Österreich und Deutschland eint die aktuell volatile politische Situation – aber auch im Gesundheitsbereich stehen beide Länder vor sehr ähnlichen Herausforderungen.
Sascha Bunda und Thorsten Medwedeff
Der Auftakt des 15. Symposiums der Österreichischen Ärztekammer, das in traditioneller Weise das fachliche Vorprogramm zum Wiener Ärzteball in der Hofburg bildete, war gleich Chefsache. ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart präsentierte den hochkarätigen Gästen aus Deutschland die Entstehung und den Inhalt des „Regierungsprogramms Gesundheit“, das die ÖÄK eigentlich der neuen Regierung an die Hand geben wollte – auf eine erfolgreich vereinbarte Koalition wurde bei Redaktionsschluss aber immer noch gewartet. „Was unsere beiden Länder Deutschland und Österreich aktuell ganz besonders verbindet, ist die turbulente innenpolitische Situation: Während in unserem Nachbarland ja Ende Februar Neuwahlen anstehen, wird bei uns seit Ende September an einer neuen Regierung gebastelt. Gleichzeitig gibt es aber hier wie dort großen Reformbedarf und viele Baustellen, die man angehen muss – nicht zuletzt im Gesundheitsbereich. Da kommt dieses politische Vakuum also zur Unzeit“, hielt Steinhart treffend fest. „Gleichzeitig müssen wir in Österreich angesichts des Milliarden-Budgetlochs aufpassen, dass unser Gesundheitssystem nicht im Rahmen des nötigen Sparpakets unter die Räder kommt. Die Lage ist angesichts der so genannten Kostendämpfungspfade der vergangenen Jahre ohnehin schon deutlich im roten Bereich. Unüberlegte und kurzsichtige Handlungen könnten jetzt fatale Auswirkungen haben. Daher habe ich persönlich in den vergangenen Wochen immer wieder auch öffentlich vor dieser Gefahr gewarnt“, führte Steinhart weiter aus.
Die deutschen Gäste betonten nach dem Vortrag die erstaunlich großen Parallelen: Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, scherzte, damit sei der folgende Vortrag von Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, eigentlich hinfällig und auch Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, meinte, der Vortrag hätte genauso gut in der Bundesärztekammer gehalten worden sein.
Bodendieck arbeitete in der Folge aber doch noch die konkreten Synchronentwicklungen heraus: Auch in Deutschland gebe es riesige Probleme mit Kostendämpfungspfaden und zu viel Bürokratie. „Wir haben eine Unmenge an Menschen, die sich nur mit sich selbst beschäftigen“, meinte Bodendieck mit Verweis auf die 12 umfangreichen Bände des deutschen Sozialgesetzes, die sinnbildlich für den damit verbundenen bürokratischen Aufwand stünden. Auch die Patientenlenkung sei in Deutschland aktuell ein Thema, man könne hier durchaus ein digitales Ersteinschätzungstool vorschalten, meinte Bodendieck, der abschließend ergänzte, dass auch die deutsche Bundesärztekammer angesichts der bevorstehenden Wahlen in Vorleistung getreten ist und einen 7-Punkte-Plan für die Koalitionsverhandlungen ausgearbeitet hat.
