Ausdauersportler, die Schmerzsymptomatik zu unterdrücken. Durch diesen Über-Ehrgeiz wird der Schmerz, der ein Schutzreflex des Körpers ist und zum Abbruch des Trainings auffordern sollte, übergangen und weiter trainiert. Ich bezeichne das gerne als indirektes Doping. Bei einer Verletzung sollte überhaupt nicht trainiert, sondern ausgeruht werden. Ich schätze, dass 30 bis 35 Prozent der leistungsorientierten Hobbysportler zu Mitteln wie Aspirin oder Voltaren greifen, die Dunkelziffer ist hier sehr hoch. Konkrete Studien gibt es aber nicht.

Zu welchen Substanzen greifen Kraftsportler?
Kraftsportler interessieren sich kaum für Schmerzmittel, sie konsumieren eher Doping-relevante Substanzen. Wie viel davon eingenommen wird, ist unklar. Laut einer deutschen Studie in Darmstadt, die den Anabolika-Missbrauch in den Fitnessstudios untersucht, nehmen 20 bis 25 Prozent der Hobbykraftsportler Substanzen wie Anabolika ein, das entspricht etwa einer Million Menschen. Es wird gemunkelt, dass hier auch schon EPO-Präparate im Umlauf sind. Über die Nebenwirkungen dürften sich die Hobbysportler aber kaum im Klaren sein.

Gibt es Auffälligkeiten beim Geschlechterverhältnis oder bei der Altersstruktur?

Das Geschlechterverhältnis beträgt etwa 3:1 bis 4:1, wenn nicht noch höher. Es überwiegt also eindeutig der männliche Anteil. Von der Altersstruktur her kann man sagen, dass 20- bis 40-jährige Kraftsportler eher Dopingmittel wie Anabolika einnehmen, um möglichst schnell Trainingserfolge sichtbar zu machen. Ab 50 betreiben Hobbysportler vermehrt Ausdauersportarten und greifen eher zu Medikamenten wie Aspirin, um die eigenen Leistungsgrenzen überschreiten zu können. Hier spielt das mittlere Lebensalter eine Rolle: Die Sportler wollen sich noch einmal etwas beweisen und ihre Alterserscheinungen durch Medikamentenmissbrauch überspielen.

Werden die Mittel akut während dem Sport oder prophylaktisch eingesetzt?
Aspirin etwa wird häufig akut eingesetzt, folglich bekommen vor allem Ausdauersportler Gastritis, wenn sie sich überanstrengen. Im schlimmsten Fall kommt es zu Magenblutungen. Dabei ist aber unklar, wie hoch die Dosis ist, die die Sportler einnehmen. Eine Dunkelziffer besagt, dass manche Ausdauer-Hobbysportler zwischen vier und sechs Schmerztabletten schlucken.

Ist den Sportlern bewusst, dass sie Medikamentenmissbrauch praktizieren?
Es müsste ihnen eigentlich bewusst sein, da die Nebenwirkungen in den Beipackzetteln erläutert sind. Ich glaube, bei den Hobbysportlern gibt es Fanatiker, die die Risiken sehr wohl kennen, diese aber in Kauf nehmen, und es gibt solche, die auf Empfehlung Schmerzmittel nehmen. Leistungssteigernd sind diese Schmerzmittel aber nicht direkt, sondern nur indirekt, da man dadurch über die eigene Grenze gehen kann, die durch den Schmerz bestimmt ist. Meiner Erfahrung nach sind aber auch Profisportler zu wenig aufgeklärt. Radrennfahrer Bernhard Kohl etwa hatte in seinen Interviews angeblich keine Ahnung von den Nebenwirkungen. Er war nur über den Benefit informiert, der ihm durch die Mittel zuteil wurde.

Bei welchen Symptomen soll der Hausarzt Doping oder Medikamentenmissbrauch in Erwägung ziehen?
Wenn ein Patient eine schwere hämorrhagische Gastritis hat und bekannterweise intensiv Hobbysport betreibt, wäre es ratsam, nachzufragen, ob er Schmerzmittel einnimmt. Die Gastroskopie bleibt ihm aber nicht erspart. Eine Gastritis kann sich aber auch ohne Aspirin oder Volatren entwickeln, man muss hier sehr vorsichtig sein. Kommt ein Patient mit einer akuten Sportverletzung und erhält Schmerzmittel verschrieben, muss man betonen, dass diese nur solange einzunehmen sind, wie der Schmerz besteht. Diese Aufklärung findet aber normalerweise sowieso statt. Auch in den Packungsbeilagen stehen diese Empfehlungen.

Welche typischen Symptome werden durch Anabolika-Missbrauch verursacht?

Eine klare Symptomatik gibt es anfänglich bei Anabolika-Missbrauch nicht. Bei Kraftsportlern zählt oft der Eindruck, den der Arzt vom Patienten hat. Oft schöpfen Ärzte im Rahmen einer Gesundenuntersuchung Verdacht. Es liegt dann am Arzt, die Thematik vorsichtig anzusprechen und es ist ratsam, sich die Leber- und Nierenwerte anzuschauen. Bei EPO gibt der Hämatokrit Aufschluss über eventuellen Doping-Konsum.

Woher beziehen Hobbysportler ihre Dopingmittel?
Anabolika werden meist aus privatem Handel bezogen. Der Internethandel sollte auf Grund des neuen Antidopinggesetzes und durch die Zollkontrollen eingeschränkt sein. Sonst funktioniert das meist über Trainingspartner oder illegale Kanäle.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2010