Die Erfassung tagesaktueller Diagnosen kann ein aufkommendes Infektionsgeschehen abbilden. Die derzeit geplante, gesetzlich festgelegte Diagnoseerfassung erfüllt diesen Zweck nicht und würde auch Doppelarbeiten im Hinblick auf die Umsetzung des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten bedeuten, kritisiert die Österreichische Ärztekammer. Gespräche mit dem Gesundheitsministerium laufen.
Sophie Niedenzu
Was steckt hinter der Abkürzung „AMBCO“? Damit gemeint ist die so genannte ambulante Leistungs- und Diagnosedokumentation: ab 1. Jänner 2026 müssen alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – Kassenärzte sowie Wahlärzte – Diagnosen strukturiert erfassen. Ziel ist es, ärztliche Diagnosen für wissenschaftlich-medizinisch Zwecke zu verwenden. Zur Unterstützung für die Dokumentation und Erfüllung der gesetzlichen Diagnosepflicht hat die ELGA GmbH in Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer das öffentliche „e-Health-Codierservice“ entwickelt. Dieses bietet die strukturierte Sprache der Medizin, SNOMED CT, an und verknüpft die Diagnose automatisch mit dem gesetzlich geforderten ICD-10. Das bedeutet konkret: Der Arzt erstellt wie bisher eine Freitextdiagnose, für die dann automatisch mit Hilfe des e-Health-Codierservices strukturierte, erfassbare Diagnosevorschläge zur Auswahl angezeigt werden.
Diagnose von Abrechnung trennen
„Der Teufel steckt im Detail“, sagt der Allgemeinmediziner Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Derzeit ist im Projekt AMBCO nämlich die Übermittlung der Diagnosedaten über mehrere Instanzen vorgesehen. Die erste davon ist die Sozialversicherung, die von den Kassenärzten die Leistungen in unterschiedlichen Zeitintervallen abrechnet – bei der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) erfolgt die Leistungsabrechnung etwa immer zum Quartalsende. Nach der Verrechnung durch die Sozialversicherung übermittelt diese die Daten über eine vorgelagerte Pseudonymisierung-Stelle an den Dachverband. Von dort gelangen die Daten zum Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Damit würde es drei bis sechs Monate dauern, bis die Diagnosedaten in der Gesundheitspolitik ankommen: „Wenn die Übermittlung der Daten jedoch getrennt von der Abrechnung läuft, könnten wir annähernd tagesaktuelle Krankheitsdaten bekommen“, sagt Wutscher. Gerade bei einem aufkommendem Infektionsgeschehen sei das durchaus sinnvoll. Aus diesem Grund plädiert die Österreichische Ärztekammer für eine Trennung der Abrechnungs- und Diagnosedaten.
EHDS-Positionspapier ÖGTelemed
Gesundheitsministerium AMBCO
Europaweite, patientenzentrierte Diagnoseerfassung
Ein weiterer Aspekt, der für die Trennung von Abrechnungs- und Diagnosedaten spreche, sei, dass die Datenqualität im Hinblick auf den Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) bei einer Abkoppelung von der Abrechnung besser sei, betont Alexander Moussa, Leiter des Referats „eHealth in Ordinationen“ der Österreichischen Ärztekammer und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed): „Kernbestandteil des EHDS ist eine gute Patient Summary, die beispielsweise relevante Informationen zu Vorerkrankungen, Medikamenten oder Allergien beinhalten soll, was besonders in Akutsituationen oder bei grenzüberschreitender Versorgung wichtig ist“, erklärt er. Gesundheitsinformationen müssten einheitlich, semantisch eindeutig und international anschlussfähig dokumentiert werden: „Wir müssen in Österreich weg vom abrechnungsorientierten System hin zu einer patientenzentrierten, klinisch relevanten Diagnoseerfassung“, betont Moussa. Die im AMBCO geplante ICD-10-basierte Datenübermittlung müsse gestoppt und das Projekt mit dem Hintergrund des EHDS neu umgesetzt werden: „Die ICD-10-basierte Datenerfassung orientiert sich an statistischen und abrechnungsrelevanten Vorgaben, sie erfüllt aber nicht die Kriterien für eine qualitative Patient Summary, wie wir sie für den EHDS benötigen“, erklärt er. Er verweist auf ein Papier der ÖGTelemed (siehe Link): „Wenn in Österreich die ambulante Leistungs- und Diagnosedokumentation in der geplanten Form kommt, dann haben wir für die EHDS-Umsetzung ineffiziente, ressourcenbindende Doppelarbeiten, die man vermeiden könnte“, sagt Moussa. Die Alternative einer so genannten „e-Diagnose“ sei Basis für eine gute Patient Summary, die Kernbestandteil des EHDS sei. Neben den relevanten medizinischen Informationen ermögliche der EHDS, Medikamente EU-weit digital zu verordnen und abzurechnen. Damit könne eine durchgehende medikamentöse Versorgung, unabhängig vom Aufenthaltsort ermöglicht und Versorgungslücken bei chronisch Kranken vermieden werden.
Gespräche mit Ministerium
Das Gesundheitsministerium zeige sich jedenfalls gesprächsbereit, berichtet Wutscher: „Es laufen aktuelle Gespräche, dass ein Programm erstellt wird, um zukünftig auch die Patient Summary einpflegen zu können“, sagt er. Das sei natürlich auch im Interesse des Gesundheitsministeriums, denn damit könne es langfristig Kosten sparen. Wutscher zeigt sich daher optimistisch: „Wir werden hier sinnvolle Lösungen finden, um Doppelarbeiten zu vermeiden und Ressourcen zu sparen“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2025