Sozialversicherung: Zukunftsplan für das Kassensystem

10.09.2025 | Aktuelles aus der ÖÄK

Autor: Sascha Bunda

Die massiven Herausforderungen im Gesundheitssystem müssen endlich entsprechend behandelt werden, forderte die Österreichische Ärztekammer und legte ein Angebot an die Kasse auf den Tisch.

Sascha Bunda

„Der Befund des ‚Patienten Gesundheitssystem‘ klingt alles andere als ermutigend“, sagte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, zum Auftakt einer Pressekonferenz zum Kassensystem. Dieses stecke in einer Finanzierungskrise. Zudem gäbe es zu wenig Ärztinnen und Ärzte im solidarisch finanzierten Gesundheitsbereich, überbordende Wartezeiten in den Ordinationen und bei OP-Terminen, dazu kommen noch erste Warnstreiks, bei denen man nicht ausschließen könne, dass sich diese auch auf andere Teile Österreichs ausweiten“, so Steinhart.

Es müsse also rasch und wirksam gegengesteuert werden. „Die Ärztekammer kann und will dabei auch weiterhin ein Teil der Lösung sein“, unterstrich Steinhart. Beispielsweise habe die Ärztekammer bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) bewiesen, dass man mit ihr problemlos österreichweite einheitliche Verträge abschließen kann. „Ein weiteres Beispiel für unsere Kooperationsbereitschaft und Lösungskompetenz ist der moderne einheitliche Leistungskatalog, den wir vor bereits fünf Jahren vorgestellt haben: der ÖGK, mehreren Gesundheitsministern und der Öffentlichkeit. Geschehen ist damit seither rein gar nichts“, sagte Steinhart, der auch einige Punkte im zuletzt kolportierten Rohbericht des Rechnungshofes zur niedergelassenen Versorgung in Österreich in den richtigen Zusammenhang setzte.

Einige Schlagzeilen hätten die Realität nicht korrekt abgebildet, vor allem die angeführte Honorarsteigerung bei Kassenärztinnen und -ärzten sei irreführend. „Ärztliche Honorare ergeben sich aus der Anzahl einer erbrachten Leistung multipliziert mit dem von der Krankenkasse für diese Einzelleistung bezahlten Tarif“, erklärte Steinhart. Die Tarife seien dabei deutlich unter der Inflation geblieben. Daher seien Zuwächse bei ärztlichen Honoraren vor allem auf massive Leistungs- und Frequenzsteigerungen zurückzuführen. „In den vergangenen fünf Jahren gab es einen 25-prozentigen Anstieg auf mittlerweile knapp 143 Millionen e-Card-Steckungen im Jahr 2024“, hielt Steinhart fest. „Also jedes Einnahmenplus über die Inflation hinaus haben sich die Ärztinnen und Ärzte selbst erarbeitet“, konstatierte Steinhart und stellte klar: „Ein Alleingang der Kassen bei der Erarbeitung eines Gesamtvertrages ohne Mitwirkung der Ärztekammer wäre ein bisher nicht dagewesenes sozialpartnerschaftliches und demokratiepolitisches Unding. Unsere Hand war und ist ausgestreckt“, so Steinhart.

„Wollen Gesamtvertrag“

Trotz der aktuellen Krise der Österreichischen Gesundheitskasse schauen die Ärztinnen und Ärzte in unserem Land darauf, dass das „Werkl“ läuft, dass Patientinnen und Patienten die bestmögliche Behandlung bekommen, unterstrich Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. Darüber hinaus treibe auch die Ärztekammer die Entwicklung des Gesundheitssystems unermüdlich voran. „Aus persönlicher Erfahrung kann ich bezeugen, welch riesige Arbeit der einheitliche Leistungskatalog war, den wir der ÖGK schon 2020 quasi in die Wiege gelegt haben“, sagte Wutscher und betonte: „In diesem Katalog sind auch 200 neue Leistungen enthalten, denn wir wollten die Kataloge nicht nur zusammenführen, sondern auch modernisieren – zum Wohle unserer Patientinnen und Patienten.“

Auch bei der Zusammenlegung der SVS und der BVAEB habe man sich als Partner mit Handschlagqualität bewiesen und ohne große Streitigkeiten jeweils österreichweite Gesamtverträge ausgehandelt. „Blockierer sehen anders aus“, hielt Wutscher fest: „Wir wollen auch den ÖGK-Gesamtvertrag.“ Es spricht nichts dagegen, auch mit der ÖGK einen gemeinsamen Fahrplan zu vereinbaren, mit dem wir die Honorare stufenweise und einen Zeitraum von mehreren Jahren österreichweit anpassen, um die Kasse nicht zu überlasten. „Wenn die ÖGK dazu bereit ist, setzen wir das gerne gemeinsam um“, schlägt Wutscher vor.

Es müsse der im aktuellen Regierungsprogramm festgehaltene Ausbau des niedergelassenen Bereichs umgesetzt werden. „Aber anstatt das zu tun, was gepredigt wird, geschieht genau das Gegenteil. Es gibt keine Verträge, die Ärzte flüchten, jetzt hat man auch noch begonnen, die Wahlärzte, eine ganz wichtige Säule in unserer Gesundheitsversorgung, zu knebeln“, so Wutscher.

Kaputtes Produkt

„Immer mehr Patienten versichern sich privat. Immer weniger Ärztinnen und Ärzte – also die Leistungserbringer – streben einen Kassenvertrag an. Und es kocht bei allen Leistungserbringern in den Bundesländern“, sagte Dietmar Bayer, Obmann-Stellvertreter der Bundeskurie niedergelassene Ärzte: „Das Produkt Kassenvertrag ist eigentlich kaputt, entweder man nimmt es vom Markt oder man saniert es – das ist bei dem Millionendefizit wohl dringend nötig.“ Zudem brauche es endlich Strukturreformen in der ÖGK. „Aber hier hat sich nichts geändert“, kritisierte Bayer. „Wir Ärztinnen und Ärzte stehen an der Seite unserer Patientinnen und Patienten – wenn wir nicht aufschreien, ist zu befürchten, dass sich die ÖGK lieber auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten saniert und Leistungen kürzt, anstatt endlich die möglichen Synergieeffekte der Fusion zu nutzen“, äußerte Bayer volles Verständnis für die Protestmaßnahmen in Kärnten. „Vor einigen Jahren hieß es noch ‚Koste es, was es wolle‘ – jetzt kann sich Österreich kaum noch die Grundversorgung leisten“, konstatierte Bayer. Die Gesundheitskasse müsse sich wieder auf ihre Kernaufgabe besinnen: die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Kassenärzten.

Ausgestreckte Hand

„Jetzt ist es unsere gemeinsame Aufgabe, von ÖGK über Ministerium bis Ärztekammern, an einem Strang in die gleiche Richtung zu ziehen und unser soziales und solidarisches Gesundheitssystem zu retten“, fasste ÖÄK-Präsident Steinhart zusammen. Der konkrete Vorschlag an die Kasse liegt auf dem Tisch: „Beenden wir die aktuellen Verhandlungen erfolgreich und schließen die Verträge ab. Dann setzen wir den einheitlichen Leistungskatalog um und vereinbaren wir wie bei BVAEB und SVS einen Fahrplan über beispielsweise fünf Jahre, in denen die Honorare per Aufholeffekt graduell angepasst werden, um die Kasse nicht zu überlasten.“ Für den Herbst wurden bereits weitere Gesprächstermine mit der Gesundheitskasse vereinbart.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2025