Zentral digital gespeicherte Daten, die die individuelle Patientengeschichte mit dem Wissenszuwachs in der Medizin KI-basiert vereinen, können die Versorgung in der Zukunft verbessern.
Sophie Niedenzu
„Nun, sag, wie hast du’s mit dem Return of Investment?“ Nicht die Frage nach der Religion, sondern die Frage nach dem finanziellen Output steht im Mittelpunkt vieler Themen. Davon bleibt auch die Gesundheit nicht unberührt. Der digitale Fortschritt müsse natürlich finanziell unterstützt werden, darin waren sich Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin (ÖGTelemed) und Rudolf Knapp, stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer, in einem Pressegespräch einig. So investiere beispielsweise China Milliarden in ganze KI-Farmen und deren Energieversorgung. Letztendlich sei es bei der Investition in den digitalen Fortschritt ähnlich wie in der Vorsorge – der Output der Investitionen sei erst langfristig messbar. Um die Digitalisierung käme man nicht herum: „Die medizinischen hard facts, die Datenmassen, der medizinische Fortschritt, das alles explodiert und wir Ärztinnen und Ärzte fangen an, Dinge zu übersehen“, sagte Knapp. Die Krankenhäuser seien überlastet, die Patientenbetreuung werde – auch durch „Dr. Google“ und Einforderungen von Patientinnen und Patienten – intensiver, gleichzeitig gebe es eine komplexe hochgezogene EDV, die sich von Spital zu Spital, teilweise auch von Abteilung zu Abteilung, unterscheide: „Das Problem ist, dass diese Programme nicht miteinander reden, ich muss in der Früh fünf Programme starten und selbst die Inhalte verknüpfen und übersetzen“, erzählte Knapp. Es gebe durch die Flut an Informationen ein „Nichtmanagement der Vielzahl an Gesundheitsdaten“, wodurch auch mehr Fehler passieren würden. „Das ist ein Faktor, den wir nicht außer Acht lassen sollten, denn es kann nicht sein, dass die Versorgung aufgrund der schlechten technischen Voraussetzung leidet“, betonte Knapp.
Daten als neue Währung
Ein möglicher Rettungsanker sei die Umsetzung eines „digitalen Zwillings“. Der Begriff stammt eigentlich aus der Industrie und meint das KI-basierte Ebenbild eines realen Patienten, in dem alle Patientendaten digital verarbeitet sind: „Das ist ein Hilfsmittel, um mit der Datenvielfalt umzugehen und den medizinischen Fortschritt an den Patienten zu bringen“, sagte Knapp. Um das umzusehen, sei keine „Revolution“ notwendig: „Wir können heute die Daten, die wir alle in unseren spezifischen Systemen haben, zusammenfassen und mit KI über Data Warehouses zu digitalen Zwillingen verarbeiten.“ Vehikel für die Informationsübertragung sei vor allem die ELGA. Es brauche eine Art „Medical Command Center“, wo individuelle Patientendaten mit dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung und Therapiemöglichkeiten fusioniert werden: „Sekundärdaten sind die neue Währung im Gesundheitssystem“, betonte Knapp mit Verweis auf den EHDS. Sekundärdaten, also die Wiederverwertung von bestehenden Datensammlungen, sei ein Riesenmarkt. „Real-Life-Data“ seien wesentlich günstiger als aufwändige Studien durchzuführen, die verschiedene Phasen durchlaufen müssen.
Patient im Mittelpunkt
Ein „Medical Command Center“ könne alles steuern, etwa die einfachen Managementaufgaben bis hin zum Aufspüren von seltenen Erkrankungen, abhängig von der Qualität der KI. „Und hier sind wir dann bei der Patientenreise – denn diese beginnt nicht immer im Spital und hört nicht im Spital auf, die Schnittstellen mit dem niedergelassenen Bereich müssen funktionieren“, sagte Knapp: „Das muss eine Einheit sein, denn nur so erhalten unsere Patienten eine vollumfängliche Versorgung.“ Ziel müsse sein, dass die KI das medizinische Personal entlastet und nicht zur Entfremdung von der Arbeit am Patienten führt: „Damit wir in der Lage sind, das zu tun, was wir auch studiert haben, nämlich: den Patienten nach aktuellem Stand der modernen Medizin zu behandeln“, sagte Knapp. Um die ärztliche Kerntätigkeit wieder mehr in den Vordergrund zu bringen, werden bereits Spracherkennungssoftware, Sprachassistenten und Termintools eingesetzt, um den administrativen Alltag zu unterstützen: „Die Künstliche Intelligenz ist sowohl im Krankenhaus, als auch in den Ordinationen angekommen“, ergänzte Bayer.
Schlanker digitaler Zwilling
Die digitalen Entwicklungen werden durch den Europäische Raum für Gesundheitsdaten (EHDS), der mit März in Kraft getreten ist, vorangetrieben. Neben den Primärdaten wird auch die Nutzung der Sekundärdaten für wissenschaftliche Zwecke von der EU reglementiert. Einer der wesentlichen Punkte des EHDS ist eine so genannte „patient summary“. Um diese umzusetzen, müssen nach einheitlichen Standards strukturierte Diagnosen zentral gespeichert werden, letztendlich sei das so etwas wie die schlanke Form eines digitalen Zwillings, betonte Bayer.
Ein erster Schritt auf dem Weg zur „patient summary“ sei die ab 1. Jänner 2026 verpflichtende automatische Diagnoseerfassung durch alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte – und damit auch Wahlärzte. Sie müssen nach ICD-10 codieren, um ärztliche Diagnosen für wissenschaftlich-medizinische Zwecke verwenden zu können. In Kooperation mit der Österreichischen Ärztekammer entwickelt die ELGA GmbH die fachlich terminologische Grundlage für das so genannte „e-Health Codierservice“. Die strukturierte Sprache der Medizin, SNOMED CT, wird automatisch mit dem gesetzlich gefordertem ICD-10 verknüpft.
Neben der gemeinsamen Entwicklung von digitalen Tools sei aber zudem auch die digitale Inklusion und das Vertrauen der Bevölkerung relevant: „Der digitale Zugang muss jedenfalls niederschwellig und barrierefrei möglich sein, zudem sollten Experten Hilfestellung für jene leisten, die diese benötigen“, sagt Bayer. So wäre ein „Digital Guide“ womöglich eine neue Berufsgruppe für die Zukunft, eine Art Begleiter für den digitalen Zwilling, eine Schnittstelle zum „Medical Command Center“.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2025