E-Health & Digitale Medizin: Interview Helene Prenner – Europäischer Raum für Gesundheitsdaten: EU bringt neuen Wind für ELGA

15.07.2025 | E-Health und Digitale Medizin, Politik

Autorin: Sophie Niedenzu

Die elektronische Patientenakte ELGA ist in Österreich Dreh- und Angelpunkt, um die geforderte länderübergreifende Primärdatennutzung im Rahmen des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS) umzusetzen. Helene Prenner, Leiterin des Kompetenzzentrums für internationale Projekte bei der ELGA GmbH, spricht im Interview mit Sophie Niedenzu über die Herausforderungen, Chancen und welche Rolle der EHDS bei der Steigerung der Gesundheitskompetenz spielt.

Die Verordnung zum European Health Data Space (EHDS) ist am 26. März in Kraft getreten. Was erwartet uns in den nächsten Jahren? Die Verordnung stellt einen Paradigmenwechsel für die europäischen Dateninfrastrukturen im Gesundheitswesen dar. Sie bringt zahlreiche neue Rechte und Pflichten – aber vor allem große Chancen für Patientinnen und Patienten, medizinisches Fachpersonal sowie Forschung und Innovation. Erstmals werden bestimmte digitale Gesundheitsdienste für alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtend – darunter auch die Patient Summary. Der EHDS schafft die Grundlage für effizientere Behandlungs- und Präventionsmaßnahmen, macht die Gesundheitssysteme zukunftsfit und eröffnet den Bürgern Zugang zu ihren eigenen Gesundheitsdaten – gerade im Hinblick auf die Gesundheitskompetenz ist das zu begrüßen. Neu ist auch, dass Bürgerinnen und Bürger zukünftig auch selbst Daten einbringen können.

Wie ist der Zeitplan? Bis 2027 wird die Europäische Kommission sogenannte Implementing Acts – also Durchführungsrechtsakte – erlassen, in denen einheitliche europäische Standards festgelegt werden. In Österreich haben wir mit ELGA bereits eine gute Ausgangsbasis: Wir verwenden landesweit strukturierte Formate, etwa für Ambulanzbefunde oder Entlassberichte, die wir gemeinsam mit Gesundheitsberufen und Softwareherstellern in Arbeitsgruppen entwickelt und verabschiedet haben. Dieser Standard wird zukünftig von der Europäischen Kommission vorgegeben, damit beispielsweise ein Arzt in Österreich auf die medizinischen Daten eines spanischen Touristen zugreifen kann. Spannend ist aber das, was wir in vier Jahren umgesetzt haben müssen: Der EHDS schreibt nämlich vor, dass jeder Patient auf definierte Datenkategorien in einem einheitlichen Format Zugriff bekommen muss. Dazu gehören die Patient Summary und die e-Rezepte. Mit 2031 folgen die medizinischen Bilder und Befunde sowie die Ergebnisse medizinischer Untersuchungen inklusive Laborbefunde und Entlassungsberichte. Das gilt sowohl für die nationale Verwendung als auch für den grenzüberschreitenden Datenaustausch. Was Letzteren betrifft, laufen bereits Projekte für den Austausch von e-Rezepten, sowie dem Empfang der Patient Summary, von Labordaten und Entlassungsbriefen aus EU-Mitgliedstaaten.

Die Patient Summary wird von Ärztinnen und Ärzten schon länger gefordert – und bis heute in Österreich nicht umgesetzt. Durch den EHDS wird die Umsetzung verpflichtend. Ziel ist es, dass in der Patient Summary Gesundheitsinformationen über bestehende Diagnosen, Allergien, Medikation, Operationen, Impfungen sowie Patientenverfügungen strukturiert dokumentiert sind. Dabei ist die Patient Summary immer in der Landessprache der Ärztinnen und Ärzte verfügbar. Es gibt definierte, verpflichtende Kategorien, etwa Medikation, Immunisierungen, Allergien und Diagnosen. Wir haben in Österreich bereits das e-Rezept, die e-Medikation, den e-Impfpass. Für eine europaweite Nutzung müssen diese allerdings technisch angepasst werden – hier stehen noch Umbauarbeiten an. Was die Diagnosen angeht, sind derzeit nur jene Diagnosen verfügbar, die in den Entlassungsbriefen aus den Spitälern angeführt sind. Eine flächendeckende, strukturierte Erfassung der Diagnosen fehlt in Österreich bisher. Gerade deshalb ist das geplante Diagnosemodul eines der Kernelemente, um später eine Patient Summary erstellen zu können.

