Für eine gelungene Reise des Patienten durch das Gesundheitssystem brauche es nicht nur eine zentrale Schaltstelle, sondern auch digitale Kompetenz und Vertrauen in digitale Tools, deren Mehrwert für Ärzte und Patienten klar sichtbar sind.
Sophie Niedenzu
Er sei eine steile Vorlage: Der exponentielle Wissenszuwachs in der Medizin müsse kanalisiert und verarbeitet werden. Gleichzeitig müsse der Überblick über die gestiegenen Möglichkeiten in der Therapie bleiben, mit dem Ziel einer besseren Versorgung aller Patienten. Auf der anderen Seite gebe es aber die Herausforderungen im Spitalsalltag: zu viele verschiedene EDV-Systeme, von hoch professionell bis selbstgestrickt, etwa für die Patientendokumentation, die Betten- und OP-Planung, Abrechnung und Datenmanagement. Das führe zu einer so hohen Administration, dass sich Ärztinnen und Ärzte von ihrer Arbeit am Patienten entfremden. Die Folge: Spitalsärzte wandern ins Selfmanagement ab und gründen eine Wahlarztpraxis. So lautet kurz zusammengefasst die Diagnose von Rudolf Knapp, stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer, auf der jährlichen Gesundheitsinformatikmesse dHealth in Wien, wo sich zwei Tage lang Vertreter der Softwareindustrie, der Sozialversicherung, der Ärzteschaft ebenso wie Forscher trafen, um über das Potential und die Grenzen in der digitalen Entwicklung in der Medizin zu sprechen. Das Medikament gegen diese Situation sei kein „digitaler Patient“, sondern die zentrale digitale Abspeicherung seiner Daten und eine „schwache“ KI für die Datenanalyse, führte Knapp weiter aus. KI werde nicht den Arzt ersetzen, aber die Arbeit unterstützen. Für eine gelungene Patientenreise durch das System benötige es eine Art Kommandozentrale, in der alle medizinischen Inhalte zusammenfließen und ein digitaler Zwilling erschafft werde. Vehikel dafür sei etwa die elektronische Patientenakte (ELGA). Die niedergelassenen Ärzte spielen bei der „patient journey“, also dem Prozess, den ein Patient innerhalb des Gesundheitssystems durchläuft – von der Prävention über die Diagnose und Behandlung bis hin zur Nachsorge und Rehabilitation – eine große Rolle, ergänzte der Allgemeinmediziner Alexander Moussa, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed) und Leiter des Referats „eHealth in Ordinationen“ der Österreichischen Ärztekammer. Digitalisierung helfe, Spitäler und Ordinationen besser zu vernetzen. Moussa warnte aber gleichzeitig davor, dass sich der Ärztemangel durch eine schlechte digitale Implementierung verschärfen könnte. Bereits jetzt seien fünf bis zehn Prozent der Ärztinnen und Ärzte im Pensionsalter – wenn digitale Prozesse nicht gut in den Arbeitsalltag integriert seien und keinen sichtbaren Mehrwert böten, könnte das dazu führen, dass Ärzte schneller in Pension gingen. Ein Schritt zu einem besseren Management der digitalen Projekte sei die eHealth-Roadmap, die seit kurzem in Betrieb sei. Der Europäische Raum für Gesundheitsdaten (EHDS), der sich seit März in der Umsetzungsphase befindet, treibe digitale Entwicklungen in Österreich nun voran, da er eine patient summary fordert, was so etwas wie ein „Mini digital twin“ sei, sagte Franz Leisch, Vizepräsident der ÖGTelemed. Wichtig dafür sei eine patientenzentrierte Dokumentation, in der unter anderem auch Allergien und Diagnosen in ELGA abgespeichert seien.