Ärztliches Selbstbewusstsein
Mit dem disruptiven Prozess der Digitalisierung in der Medizin befasste sich Dietmar Bayer, neben seiner Funktion als Obmann-Stellvertreter der Bundeskurie niedergelassene Ärzte auch Präsident der ÖGTelemed. Sein Vortrag bot den Teilnehmern einen informativen Überblick über die Stakeholder-Landschaft im österreichischen E-Health/IT-Infrastruktur-Bereich sowie über die aktuellen Digitalisierungsprojekte, wobei Bayer aber auch kritisch anmerkte, dass eine mit allen Stakeholdern abgestimmte Roadmap noch fehlen würde. Dazu präsentierte er den aktuellen Stand beim European Health Data Space, nämlich, dass bei der e-Prescription die Voraussetzungen für die Go-Live Freigaben seitens Österreich erfüllt seien. Am Beispiel des e-Impfpasses arbeitete Bayer heraus, dass die Einbeziehung aller Stakeholder Voraussetzung für ein positives Gelingen von IT-Projekten ist. Nicht zuletzt deswegen lautet eine der zentralen Forderungen der ÖÄK, dass Ärztinnen und Ärzte in die Gestaltung von derartigen Projekten eingebunden werden müssen, damit Systeme so ausgeformt werden, dass die Ärztinnen und Ärzte gerne damit arbeiten und sie als Unterstützung in ihrem Alltag wahrnehmen. Ebenso, dass die Letztentscheidung stets beim Arzt und nicht beim Algorithmus liegen muss und KI-Tools daher stets nur zur Unterstützung und nicht als Ersatz dienen können. Den Abschluss von Tag eins bildete der Vortrag von Montgomery, der die Herausforderungen für die Versorgung in der Zukunft behandelte und dabei auch globale Metathemen wie Lebenserwartung und Bevölkerungsentwicklung, die drohende „Völkerwanderung“ sowie zunehmende Gesundheitsbedrohungen durch die Auswirkungen des Klimawandels sowie soziale Strukturprobleme wie die wachsende Vereinsamung beleuchtete. Der Quanten-IT prognostizierte Montgomery dabei ebenso ein riesiges großes Disruptionspotenzial. Eines sei jedoch fix: „Wir werden immer Ärztinnen und Ärzte brauchen“, meinte Montgomery und plädierte auch für mehr ärztliches Selbstbewusstsein und dafür, das Rückgrat zu haben, zum eigenen Können zu stehen.
Finanzierung aus einer Hand
Strategien wider den latenten Ärztemangel und für eine nachhaltige Absicherung der solidarischen Gesundheitsversorgung standen im Mittelpunkt des zweiten Tags des ÖÄK-Symposiums – und auch hier waren sich die österreichischen wie auch die deutschen Standesvertreter einig. Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte, unterstrich in seinem Vortag, wie wichtig eine verbindliche Lenkung der Patientenströme aus Sicht der ÖÄK ist und dass es bereits punktuell erfolgreiche Lösungswege gibt. Dazu zählen eine stärkere Einbindung der Gesundheitshotline 1450 als erster Anlaufpunkt im System – insbesondere in Wien funktioniert das schon sehr gut – oder auch die dem AKH Wien vorgelagerte allgemeinmedizinische Akutversorgung (AMA). Mayer: „1450 wird dann funktionieren, wenn die Daten sofort in der ELGA sind. Wir brauchen nur funktionierende Schnittstellen – solange wir diese nicht haben, wird es nicht funktionieren.“ Zur Patientenlenkung meinte er: „Diese muss un bedingt kommen. Die brachialste Lösung wäre es, gesetzlich festzulegen, dass man ohne Überweisung nicht mehr ins Spital kommen darf. Wir dürfen die Ressource Arzt nicht mehr durch ineffiziente Inanspruchnahme verschwenden.“
Edgar Wutscher, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, betonte, wie wichtig das Zusammenspiel von extra- und intramuralem Bereich ist. „Dass die ambulante Versorgung durch den Bund finanziert und vollzogen wird und die stationäre durch die Länder, macht es nicht einfacher“, so Wutscher. „Daher muss man über die Finanzierung aus einer Hand nachdenken. Doch die Länder wollen ihre Kompetenz nicht hergeben.“ Die Konsequenz: Es zahlen zwei verschiedene Stellen, die unterschiedliche Interessen haben – nicht unbedingt zum Wohle der Gesundheitsversorgung. Dieses glaubt die Politik in der Errichtung von Primärversorgungszentren zu finden, führte Wutscher aus: „Da wird von 300 PVEs bis 2030 geträumt, man bedenke, dass es jetzt 80 gibt. Das ist nicht die Lösung. Vielmehr braucht es mehr Kassenstellen. Derzeit fehlen 400, wir fordern aber 1.000.“
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2025