Die Versorgungsprobleme im Kassensystem spitzen sich in allen Bundesländern zu. Die Bundeskurie niedergelassene Ärzte forderte öffentlich Sofortmaßnahmen.
Sascha Bunda
Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen: Spätestens ab dem Zeitpunkt, als ÖGK-Arbeitnehmerobmann Andreas Huss öffentlich davon sprach, dass die Österreichische Gesundheitskasse „auch in Konkurs gehen könne“, waren die Finanzprobleme der ÖGK endgültig in aller Munde. Für die Standesvertreter der niedergelassenen Ärzte kam diese Entwicklung nicht überraschend, schon seit Wochen befinden sie sich wegen des Finanzlochs der Kasse in besonders intensivem Austausch.
Aus einer dieser Krisensitzungen wechselten die Kurienobleute direkt in eine Pressekonferenz, um öffentlich die Dimension der Krise deutlich zu machen. Dabei sparten sie nicht mit drastischen Diagnosen: „Aktuell ist es in einigen Bundesländern so, dass die Österreichische Gesundheitskasse als Verhandlungspartner inexistent ist. Man setzt sich zwar mit uns an einen Tisch, aber man kann uns nicht einmal irgendein Angebot vorlegen, über das wir verhandeln könnten“, eröffnete Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. „Die Führung der Sozialversicherung hat Fehler gemacht und wirtschaftet unserer Meinung nach falsch“, so Wutscher. Die Finanzierung des solidarischen Gesundheitssystems müsse „ganz oben auf der Agenda der Regierungsverhandlungen stehen“, richtete Wutscher daher seine Forderung an die Koalitionsverhandler.
Wutscher forderte dringend einen Krisengipfel: „Ein Runder Tisch mit Sozialversicherung, Politik und Ärztekammer ist schnellstmöglich zu organisieren, um eine nachhaltige Lösung zu erarbeiten.“ Weitere Forderungen: Soforthilfen durch den Bund zur Stabilisierung der ÖGK, nachhaltige Strukturreformen zur Attraktivierung der Verträge und mehr Transparenz in der Finanzgebarung der ÖGK.
Entwicklung im Keim erstickt
Dietmar Bayer, stellvertretender Bundeskurienobmann, hielt fest: „Unser Gesundheitssystem ist immer noch für die acht Millionen Einwohner ausgelegt, die Österreich im Jahr 2000 hatte – mittlerweile haben wir über neun Millionen Einwohner, aber immer noch fast dieselbe Anzahl an Kassenärztinnen und Kassenärzten. Unser System hatte nie die Chance mitzuwachsen, diese Entwicklung hat die Politik durch Vernachlässigung und Kostendämpfungspfade im Keim erstickt.“ Dazu komme eine ‚Kassenreform‘ und ‚Zusammenlegung‘, die völlig verpfuscht worden seien: „Statt von den Synergien zu profitieren – ich erinnere daran, dass uns dieses Einsparpotenzial eine versprochene ‚Patientenmilliarde‘ finanzieren hätte sollen – waren die einzigen, die davon profitiert haben, die Berater. In der Privatwirtschaft hätte so ein Missmanagement harte personelle Konsequenzen. Man muss sich vor Augen halten, welche drastischen Folgen eine Zahlungsunfähigkeit der ÖGK hätte – für Patienten, Ärzte und das gesamte Gesundheitssystem. Es drohen Einschränkungen bei Behandlungen, längere Wartezeiten und eine steigende finanzielle Belastung für Versicherte“, so Bayer, der auch darauf hinwies, dass es gerade im Bereich der Digitalisierung noch eine Menge Potenzial gebe, „das wir endlich heben müssen. Schon bisher hat in Österreich und auch international niemand verstanden, warum sich Österreich den Luxus von drei verschiedenen IT-Firmen leistet – und in den Zeiten eines Budgetlochs noch viel weniger: ELGA GmbH, die SVC und die IT-SV müssen endlich zusammengelegt werden.“
