HNO-Infektionen bei Kindern: Antibiotika richtig verordnen

25.09.2010 | Medizin


Kindern werden bei Infektionen im HNO-Bereich oft zu schnell Antibiotika verschrieben. Dass ihr Einsatz jedoch bei klassischen Indikationen – wie einer akuten Mittelohrentzündung – notwendig ist, um Komplikationen zu vermeiden, wird heute bei der Behandlung oft außer Acht gelassen.
Von Corina Petschacher

Im Alter von drei bis acht Jahren sind HNO-Infektionen bis zu dreimal pro Jahr normal. Dabei kommt es aber auch darauf an, welches Organ des HNO-Traktes von der Infektion betroffen ist. Wenn ein Kind dreimal im Jahr eine Mittelohrentzündung habe, sei das zu viel und müsse vom HNO-Arzt abgeklärt werden, habe es jedoch dreimal im Jahr Halsschmerzen, dann sei das normal. Bei häufiger Beteiligung der Ohren sollte also an einen Ohrenarzt überwiesen werden, denn hinter gehäuften Mittelohrentzündungen stecke oft ein Seromucotympanon beziehungsweise Adenoide, die operativ entfernt werden können, erklärt Univ. Prof. Renate Skoda-Türk, Leiterin der HNO-Abteilung des Wiener SMZ Ost-Donauspital. Zu den wichtigsten und häufigsten Krankheiten im HNO-Bereich in der Kinder und Jugendheilkunde zählen neben der akuten Rhinitis, Ohrenentzündungen, wie Otitis externa und media, das Seromucotympanon und die Tonsillitis.

In einer großen US-amerikanischen Studie bei niedergelassenen Ärzten wurde vor einiger Zeit festgestellt, dass die Dauer einer Mittelohrentzündung durch die Gabe von Antibiotika nicht wesentlich verkürzt wurde. Allerdings wurde in dieser Studie weder differenziert, ob es sich um eine klassische Mittelohrentzündung mit hohem Fieber, um eine fieberfreie, beginnende Mittelohrentzündung oder gar um ein möglicherweise als Mittelohrentzündung interpretiertes Seromucotympanon handelte. Vermutlich aufgrund dieser Tatsache ist man in der Kinderheilkunde in den letzten Jahren davon abgegangen, bei einer Mittelohrentzündung Antibiotika zu verschreiben. Was aber außer Acht gelassen wurde, sind die Komplikationen die sich aus einer nicht ausreichend behandelten Mittelohrentzündung ergeben können.

„Das, was wir sehen, ist, dass in den letzten Jahren die Komplikationen von Mittelohrentzündungen wieder gehäuft auftreten, weil entweder gar keine Antibiotika gegeben werden, oder die Einnahme zu kurz und zu gering dosiert gehalten wurde“, erklärt Skoda-Türk. Zeigt sich das Vollbild einer Otitis media, sollte ein Antibiotikum in der entsprechenden Dosierung zehn Tage lang verschrieben werden. Wird die Mittelohrentzündung nicht richtig therapiert, kann das Ganze nach rund zehn Tagen wieder aufflackern und oft mit schweren Komplikationen verbunden sein wie zum Beispiel mit einem Hirnabszess, einer Meningitis, mit Hörverlust, Schwindel oder einer Facialisparese. „Alles Dinge, die man vermeiden hätte können, wenn man ein Antibiotikum lange und hoch dosiert genug gegeben hätte. Diese Komplikationen häufen sich in den letzten Jahren deutlich, weil weniger Antibiotika bei Mittelohrentzündungen gegeben werden,“ berichtet die Expertin aus dem Alltag.

Erwachsene versus Kinder

Den Hauptunterschied zwischen Kindern und Erwachsenen in der HNO-Heilkunde stellt die Problematik der zu großen Adenoide bei vielen Kindern dar, die den Nasen-Rachenraum so verlegen, dass das Mittelohr zu wenig Luft bekommt. Dadurch entsteht ein Unterdruck im Mittelohr, da die Luft von der Schleimhaut resorbiert wird und durch diesen Unterdruck Gewebsflüssigkeit ins Mittelohr eingesaugt wird. Durch die Flüssigkeitsansammlung hört man schlechter; steht diese Flüssigkeit länger, dickt sie ein, wird mukös und schleimig. So entsteht ein Seromucotympanon. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Infektion; die Flüssigkeit ist steril, bietet aber einen guten Nährboden für Keime. Wenn ein Kind unter diesen Umständen einen Schnupfen bekommt, sind plötzlich Keime vorhanden, treffen auf diesen Nährboden und es entsteht eine Mittelohrentzündung. Das einzige, was man bei wiederholten Mittelohrentzündungen machen könne, sei laut Skoda-Türk die Adenoide zu entfernen, denn sie stellen das eigentliche Problem dar. Besteht die Problematik nur über ein paar Wochen, verschwindet die angesammelte Flüssigkeit nach einer Adenektomie wieder.

