E-Health & Digitale Medizin: Interview Alexander Moussa: Digitale Projekte: Mehrwert statt Mehrarbeit

24.10.2025 | E-Health und Digitale Medizin, Politik

Autorin: Sophie Niedenzu

Alexander Moussa, Leiter des Referats für eHealth in Ordinationen und Generalsekretär bei der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed), spricht im Gespräch mit Sophie Niedenzu über die Flut an Digitalisierungsprojekten, fehlende Finanzierungspläne und standardisierte Formate bei der digitalen Patientendokumentation.

Die ambulante Leistungs- und Diagnosedokumentation ist nur ein Beispiel für digitale Projekte, die in naher Zukunft umgesetzt werden sollen. Wie ist Ihr Zwischenresümee? Hier gibt es enormen Gesprächsbedarf. Denn in der geplanten Form, in der die ambulante Leistungs- und Diagnosedokumentation ab 1. Jänner 2026 kommen soll, bietet sie keinen Mehrwert. Diagnose und Leistung müssen voneinander getrennt werden, nur so können die medizinischen Daten auch für die Versorgungsforschung verwendet werden, nämlich auch im Hinblick auf die Umsetzung des Europäischen Raums für Gesundheitsdaten (EHDS).

Was sind die größten Herausforderungen? Digitale Projekte müssen vor allem eines: einen Mehrwert – und keine Mehrarbeit – schaffen. Und zwar sowohl für jene, die die digitalen Lösungen beauftragen als auch für jene, die die digitalen Lösungen in ihrem Arbeitsalltag integrieren müssen. Die Umsetzung des e-Impfpasses hat etwa ausgezeichnet funktioniert. Hier waren auch alle von vornherein eingebunden und wir haben uns als Ärzteschaft auch sehr gut einbringen können. Die aktuelle Situation ist aber so, dass wir eine Flut an Digitalisierungsprojekten haben und das stellt uns vor massive Herausforderungen.

Welche konkret? Softwarefirmen haben sich bereits zu Wort gemeldet, dass sie angesichts des Ausmaßes der digitalen Projekte, die gesetzlich verpflichtend umzusetzen sind, an ihre Grenzen stoßen – personell und finanziell. Wir können uns dem nur anschließen: Es braucht eine adäquate Finanzierung der Digitalisierung im Gesundheitssystem. Die politisch induzierten Digitalisierungsmaßnahmen sind in der aktuellen Form für niedergelassene Ärzte nicht abbildbar. Es ist nicht einzusehen, dass diese die Kosten für die technische Infrastruktur, Softwareumstellungen und laufende digitale Anpassungen selbst tragen sollen. Allein die automatische Diagnoseerfassung müsste finanziell von Ärztinnen und Ärzten einmalig gestemmt werden, hinzu kommen die Kosten für die monatlichen Servicebeiträge. Im Spitalsbereich werden die notwendigen Mittel für Digitalisierung direkt über die Spitalsfinanzierung bereitgestellt, im niedergelassenen Bereich fehlen vergleichbare Finanzierungsmechanismen.

Wie soll die Lösung aussehen? Die Kosten müssen auch vom Auftraggeber, also dem Bund, getragen werden. Die Finanzierung der Digitalisierung im Gesundheitswesen muss gemeinsam definiert werden und es müssen entsprechende Mittel zufließen. Leider wird das Pferd nach wie vor oft von hinten aufgezäumt: Das Gesetz legt Stichtage fest, bevor ein digitales Projekt technisch entwickelt und pilotiert wurde – und es fehlt ein Finanzierungsplan. EDV-Projekt stellen Change-Prozesse im Arbeitsalltag dar. Sie funktionieren nur, wenn sie gemeinsam gestaltet, definiert und finanziert und schlussendlich schrittweise ausgerollt werden. Bei der e-Medikation und dem e-Impfpass hat das funktioniert, hier gab es Förderungen und einen gemeinsamen Willen. In anderen Staaten gibt es übrigens Zuzahlungen für die technische Infrastruktur bei digitalen Projekten in der Gesundheit, um den laufenden Betrieb in einer Arztpraxis mit zu finanzieren.

