E-Health & Digitale Medizin: Digitalisierung – Die Zukunft der Spitalssteuerung

10.09.2025 | E-Health und Digitale Medizin, Politik

Autor: Thorsten Medwedeff

Der Gesundheitssektor steht weltweit unter wachsendem Druck – die Ursachen: steigende Patientenzahlen, chronischer Personalmangel, knappe Budgets und die zunehmende Komplexität der medizinischen Prozesse, insbesondere in den Spitälern.

Vor allem in den USA werden seit einigen Jahren sogenannte „Hospital Command Centers“ als zentralisierte Steuerungseinheiten eingesetzt, um die Herausforderungen im Spital zu meistern. Rudolf Knapp, Primarius und Radiologe im Bezirkskrankenhaus Kufstein sowie stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte (BKAÄ) der ÖÄK, skizziert im Interview mit Thorsten Medwedeff, die Vorteile dieses zentralen Prozessmanagement-Tools.

Was genau kann man sich unter einem „Hospital Command Center“ vorstellen? Rudolf Knapp: Ein Hospital Command Center ist eine zentrale Schaltstelle innerhalb eines Spitals, die mit modernster Technologie ausgestattet ist, um in Echtzeit Informationen aus dem gesamten Haus zu bündeln. Dies umfasst sowohl Daten aus den Notaufnahmen, Stationen, und OP-Sälen als auch Informationen zur Bettenbelegung und Personalverfügbarkeit, aber auch Versorgungsprozesse und sogar externe Datenquellen wie Rettungsdienste oder Wetterdienste sind eingebunden. Medizin, Pflege, Logistik und Administration arbeiten eng zusammen, unterstützt durch fortschrittliche Datenanalyse- und Visualisierungssysteme. Ziel ist es, operative Abläufe proaktiv zu steuern, Engpässe frühzeitig zu erkennen und Entscheidungen faktenbasiert und noch schneller treffen zu können.

Analog zur „Mission Control“ der NASA gibt es im Hospital Command Center die „Wall of Analytics“, was genau ist das? Die Wall of Analytics ist das Zentrum des Steuerungszentrums – eine große, interaktive Datenwand, die alle relevanten Kennzahlen, Prozesse und Zustände in Echtzeit visualisiert. Diese digitale Kommandozentrale ist auch weit mehr als ein Dashboard: Sie integriert KI-gestützte Analysen, Vorhersagemodelle und Handlungsempfehlungen, um eine vorausschauende Spitalsteuerung zu ermöglichen.

Welche Informationen können dort zum Beispiel entnommen werden? Die Informationen sind extrem breit gefächert und führen von der Auslastung der OP-Säle bis hin zu einer Prognose der Bettenauslastung über Wartezeiten in den Notaufnahmen oder die Personalverfügbarkeit, aber gleichzeitig lassen sich auch die Medikamenten- und Materialverfügbarkeit oder der Transport- und Reinigungsstatus im Krankenhaus abrufen.

Was ist das Ziel dieser allumfassenden Steuerung und Kontrolle? Ziel ist es, die „Silos“ der medizinischen Versorgung aufzubrechen und dadurch eine höhere Versorgungsqualität zu erhalten. Genau das gelingt, wenn wir die Interdisziplinarität steigern, wenn wir Wartezeiten und Redundanzen vermeiden, wenn wir Lösungen für den Fachkräftemangel erarbeiten und Ressourcenengpässe vermeiden. Genau dabei hilft uns die zentrale Steuerung aller Prozesse. Die Transparenz, die dieses System mit sich bringt, erlaubt es den Verantwortlichen, Engpässe frühzeitig zu erkennen, Ressourcen optimal zu verteilen und patientenorientierte Entscheidungen zu treffen.

… und davon profitieren wiederum die Ärzteschaft, aber vor allem die Patientinnen und Patienten? Vollkommen richtig. Ärztinnen und Ärzte können sich total auf ihre klinisch-praktischen Kernaufgaben konzentrieren, das gilt ebenso für die Pflege. Folglich bringt das sowohl für die Mediziner als auch für die Pflegekräfte einen kräftigen Schub für die Motivation. Das wiederum macht den Arbeitsplatz Spital attraktiver – eine Maßnahme, die wir in Zeiten akuten Personalmangels dringend brauchen. Und obendrauf auf diese Win-Win-Situation kommt ein drittes Plus für die Patienten mit kürzeren Wartezeiten sowohl bei der Aufnahme, als auch bei der Behandlung und letztlich bei der Entlassung. Das Steuern der Prozesse führt zu einer besseren und effizienteren Versorgungsqualität und dazu, dass die Ärztinnen und Ärzte wieder mehr Zeit für die Patientenbehandlung generieren können.

Apropos Zeit: Kann das Hospital Command Center auch dazu beitragen, die Bürokratie und Administration in den Spitälern zu verringern? Absolut! Administrative Aufgaben wie das Erfassen von Belegungszahlen, das Einpflegen von Daten, die Abstimmung zwischen den einzelnen Stationen oder manuelle Eskalationsmeldungen – zum Beispiel, dass keine Betten mehr verfügbar sind oder ein Transportdienst fehlt – werden durch das Command Center automatisiert. Diese ‚manuelle Feuerwehrarbeit‘ entfällt, wenn das System proaktiv und datenbasiert auf kritische Zustände hinweist und eingreift.

Wo gibt es bereits Command Center in den Spitälern und wann ist es bei uns soweit? Sie sind derzeit vor allem in den größeren, digitalaffinen Spitälern und Klinikverbünden in den USA, Kanada, Großbritannien und den Niederlanden, aber auch bei unseren Nachbarn in Deutschland und der Schweiz im Einsatz – Tendenz stark steigend. Die bei uns bekanntesten Kliniken, die darauf setzen sind das Johns Hopkins Hospital in Baltimore, das Universitätsklinikum in Essen und das Inselspital in Bern. Österreich ist, was das betrifft, noch ein weißer Fleck auf der Landkarte, aber ich rechne schon damit, dass bis 2030 auch bei uns die größeren Kliniken erste konkrete Schritte in Richtung „Wall of Analytics“ machen werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2025