Besteht ein Seromucotympanon aber über längere Zeit hinweg, reicht die Entfernung der Adenoide allein oft nicht aus, um die Flüssigkeitsansammlung im Mittelohr zu beseitigen und es muss ein Paukenröhrchen gesetzt werden. Deshalb sollte nicht zu lange abgewartet werden. Wenn sich das Sekret eindickt, baut sich die Schleimhaut im Mittelohr um und bildet von sich aus wiederum Schleim und ein Teufelskreis beginnt, durch den der Effekt noch zusätzlich verstärkt wird. Je nach Schweregrad ist es nicht immer einfach, ein Seromucotympanon zu erkennen. Es kann in einigen Fällen mittels Otoskop erkannt werden, es kann aber auch sein, dass ein Ohrmikroskop nötig ist, um es darzustellen, was den Besuch eines Facharztes nötig macht. Sollten also bei einem Kind wiederholte Mittelohrentzündungen auftreten, sollte an ein Seromucotympanon gedacht und an einen HNO-Facharzt überwiesen werden. Dieser hat auch die Möglichkeit, eine so genannte Tympanometrie durchzuführen, also eine Druckmessung, die den mikroskopischen Befund objektivieren kann.

Was zusätzlich zur antibiotischen Therapie der Mittelohrentzündung wichtig ist: die Gabe von abschwellenden Nasentropfen für die Dauer von zehn bis 14 Tagen. Ohrentopfen hingegen würden nicht eingesetzt, da sie im Falle einer Mittelohrentzündung ihre Wirkung verfehlen würden, denn es gehe darum, im Nasenrachenraum eine Abschwellung herbeizuführen um das Mittelohr wieder besser zu belüften. Bei der Otitis externa hingegen seien Ohrentropfen sehr wohl angebracht, denn hier spiele sich der Entzündungsprozess außen ab. Zuerst sollte das Ohr gereinigt und gesäubert, danach eingetropft werden, erklärt die Expertin das richtige Procedere.

Teilbereiche beachten

Besonders im HNO-Bereich strahlen die Schmerzen oft aus, weshalb es besonders wichtig ist, bei Schmerzzuständen und Infektionen in diesem Bereich jeden einzelnen Teilbereich genau zu untersuchen: Hals, Nase und Ohren eben. „Es kommt nicht selten vor, dass jemand mit vermeintlichen Ohrenschmerzen in die Praxis kommt, man jedoch im Ohr nichts findet, jedoch eine massive Tonsillitis hat, deren Schmerzen bis ins Ohr ausstrahlen“. Der Tipp der Expertin: Speziell kleine Kinder, die vielleicht noch nicht genau sagen können, wo sie Schmerzen haben, sollten Allgemeinmediziner wirklich immer ganz genau untersuchen. Handelt es sich um eine Infektion in mehreren Etagen? Sind beispielsweise Nase, Rachen und Kehlkopf gleichzeitig beteiligt, spricht das eher für einen viralen Infekt, die gesamte Schleimhaut ist mit betroffen. Wenn jedoch eine Entzündung ganz lokalisiert auftritt wie zum Beispiel in Form einer ganz massiven alleinigen Halsentzündung, sodass das Kind nicht einmal mehr schlucken kann und es sind wirklich die Tonsillen entzündet und nicht der gesamte obere Respirationstrakt, und zusätzlich Fieber zu den starken Schluckbeschwerden hinzu kommt, dann ist anzunehmen, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt und dann sollte man sehr wohl ein Antibiotikum geben. Genauso, wenn es um eine klassische Mittelohrentzündung mit allen klassischen Zeichen geht, also hohes Fieber, Schmerzen, knallrotes Trommelfell. Auch hier sollte man ein Antibiotikum geben. Ist das Trommelfell allerdings grau-rot, das Kind hört schlecht, weil es einen Druck auf den Ohren hat und es sich auf Grund dieser Tatsachen eigentlich um ein Seromucotympanon handelt, das keine akute bakterielle Entzündung darstellt, wäre es schlecht, ein Antibiotikum zu geben. „Hier muss man einfach sehr genau differenzieren“, betont die Expertin. Sind die Zeichen einer Tonsillitis oder Ohrenentzündung vorhanden und werden sie auch erkannt, muss ein Antibiotikum verordnet werden. Wenn man sich nicht sicher ist, sollte man zum Facharzt überweisen, so Skoda-Türk.

Indikationen, bei denen die Expertin dringend dazu rät, zum HNO-Arzt zu überweisen, sind Fremdkörper in Nase oder Ohr, die bei kleinen Kindern häufiger vorkommen. Diese sollten von einem HNO-Arzt unter Einsicht in die Nase mit den entsprechenden Instrumenten sicher entfernt werden. Bei Verdacht auf Komplikationen einer Nasennebenhöhlenentzündung oder Mittelohrentzündung, Verdacht auf Meningitis, Mastoiditis oder orbitalen Komplikationen sollte das Kind ins Krankenhaus überwiesen werden, da meist die intravenöse Gabe von Antibiotika indiziert ist. Hier würde sich Skoda-Türk eine schnellere Reaktion aller Beteiligten wünschen. Bei orbitalen Komplikationen, die sich in einem Anschwellen des Augenlids zeigen können und auch bei einer Mastoiditis, sollte öfter an HNO-Erkrankungen und deren Komplikationen gedacht werden!

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2010