Der technische Geschäftsführer der ELGA, Stefan Sabutsch, und Alexander Moussa, Leiter des Referats e-Health in Ordinationen der Österreichischen Ärztekammer, sprechen im Interview mit Sophie Niedenzu über gemeinsame digitale Projekte, über die verpflichtende Codierung und langfristige Ziele.
Wie erfolgreich ist die digitale Transformation in der Medizin? Sabutsch: Wir arbeiten intensiv mit der Ärzteschaft zusammen und haben gerade mehrere Projekte gleichzeitig in der Konzeption und Umsetzung. Wir wollen Innovationen vorantreiben, die für alle Beteiligten sinnvolle Lösungen bieten.
Moussa: Für uns relevant ist vor allem der Zeitfaktor. Wir haben eine deutliche Zunahme an Patientenfrequenzen und wenn wir durch digitale Tools Zeit gewinnen, ist das sowohl für die Versorgung, als auch für die ökonomische Perspektive sinnvoll. Wir haben eine technische Basis, um die uns andere Länder beneiden. Ein Beispiel: Die DACH-Region baut jetzt auf dieser Struktur auf und übernimmt die österreichischen technischen Grundlagen beim Terminologieserver (siehe Infobox, Anm. d. Red.).
Ein aktuelles Projekt ist die verpflichtende Codierung für niedergelassene Ärzte. Die Frist hat sich um ein Jahr verschoben. Wie ist hier der aktuelle Stand? Sabutsch: Ab 1.1.26 sind die Ärzte verpflichtet, eine ICD-10-Diagnose zu erfassen. ICD-10 passt aber nicht gut in die Arbeitsrealität der niedergelassenen Ärzte. Deswegen haben wir uns entschieden, in der primären Dokumentation auf SNOMED (siehe Infobox) zu setzen. Wir arbeiten gerade am sogenannten „e-Health Codierservice“, das als unterstützendes Tool von der öffentlichen Hand bereitgestellt wird. Bei Eingabe von bestimmten Schlagwörtern oder Wortteilen wird automatisch eine Diagnose vorgeschlagen. Das Tool macht nichts anderes, als einen SNOMED-Code zu erfassen und zu sagen, welcher ICD-10 Code dazu passt.
Moussa: Ziel ist es, die ärztlichen Diagnosen für wissenschaftlich-medizinische Zwecke verwenden zu können. Es soll alles in einem Schritt geschehen. Dass die strukturierte Diagnoseerfassung in Zukunft digital unterstützt wird, ist ein Novum im Arbeitsalltag der Ärzte. Eine gute digitale Lösung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich flüssig in den Arbeitsprozess integrieren lässt. Im Klartext heißt das, dass ich als Arzt weiterhin die Diagnose wie bisher stelle. Die Freitextdiagnose wird dann mit Hilfe vom zentral geführten Codierservice in eine strukturierte, erfassbare Diagnose überführt. Es ist ein intelligentes Tool, das lernen wird, dem Arzt die richtige Diagnose vorzuschlagen. Wir als Bundeskurie empfehlen, abzuwarten, bis dieser Codierservice umgesetzt ist und sich nicht irgendwelche Codiertools zuzulegen.
Wie wird dieses intelligente Tool mit Inhalten gefüttert? Sabutsch: Wir kooperieren mit der MedUni Graz, die schon vor vielen Jahren begonnen hat, einen Thesaurus zu erstellen, eine Interface-Terminologie. Und diese umfasst in etwa vier Millionen Begrifflichkeiten aus der ärztlichen Praxis. Der e-Health Codierservice wird also einerseits gefüttert mit einem großen Wortschatz und dem Thesaurus der MedUni Graz, andererseits verfügt er über ein fein kuratiertes Set von SNOMED-Begrifflichkeiten, die auf Englisch vorliegen und die wir mit Unterstützung der Ärzteschaft gut auf Deutsch übersetzen können.
Moussa: Es ist vorgesehen, dass wir uns hier intensiv mit den Fachgruppen beziehungsweise den jeweiligen Fachgesellschaften abstimmen werden, um diese Diagnosen zu erstellen und weiter zu verfeinern.
Sabutsch: Wir sind auch intensiv in Abstimmung mit der Softwarehersteller-Seite, mit dem Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI). Wir haben einen straffen Zeitplan, damit am 1.1.2026 das Codieren mit einer getesteten und verbesserten Software reibungslos funktioniert.
Welchen Mehrwert bietet die strukturierte, digitale Diagnoseerfassung? Moussa: Es besteht die Möglichkeit, über Dashboards zeitnah Auskunft über regionale und überregionale Diagnosen zu erhalten, die eine Diagnosefindung beschleunigen. Beispielsweise sehe ich als Arzt dann ein gehäuftes Auftreten von Keuchhusten oder Masernfällen. Damit können wir rasch reagieren und hinken in der Versorgung nicht nach. Zusätzlich haben wir eine Zeitersparnis durch die schnellere Eingabe von Diagnosen, damit bleibt uns auch mehr Zeit für die Patienten. Und drittens soll es dann möglich sein, auf Basis dieser digitalen Daten eine wissenschaftliche und immer aktuelle Unterstützung bei Diagnostik und Therapie zu erhalten. Die einheitliche Diagnoseerfassung ist nicht nur für jeden Arzt eine wichtige Dokumentation, sondern bietet auch einen Mehrwert für andere Behandler eines Patienten. Diese können durch eine vollständige und klare Patientendokumentation zielgerichtet die Behandlung fortführen.