Insulares Denken
Derzeit seien die Patientenwege leider noch „Irrwege“, merkte Angelika Widhalm vom Bundesverband Selbsthilfe Österreich an. Es fehle noch eine effiziente Kommunikation zwischen den klinischen Abteilungen, um Doppeluntersuchungen und neue Anamneseerhebungen zu vermeiden, zudem müssten Allergien und Intoleranzen zentral gespeichert sein. Das „insulare Denken“ in Österreich hemme den digitalen Fortschritt, kritisierte Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der ÖGTelemed. Die Basis mit vielen Gesundheitsdaten sei da, aber man könne nicht strukturiert über sie verfügen. ELGA könne zwar schon sehr viel, aber sie sei noch löchrig, erklärte Stefan Sabutsch, technischer Geschäftsführer der ELGA GmbH. Die Löcher würden nach und nach gestopft werden, unter anderem durch die mit 1. Jänner 2026 verpflichtende Anbindung der Wahlärzte an ELGA, sowie im weiteren Schritt auch der mobilen Pflege. Auch müsse sich die e-Medikation zu einem Medikationsplan weiterentwickeln und administrative und medizinische digitale Tools klar getrennt werden. Neben der Einbindung der Softwareindustrie und der Standardisierung von digitalen Prozessen sei eines notwendig: die digitale Kompetenz. Auch müsse es immer einen Mehrwert geben, betonte Alexander Kollmann, eHealth Beauftragter des Land Salzburg. Die Gesundheitshotline 1450 habe das Potential, Patienten dabei zu unterstützen, durch das Gesundheitssystem zu leiten, betonte IT-SV Geschäftsführer Hubert Wackerle und verwies auf Zahlen, wonach 70 Prozent der Empfehlungen von 1450 befolgt würden. Es sei jedoch notwendig, alle neun 1450-Systeme in den jeweiligen Bundesländern auf einen zentralen Nenner zu bringen, ergänzte Bayer, sozusagen „1450 2.0“. Widhalm wiederum merkte an, dass 1450 niemals den persönlichen Kontakt zum Arzt ersetzen könne und es zudem wichtig sei, digitale Hilfsmittel in der Medizin für alle verständlich zu erklären, um Vertrauen in die Digitalisierung in der Bevölkerung aufzubauen. Ein „digital guide“ sei eventuell eine neue Berufsgruppe, ergänzte Bayer, die digitale Inklusion sah Sabutsch als wichtiges Ziel. Es sei auch Teamsport gefragt, um ELGA zu einem gemeinsamen Instrument hin zu einer Wissensplattform auszubauen, ein „digitaler Zwilling“ müsse einen tatsächlichen Mehrwert bringen und helfen, Kosten einzusparen.
Info: Einige Highlights bei der dHealth
- Sekundärdatennutzung: Elina Drakvik von Sitra, dem finnischen Innovationsfonds, sprach auf der dHealth über die hohe digitale Kompetenz in Finnland, wo seit 2019 pseudonymisierte Gesundheitsdaten für die Forschung verarbeitet werden. Mit Hilfe dieser Sekundärdatennutzung seien mehr evidenzpolitische Entscheidungen möglich. Grundvoraussetzung sei das Vertrauen der Öffentlichkeit. Die in Finnland durch Findata pseudonymisierte Sekundärdatennutzung sei eine Inspiration für die nun im EHDS integrierte Sekundärdatennutzung gewesen.
- KI: Europa sei eine „digitale Kolonie“ und abhängig von USA und China, in denen digitale Tools entwickelt wurden. Notwendig sei die digitale Souveränität Europas, um selbstständig, selbstbestimmt und sicher agieren zu können. In Frankreich würden in den kommenden Jahren knapp 110 Milliarden Euro aus dem Privatsektor in die KI investiert werden.
- Cybersecurity: 67 Prozent der Gesundheitseinrichtungen seien von Ransomware betroffen. Der ethische Grundsatz unter Hackern, keine Gesundheitsdaten zu hacken, sei gefallen, wodurch es noch wichtiger sei, Gesundheitsdaten, vor Cyberattacken zu schützen. Die Basissicherheit in Spitälern beispielsweise sei bereits umgesetzt, ein Augenmerk soll verstärkt auf Softwareupdates in der Medizintechnik gelegt werden. Diese sei oft nicht gepatcht und anfällig für Cyberangriffe und andere Sicherheitsbedrohungen. Man müsse Awareness für technische Mängel und Schwachstellen schaffen: Beschaffungsentscheidungen von Spitälern, beispielsweise für neue CT-Geräte, müssten das Vorhandensein von entsprechenden Schnittstellen sein, damit Hersteller bei ihren Medizintechnik-Geräten mehr in die Cybersecurity investieren.
eHealth Roadmap
ÖGTelemed E-Diagnose
Veranstaltung dHealth
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2025