Medizingeschichte: Über alle Hürden

25.09.2025 | Aktuelles aus der ÖÄK

Autor: Sascha Bunda

Vor 125 Jahren hat erstmals in Österreich eine Studentin ein Medizinstudium begonnen. Ein neues Buch würdigt die Meilensteine und Erfolge der Vorkämpferinnen für Frauen in der Medizin. „Auch heute ist längst noch nicht alles erreicht“, heißt es mahnend aus der Ärztekammer.

Sascha Bunda

„Die Universität ist eine Vorschule für die Berufszweige des männlichen Geschlechtes.“ So formulierten die Professorenkollegien der österreichischen Universitäten 1878 eine gemeinsame Stellungnahme zur Frage, ob man Studentinnen den Zugang zum Medizinstudium gewähren sollte. Es ist eines von vielen authentischen Zitaten im neuen Buch von Birgit Kofler-­Bettschart, das die Leserschaft von 2025 glücklicherweise nur noch zu einem kopfschüttelnden Schmunzeln bringt. Vor 125 Jahren jedoch waren es harte Kämpfe, die die vielen Pionierinnen des österreichischen Medizinstudiums ausfechten mussten, um endlich das herzustellen, was für uns heute Normalität ist. Unter dem Titel „Ärztinnen, die Geschichte schrieben – 125 Jahre Medizinstudium für Frauen in Österreich“ holt Kofler-Bettschart diese zahlreichen Vorkämpferinnen vor den Vorhang und erweist ihnen die verdiente Reverenz für ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit. An diese Aufgabe ging sie mit viel Respekt, aber auch mit großer Begeisterung durch die spannende Recherche heran, erzählt die Autorin. Die Begeisterung für das Thema ist bei der Lektüre spürbar, die lebendigen Formulierungen lassen die Geschichte greifbar werden, lassen beispielsweise miterleben, wie die männlichen Medizinstudenten im Dezember 1900 mit Operngläsern in den Anatomiesaal kommen, um mitverfolgen zu können, wenn die „Fräulein“ beim Anblick der Leichen ohnmächtig werden. Ein Gefallen, den die Studentinnen ihren männlichen Kollegen übrigens nicht machen. „Mit ruhiger Hand nehmen die jungen Frauen ihre Instrumente zur Hand und beginnen mit der praktischen Übung am Leichnam. Keine fällt in Ohnmacht, keine zeigt ein Zeichen von Schwäche“ heißt es im Buch. Und diese Stärke brauchen die Studentinnen auch weiterhin – über Jahrzehnte.


BIRGIT KOFLER-BETTSCHART – Ärztinnen, die Geschichte schrieben
125 Jahre Medizinstudium für Frauen in Österreich ISBN: 978-3-9505385-8-8, Preis: 29,90 €, Format: 14,8 x 21cm, 224 Seiten, Ampuls Verlag, Hardcover

„Auch nachdem am 3. September 1900, 535 Jahre nach Gründung der Universität Wien, erstmals die Inskription zum Medizinstudium für Frauen möglich war, war es kein geradliniger Weg“, erinnerte Kofler­Bettschart im Rahmen der Buchpräsentation im vollgefüllten Jugendstilhörsaal der MedUni Wien: „Nach jeder Errungenschaft standen die Frauen vor einer neuen Hürde. Sie durften zwar studieren, aber nicht im Spital arbeiten. Dann durften sie im Spital arbeiten, aber nicht habilitieren. Auf jeden Schritt vorwärts folgten neue Hindernisse und Widerstände.“

Besondere Stärke

„Auch heute ist längst noch nicht alles erreicht“, kommentierte Naghme Kamaleyan-­Schmied, stellvertretende Obfrau der Bundeskurie niedergelassene Ärzte sowie Vizepräsidentin und Kurienobfrau der Kurie niedergelassene Ärzte in der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, die das Buchprojekt unterstützt hat. Immer noch seien die Fächer, in denen Frauen besonders stark vertreten sind, wie Allgemeinmedizin, Gynäkologie und Kinder­ und Jugendheilkunde, tendenziell eher schlechter bezahlt, noch immer gebe es gläserne Decken für Ärztinnen. Kamaleyan-Schmied sieht aber hoffnungsvoll in die Zukunft: „Wir Ärztinnen sind lautstark, wir verändern gerne, wir lassen uns nicht alles gefallen und wir werden immer mehr. Und eine besondere Stärke ist: Wir haben gelernt, uns in einer Männerwelt durchzusetzen.“ Besonders wichtig sei, dass Ärztinnen auch die Arbeitsbedingungen mitgestalten, dazu gehöre unter anderem auch, die Aufwertung der Zuwendungsmedizin einzufordern.

Pionierinnen als Beispiel

Auch Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer und der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, betont die entscheidende Rolle von Frauen in der Ärzteschaft. „Inzwischen gibt es in der Ärzteschaft ein fast exaktes Gleichgewicht bei den Geschlechtern, in der Allgemeinmedizin und im Turnus sind Ärztinnen mit 60,8% bzw. 56,4% sogar in der Überzahl. Jetzt müssen wir daran arbeiten, dass sich dieses Gleichgewicht auch als Gleichwertigkeit in den übrigen Teilen der Medizin und vor allem auch in den Führungspositionen abbildet – und damit schließe ich die Funktionen in den Ärztekammern ausdrücklich mit ein“, hält Steinhart fest. In der Wiener Kammer habe man hier schon bedeutende Fortschritte erreichen können, auch die Umbenennung in Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien habe sehr viele positive Rückmeldungen gebracht. „Dennoch ist auch 125 Jahre nach dem Meilenstein Zugang zum Medizinstudium noch viel zu tun“, betont Steinhart: „Gender Gaps im Beruf und in Medizin und Forschung haben in der Zukunft keinen Platz mehr. Diese Hürden müssen wir überwinden – an der Ausdauer und dem Durchhaltevermögen der Pionierinnen können wir uns ein Beispiel nehmen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2025