Das wird sich durch die verpflichtende Diagnoseerfassung im ambulanten Bereich ab 1. Jänner 2026 ändern. Zur Vorbereitung haben wir mit dem e-Health Codierservice bereits eine wichtige Grundlage geschaffen. Dieses kostenfrei verfügbare Tool unterstützt Ärztinnen und Ärzte dabei, Freitextdiagnosen sowohl in SNOMED-codierte Daten als auch in ICD-10-Codes umzuwandeln. Das ist ein erster Schritt zur Patient Summary.

Wie sieht es mit den anderen Services aus, die bis 2031 umgesetzt sein müssen? Bilddaten und -befunde, Ergebnisse medizinischer Untersuchungen einschließlich der Laborergebnisse und Entlassungsberichte müssen dann sowohl für Patientinnen und Patienten als auch für Angehörige der Gesundheitsberufe abrufbereit sein. Diese Services sind in ELGA bereits grundsätzlich verfügbar, müssen jedoch technisch und strukturell weiterentwickelt werden, um den Anforderungen an eine europaweite Interoperabilität zu entsprechen.

Wie soll der Zugriff auf die Gesundheitsdaten erfolgen? Der Zugang zu Gesundheitsdaten wird durch einen EU-weit einheitlichen Authentifizierungsmechanismus geregelt. Für Bürgerinnen und Bürger erfolgt dieser künftig über eIDAS, also die europäische digitale Identität – in Österreich entspricht das der ID Austria. Schon jetzt erfolgt der Login ins ELGA-Portal über die ID Austria, hier sind wir also bereits gut aufgestellt. Für den EHDS sind jedoch zusätzliche Funktionen zu integrieren, etwa was das Selbsteinbringen von Daten angeht oder auch die Verwaltung von Vertretungsrechten für Vertrauenspersonen, Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Zudem sollen Bürgerinnen und Bürger um Korrekturen ansuchen können, sollten Daten falsch vermerkt worden sein. Dafür müsste das bestehende ELGA-Portal technisch und inhaltlich überarbeitet werden.

Was ändert sich für Ärztinnen und Ärzte? Bisher erfolgte der Zugriff auf ELGA-Daten technisch über sogenannte Organisationsrollen, wie zum Beispiel bei Krankenanstalten. Das ist mit dem EHDS rechtlich zukünftig nicht mehr ausreichend, denn laut diesem muss ein sogenannter personenbezogener Zugriff erfolgen. Das bedeutet für den klinischen Alltag mit KIS, dass sich jeder Arzt oder jede Krankenschwester an den entsprechenden Geräten in den Krankenanstalten persönlich beim Abruf von Daten authentifizieren muss. Das bedeutet eine grundlegende technische Änderung, wofür einiges an Absprachen benötigt werden, um eine gute, praxistaugliche Lösung für das Gesundheitspersonal zu finden.

Wie soll das Einbringen von Daten vom Patienten konkret erfolgen? Das ist ein sehr spannender Bereich, den wir in Österreich noch gar nicht umgesetzt haben. Da geht es beispielsweise darum, dass Daten von Gesundheits-Apps oder einer Health Watch zentral gespeichert und für Gesundheitsdienstleister abrufbar sind. So könnten eventuell Daten wie etwa jene über HerzMobil direkt von den Patientinnen und Patienten in die ELGA übertragen werden. Wie genau das umgesetzt wird, ist aktuell noch Gegenstand laufender Diskussionen in Europa.


Daten im Rahmen des EHDS

Der European Health Data Space (EHDS) besteht aus den beiden Säulen der Primärdatennutzung sowie der Sekundärdatennutzung. Ersteres betrifft die direkte Versorgung. Bürgerinnen und Bürger erhalten Zugang zu ihren eigenen Daten, Angehörige der Gesundheitsberufe können EU-weit auf notwendige medizinische Informationen zugreifen. Mit der Sekundärdatennutzung gemeint ist die statistische, nicht personenbezogene Aufbereitung und Verwendung der Daten für Forschungszwecke und Versorgungsplanung. Dieser Bereich steht in Österreich noch am Anfang und bringt neue rechtliche und organisatorische Herausforderungen mit sich.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2025