Welche Probleme ergeben sich bei der digitalen Patientendokumentation im Falle eines Softwarewechsels, etwa aufgrund von Pensionierung oder Praxisübernahme? Vor vielen Jahren waren die Datenbanken klein und sehr textzentriert. Mittlerweile ist die Patientendokumentation digital und wesentlich umfangreicher. Derzeit gibt es viele Brüche, wenn Ärztinnen und Ärzte die Arztsoftware wechseln. Die Herausforderung ist, dass der rohe Datensalat nicht ohne Hindernisse und Fremdhilfe in eine neue Software integrierbar ist. Manche Softwareanbieter stellen die Daten nicht in einem standardisierten, maschinenlesbaren Format zur Verfügung. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass wichtige Patientendaten verloren gehen oder nur unvollständig übertragen werden.

Wie kann hier eine Lösung aussehen? Wir haben vor einigen Jahren den so genannten Normdatensatz entwickelt. Das ist ein international anerkannter technischer Standard, der es ermöglicht, Patientendaten aus dem Arztsoftwaresystem in einem einheitlichen und strukturierten Format zu exportieren. Das bedeutet: medizinische und administrative Informationen können so gespeichert und weitergegeben werden, dass sie systemunabhängig lesbar und verwertbar bleiben. Nur so können wir die optimale Patientenversorgung gewährleisten. Der Normdatensatz soll einen dauerhaften Zugriff auf die Patientendokumentation nach DSGVO gewährleisten, wenn Ärzte beispielsweise ihre Tätigkeit einstellen. Mittlerweile gibt es bereits den weiterentwickelten Standard, den Normdatensatz2.

Wie kommen Ärztinnen und Ärzte zu diesem Standard? Der Normdatensatz2 ist in der ELGA-Umgebung für die Softwareindustrie zum Testen verfügbar. Das heißt: Hier müssen die Softwarehersteller aktiv werden. Nicht alle Softwarehersteller haben den Normdatensatz2 in ihre Systeme integriert. Wir raten daher allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, die Arztsoftwareanbieter konkret darauf anzusprechen. Ein Qualitätskriterium der Arztsoftware muss sein, dass sie den Normdatensatz2 beherrscht. Die großen Anbieter haben ihn bereits integriert, aber leider ist das noch nicht flächendeckend bei allen der Fall. Eine aktuelle Umfrage der Bundeskurie unter allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten widmet sich übrigens der Zufriedenheit mit der Arztsoftware, da geht es auch um den Normdatensatz2.

Inwieweit spielt er eine Rolle beim Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS)? Der EHDS sieht unter anderem auch die Erstellung einer Patient Summary vor. Derzeit gibt es noch viel Freitext. Ziel ist es, von diesem weg und hin zu strukturierten Daten zu kommen. Neben der Patient Summary müssen die Arztsoftwareprodukte laut EHDS-Regelung auch mit anderen Geräten – wie etwa Medizingeräte – Daten austauschen können, beispielsweise Blutdruckdaten oder andere Messwerte. Dafür kann auch der Normdatensatz2 herangezogen werden. Dieser wird noch weiterentwickelt, um ihn quasi EHDS-fit zu machen.


Normdatensatz – Daten zukunftssicher verwalten

Egal ob bei einer Praxisübernahme, einem Wechsel der Arztsoftware oder bei einer Pensionierung, um die Daten für die Zukunft zu archivieren – Ärztinnen und Ärzte brauchen nachhaltige digitale Lösungen, um der rechtlichen Dokumentationspflicht gerecht zu werden. Sie müssen die Daten der Patientinnen und Patienten sicher verwalten – und das bei gleichzeitig möglichst geringem administrativem Aufwand. Die Österreichische Ärztekammer stellt daher seit ein paar Jahren den so genannten Normdatensatz kostenfrei für die Integration in die Arztsoftware zur Verfügung. Der Normdatensatz ist ein standardisiertes Datenformat, der einen reibungsloser Wechsel der Software ermöglicht. Durch diesen werden Informationen wie Karteieinträge, Diagnosen, Medikation und Versicherungsdaten einfach und automatisch in die neue Software importiert. Medizinische Daten bleiben damit lückenlos und in hoher Qualität erhalten – ohne dass Ärztinnen und Ärzte auf Fremdhilfe der Softwarefirma angewiesen sind. Konkret werden die Daten von der alten Software in das Format des Normdatensatzes exportiert, die neue Software wiederum importiert diese Daten und konvertiert sie in ihr eigenes, verschlüsseltes Datenbankformat.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2025