Die Liebesgeschichte zweier Menschen, die „anders“ sind, bewegt so wie das tragische Ende. Gleichzeitig wirft sie ethische Fragen auf. Wie ging und geht die Gesellschaft mit Menschen um, die Einschränkungen haben? Welche Spannungsfelder und ethischen Handlungsprinzipien ergeben sich daraus für Ärztinnen und Ärzte?
Schauplatz Österreich, Mitte der 1970er Jahre. Zwei Menschen mit mentaler Beeinträchtigung infolge von schwierigen Geburtsverläufen, Elfi und Sepp, verlieben sich ineinander und möchten eine Familie gründen. Obwohl sie in ihrem „Anderssein“ den Alltag meistern, stoßen ihre privaten Pläne im persönlichen Umfeld teilweise auf heftige Ablehnung. Auch die Beamten der Fürsorge sowie Bürgermeister und Pfarrer blockieren das Vorhaben – schließlich sollten ihrer Ansicht nach Menschen mit Behinderung nicht heiraten und schon gar keine Kinder zeugen. Der von allen Seiten ausgeübte Druck auf das Paar bringt auch den wohlwollenden Arzt Dr. Schönmayer, der Elfi schon von Kindheit an behandelt hat, in herausfordernde Situationen. Eine über die beiden Protagonisten hereinbrechende Kette von Ereignissen endet schließlich mit einer Abtreibung und der Zwangssterilisation von Elfi, die im Zuge von Schwangerschaftskomplikationen in einer Klinik von einem anderen Arzt durchgeführt wird. Die Pläne des Paares und eine gemeinsame Zukunft sind damit auf tragische Weise beendet. Dies ist, kurz umrissen, die Handlung des Films „elfi“ (Drehbuch und Regie: Anita Lackenberger), der zum Nachdenken über ethische Fragen anregt und in dem die gegensätzliche Position von zwei Ärzten auch die diametralen Haltungen in der Gesellschaft in Fragen des Umgangs von Menschen mit Einschränkungen abbildet.
Die Handlung des Films ist Fiktion und beruht nicht auf einer wahren Geschichte. Regisseurin Anita Lackenberger geht jedoch davon aus, dass es in den vergangenen Jahrzehnten in Österreich zahlreiche Fälle gegeben hat, für die Elfi und Sepp stehen. Daher lohnt sich ein Blick auf die ethischen Herausforderungen im Arztberuf und auf Handlungsspielräume, die im Zuge von Druck durch Angehörige und Gesellschaft bestanden und vielleicht nach wie vor bestehen. Eine ethische Richtschnur zum Umgang damit nennt Mag. theol. Dr.med. univ. Erwin Horst Pilgram, Primarius der Abteilung Medizinische Geriatrie und Hospiz an der Albert Schweitzer Klinik in Graz, der bei Podiumsdiskussionen zum Film in Graz und Wien mitgewirkt hat. „Die oberste Prämisse des Handelns ist das Wissen um medizinische Indikationen für Therapiemaßnahmen und die Zustimmung von Patientinnen und Patienten. Sollten sie nicht in der Lage sein, eine Zustimmung zu geben, dann muss der mutmaßliche Wille eruiert werden.“ Ärztinnen und Ärzte müssten hellhörig sein, diesen Willen zu ermitteln, was sich oft als große Herausforderung erweise, etwa in der Pädiatrie oder am Lebensende in der Geriatrie zum Beispiel bei Demenz. Pilgram rät zu folgender Vorgangsweise: „Zunächst wird der Status präsens somatisch und psychosozial erhoben. Dabei ist es auch wichtig, einen Einblick in das Lebenskonzept der Person zu bekommen. Die zweite Frage widmet sich dem Herausfinden des Therapieziels. Und erst die dritte Frage lautet: Was ist medizinisch notwendig, um dieses Ziel zu erreichen?“ Das Handeln erfolge unabhängig von den Wünschen Angehöriger, wenn diese keine Rechtsposition haben.
„Das Patientenwohl steht an erster Stelle – Salus aegroti suprema lex. Und wenn es einen Vormund gibt, sehe ich unseren Berufsstand in erster Linie als Kommunikator zwischen Vormund und unmündiger Person. Die ethische Kompetenz besteht nämlich darin, den Raum zu eröffnen, um immer wieder den Patientenwillen zu eruieren.“ Dies sei im Film beispielsweise nicht passiert, hier wären stets nur Einzelgespräche erfolgt, ohne alle Involvierten in einem offenen Raum zu versammeln. „Die betroffene Person war meistens nicht bei den Gesprächen dabei – eine solche Vorgehensweise kann sich bei der Entscheidungsfindung als fatal erweisen“, analysiert Pilgram. Ethische Kompetenz zeichne sich aber eben genau durch den Prozess aus, wie man zu Entscheidungen gelange und weniger dadurch, was letztlich entschieden wird.
Die vier Grundprinzipien der Medizinethik lauten Autonomie, Fürsorgepflicht, Schadensvermeidung und Gerechtigkeit. „Um einen autonom geäußerten Wunsch wirklich wahrzunehmen, muss ich mich als Ärztin oder Arzt jedoch damit auseinandersetzen, wodurch diese Autonomie vielleicht beeinträchtigt ist – zum Beispiel durch Schmerzen, durch Symptome somatischer Art oder auch durch sozialen Druck“, erklärt Pilgram.
„Die Kunst des Gesprächs“
Pilgram beschreibt eine vielfach „große Haftungssorge bei Ärztinnen und Ärzten“, nennt jedoch einen Lösungsansatz dazu: „Die meisten Klagen gibt es, wenn die Kommunikation nicht funktioniert hat. Mit der Kunst der Gesprächsführung kann man dem entgegenwirken.“ Gelte jedoch nur noch die Ökonomie als oberstes Prinzip, werde das therapeutische Gespräch nicht mehr als honorierbare Leistung gesehen. „Es ist aber eine wesentliche Leistung und auch eine, die das ArztPatientenVerhältnis stärkt“, betont er.
Am Ende des Films stellt sich Dr. Schönmayer gegen Amt und Fürsorge mit dem Plädoyer, ähnlich gelagerte Fälle wie jenen von Elfi aufzuarbeiten, auch wenn er dadurch selbst einer Anklage ausgesetzt sein könnte. „Gerade bei Menschen mit bestimmten Einschränkungen sind Ärztinnen und Ärzte in einer besonderen Verantwortung, sensibel zu sein und sich nicht auf ‚die Mehrheit‘ zu berufen. Fallweise war und ist auch die Courage gefragt, aufzustehen und zu sagen, welche Maßnahmen man nicht mittragen kann“, meint Pilgram abschließend.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2025