Sabutsch: Die Daten, die vom e-Health Codierservice erfasst werden, sind weder personalisiert noch rückführbar, weder auf den Patienten, noch auf den Arzt. Es kann aber in einem Dashboard die Häufigkeit von Diagnosen in Österreich visualisiert werden, um auf Auffälligkeiten und Häufungen bestimmter Diagnosen rückschließen zu können.
Welche Projekte werden als nächstes umgesetzt? Sabutsch: Das einheitliche Erfassen von Diagnosen stellt einen großen Meilenstein in Hinblick auf eine integrierte Versorgung dar, also in der Vernetzung unterschiedlicher Einrichtungen in der Patientenversorgung. Was noch fehlt, ist die Historie der Diagnosen und Gesundheitsprobleme, die mithilfe des e-Health Codierservice erfasst werden und dann über die Arzt-Software in ELGA gespeichert werden soll.
Moussa: Das ist dann der nächste Schritt. Ähnlich dem Codierservice wollen wir ein Service zentral verfügbar machen, die sogenannte e-Diagnose. Dazu gibt es auch ein Positionspapier der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖG Telemed), in der wir auch vertreten sind. Langfristiges Ziel ist die Umsetzung einer Patient Summary, also einer standardisierten Zusammenfassung von grundlegenden medizinischen Informationen. Das ist auch eines der Kernprojekte des European Health Data Space (EHDS).
SNOMED CT
SNOMED CT umfasst nicht nur Diagnosen, sondern das gesamte Spektrum der Medizin: Symptome, Allergien, Anatomie und Organe, Organismen (z. B. Bakterien, Viren, Prionen), Substanzen sowie Prozeduren und Operationen. Die Einträge in SNOMED, sogenannte „Konzepte“, sind miteinander vernetzt. Beispielsweise ist eine RSV-Pneumonie verknüpft mit einer Infektion durch das „Humane Respiratorische Synzytial-Virus“, der Lunge als anatomischem Bezugspunkt, einer „Infektion“ im Allgemeinen und dem „entzündlichen Prozess“. Gleichzeitig gehört sie zur Gruppe der Viruspneumonien, die wiederum den Pneumonien und den Viruserkrankungen zugeordnet sind. Dieses Netzwerk ermöglicht es, medizinische Sachverhalte je nach Bedarf grob oder sehr detailliert darzustellen.
Terminologieserver: Stiller Begleiter
Er ist wie ein digitales, immer aktuelles Wörterbuch für Ärzte, das mit einer gemeinsamen Schreibweise als Grundlage für die Vernetzung zwischen den Spitälern und dem niedergelassenen Bereich dient und damit ein intersektorales Arbeiten ermöglicht: Hinter dem Begriff „Terminologieserver“ versteckt sich vieles, das den ärztlichen Alltag verbessert. Einen Terminologieserver gibt es bereits seit zwölf Jahren in ELGA: „Der Terminologieserver ist eine stille Komponente im Hintergrund, die der Arzt in seiner täglichen Arbeit nicht bemerkt“, sagt Stefan Sabutsch, technischer Geschäftsführer der ELGA GmbH. Denn im Gesundheitswesen werden Informationen kodiert ausgetauscht, dabei werden nationale oder internationale semantische Standards eingesetzt, etwa ICD-10. Um die Listen und Vorgaben zentral abrufbar zu machen, wurde der Terminologieserver auf Basis von Open-Source-Komponenten von ELGA neu programmiert: „Wir bieten mit dem ELGA-Terminologieserver ein zentrales Tool, das auch mit lokalen Terminologien ergänzt werden kann“, sagt Sabutsch. Genutzt werde er unter anderem für die e-Medikation und den e-Impfpass. Gerade hier ändere sich durch neue Arzneimittel und Impfstoffe aufgrund neuer Varianten immer wieder etwas: „Die schnelle, zentrale Bereitstellung dieser neuen Informationen über den Terminologieserver hat sich etwa in der Pandemie sehr bewährt“, sagt Sabutsch. Alexander Moussa, Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“ der Österreichischen Ärztekammer, ergänzt: „ELGA ist so etwas wie die zentrale Hüterin der Terminologien“.
Nun bekommt der Terminologieserver aus Österreich neue Bekanntheit. Denn diese technische Basis, die seit Jahren still im Hintergrund arbeitet, gilt auch außerhalb der Grenzen als ein Leuchtturmprojekt und wird seit kurzem in Deutschland verwendet: „Der ELGA Terminologieserver ist ein Beispiel dafür, wie federführend Österreich in der Digitalisierung ist, denn unsere Gesundheitstelematikinfrastruktur ist mit dem Backbone der ELGA bestens aufgestellt“, zeigt sich Moussa über diese Entwicklung erfreut. Der deutsche, zentrale Terminologieserver arbeitet auf Basis des österreichischen Vorbilds. Viele Akteure im Gesundheitswesen hätten den Bedarf einer zentralen Anlaufstelle formuliert. Durch den zentralen Terminologieserver in Deutschland sei es jetzt allen Softwaresystemen möglich, jederzeit auf den aktuellen Stand automatisiert zugreifen zu können, berichtet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland. Die Zusammenarbeit von ELGA hört nicht mit Deutschland auf. „Auch die Schweiz steht kurz vor der Umsetzung und Estland, das als ein Vorzeigeland für Digitalisierung im Gesundheitswesen gilt, evaluiert, ob sie unseren Terminologieserver ebenfalls einsetzen“, sagt Sabutsch. (sni)
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2025