„3-Minuten-Medizin ist längst Realität“
Obmann-Stellvertreterin Naghme Kamaleyan-Schmied betonte: „Die Akutversorgung funktioniert aktuell mit viel persönlichem Einsatz der Ärztinnen und Ärzte gerade noch, wenn wir nicht handeln, kann auch diese nicht mehr dauerhaft garantiert werden. Die ‚3-Minuten-Medizin‘ ist im Kassensystem längst Realität: Ärztinnen und Ärzte sind durch die ständig wachsende Belastung und den enormen Zeitdruck am Limit. Viele von uns denken nachvollziehbarerweise darüber nach, dem solidarischen Gesundheitssystem den Rücken zu kehren. Ohne eine grundlegende Aufwertung der Kassenmedizin, faire Honorare und moderne Leistungen wird es nicht möglich sein, Ärztinnen und Ärzte langfristig im System zu halten. Ich appelliere an die Politik, jetzt im Sinne der Bevölkerung Verantwortung zu übernehmen, und an die Gesundheitskasse, endlich wieder an einem Strang zu ziehen und konstruktive Gespräche aufzunehmen.“ Sie überreichte der Regierung symbolisch einen Defibrillator – mit der Aufforderung, das Gesundheitssystem wiederzubeleben.
Probleme in allen Bundesländern
Das Kassensystem werde dann attraktiver, „wenn es auch flexibler wird“, sagte der Salzburger Kurienobmann Christoph Fürthauer. Dazu gehöre auch, moderne Arbeitsmodelle zu ermöglichen. „Uns fehlen vor allem Kassenärzte in den Flächenbundesländern wie Niederösterreich. Hier haben wir das Problem, dass die Medikamentenabgabe in der Ordination nach wie vor nicht möglich ist“, ergänzte der niederösterreichische Kurienobmann Max Wudy. Michael Schriefl, Kurienobmann im Burgenland, gab zu bedenken: „Wir Kassenärzte haben immer weniger Zeit für immer mehr Patienten. Alles, was außerhalb der direkten Patientenversorgung hilft, Zeit zu sparen, ist sinnvoll.“ Alleine die Abschaffung des Arzneimittel-Bewilligungs-Service (ABS) wäre schon sehr hilfreich. Kurienobmann Wolfgang Ziegler aus Oberösterreich forderte Nachverhandlungen bei den Lehrpraxis-Förderrichtlinien, „denn sonst werden viele Ärztinnen und Ärzte keine Lehrpraktikanten mehr ausbilden. Wir dürfen die Lehrpraxis nicht aushungern, sondern müssen sie ausbauen – indem beispielsweise die Lehrpraxisförderung auch auf Fachärztinnen und Fachärzte ausgedehnt wird.“
In Videobotschaften wandten sich die Vertreter aus Kärnten und Vorarlberg an das gut gefüllte Auditorium. Alexandra Rümmele-Waibel, Kurienobfrau aus Vorarlberg, strich ein Pilotprojekt der Landeskammer mit der ÖGK-Landesstelle heraus: „Junge Ärztinnen haben nach der Entbindung für einen gewissen Zeitraum einen Anspruch auf einen finanziellen Mutterschutzausgleich. Dies wäre als Beispiel für ganz Österreich auszurollen. Aufgrund der jetzigen finanziellen Situation der ÖGK wird dies wohl nicht möglich sein. Die ÖGK schafft es im Moment nicht einmal, die Inflation auszugleichen.“ Wilhelm Kerber, der Kärntner Kurien-obmann, betonte die großen demographischen Probleme: „Die Menschen werden immer älter, brauchen immer mehr Leistungen und gleichzeitig sind die Kassenärzte in der Altersstruktur so, dass in den nächsten Jahren 50 Prozent unserer Kassenärzte in Pension gehen werden. Wir weisen seit vielen Jahren auf diese Umstände hin und es ist jetzt eigentlich fünf nach zwölf. Wir erwarten, dass sowohl die Reform als auch die Politik endlich in die Gänge kommen.“
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2025