E-Health & Digitale Medizin: Digitalisierung. Patientenlenkung funktioniert

14.08.2025 | E-Health und Digitale Medizin, Politik

Autor: Thorsten Medwedeff

Die Bundesregierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm klar zur Lenkung der Patientenströme und zum Ausbau der Gesundheitshotline 1450 als ersten Anlaufpunkt im System bekannt. Im Interview mit Thorsten Medwedeff skizziert David Reif, Leiter der Gesundheitsberatung 1450 Wien, was insbesondere in Wien bereits sehr gut in Sachen Patientenlenkung funktioniert und welche Herausforderungen noch anstehen.

Seit wann gibt es die Gesundheitsberatung 1450? David Reif: Geburtsstunde war am 7. April 2017, dem Weltgesundheitstag. Damals haben Niederösterreich, Vorarlberg und Wien ein Pilotprojekt gestartet. Im Herbst 2019, wenige Monate vor dem Ausbruch der Corona­Pandemie, wurde österreichweit ausgerollt. Wir waren also schon vor der Pandemie, durch die 1450 plötzlich allen bekannt war, als telefonische Beratung für alle Gesundheitsfragen erreichbar.

Wer betreibt 1450 in Wien und wer sitzt am Telefon, wenn ein Patient anruft? Betrieben wird 1450 vom Fonds Soziales Wien. Zunächst kommen Anrufer zum ersten Level, wo unter anderem ihre Stammdaten erfasst werden. Zusätzlich können in diesem Schritt schon ausgewählte Services genutzt werden. Im zweiten Level übernehmen speziell geschulte, diplomierte Gesundheits­ und Krankenpflegepersonen, die triagieren und die optimale Versorgung empfehlen.

Sie haben weitere Services im ersten Level angesprochen. Welche sind das? Richtig! Hier können zum Beispiel Impftermine über das Impfservice der Stadt Wien gebucht werden. Wir bieten außerdem das Service der Geburtsinfo Wien an. Dieses richtet sich an werdende Eltern und insbesondere an Schwangere. So haben Schwangere die Möglichkeit, sich über das System zu registrieren und anzugeben, in welcher Klinik sie ihr Kind bekommen möchten. 9.500 Frauen haben sich im Vorjahr für eine Geburt angemeldet und ihre Wunschklinik bekannt gegeben, das ist mehr als die Hälfte aller werdenden Mütter in Wien. Und die Quote lässt sich sehen: 93 Prozent der Anruferinnen erhalten ihren Wunschplatz.

Zurück zur klassischen Gesundheitsberatung, die 1450 anbietet – wie geht es nach dem 1st Level weiter? Im 2nd Level sprechen die Anrufer dann mit den diplomierten Gesundheits­ und Krankenpflegepersonen, die allesamt eine Zusatzausbildung zur Emergency Communication Nurse mit abschließender Zertifizierung gemacht haben. Hier sitzen also echte Expertinnen am Telefon. Sie nehmen sich auch die nötige Zeit – ein Gespräch dauert durchschnittlich 12 Minuten. Und das Allerwichtigste: Am Anfang wird immer abgeklärt, ob es sich um einen Notfall handelt. Im Fall des Falles können wir direkt an die Berufsrettung Wien übergeben. Bei der Triage gilt für die Abfrage immer diese Reihenfolge: Ist es ein Notfall? Ist es akut? Braucht es einen Hausarzt­ oder PVE­Termin oder genügt die Selbstbehandlung? Wir arbeiten hier mit einem international anerkannten, protokollgestützten, lizenzbasierten Expertensystem namens Low­Code, das ständig weiterentwickelt und evaluiert wird.

Apropos Hausarzt, es gibt auch die Möglichkeit zur direkten Terminbuchung … Korrekt. Ich muss aber betonen, dass wir dafür nur die bestehenden Termin­Slots nutzen und die Ärzte und PVEs nicht mit den über 1450 kommenden Patienten überrollen. Die Ärztinnen und Ärzte behalten natürlich die Hoheit über ihre Terminkalender. Und sie können im System auch ganz eindeutig sehen, dass der Patient von uns eingebucht wurde. Durch die fixen Termine gewinnt auch der jeweilige Arzt Planungssicherheit und die jeweiligen Kapazitäten können optimal genutzt werden.

Wie viele Anrufe und somit medizinische Anliegen werden bei 1450 erledigt? Erreichbar sind wir 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Rund 1.500 Anrufe gehen aktuell pro Tag ein, bei denen mein Team eine Dringlichkeitseinstufung vornimmt. Mehr als 50 Prozent werden nach erfolgter Triage in den niedergelassenen Bereich vermittelt, bei einigen Anruferinnen und Anrufern bleibt es aber auch bei Selbstbehandlungstipps.

Wie hoch ist die Erfolgsquote – lässt sich das messen? Durch das Stecken der E­Card können wir sehen, wie viele Anrufer unserer Empfehlung gefolgt sind und in welchem Zeitraum eine Versorgung erfolgt ist. Das alles ist natürlich pseudonymisiert und auf Personenebene nicht verfolgbar. Die Patientenlenkung über 1450 wirkt: Wir sehen, dass über 70 Prozent unserer Handlungsempfehlungen innerhalb des empfohlenen Zeitraums folgen. Unsere Experten befragen auch immer wieder die Anrufer: Was hätten sie getan, wenn sie nicht 1450 angerufen hätten? Die Antwort lautet zumeist: Ich hätte die Rettung gerufen oder wäre ins Spital gefahren. Übrigens hat auch die Rettung die Möglichkeit, Anrufe an uns weiterzuleiten, die ganz klar nicht als Notfall eingestuft und daher niedrigpriorisiert wurden. Im vergangenen Jahr waren dies mehr als 18.000 Anrufe. Wir konnten 80 Prozent davon in andere Versorgungsstrukturen umleiten. Sie wurden dort entsprechend ihrer Beschwerden optimal behandelt – eine Rettungsausfahrt war aber dadurch nicht notwendig.

Im Programm der Regierung gibt es ja auch ein Bekenntnis zur Patientenlenkung und zum österreichweiten Ausbau von 1450 – also der richtige Weg? Patientenlenkung funktioniert, das kann ich mit Überzeugung sagen. 1450 entlastet sowohl das Sozialversicherungssystem als auch die Spitalsambulanzen und reduziert nicht notwendige Rettungsausfahrten. In Wien funktioniert das schon gut, obwohl wir natürlich die Herausforderungen einer großen Stadt haben. In den Bundesländern gibt es andere regionale Gegebenheiten und daher teilweise auch andere Herausforderungen. Wichtig ist, dass wir Synergien nutzen. Es gibt überall tolle Projekte, wir müssen nicht immer das Rad neu erfinden, sondern schauen, was wir sinnvoll gemeinsam umsetzen können.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2025