Kassenärztemangel am Land: Versorgung muss entstaubt werden

24.10.2025 | Aktuelles aus der ÖÄK

Autoren: Sascha Bunda, Sophie Niedenzu

Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass Gemeindevertreter zunehmend Probleme bei der wohnortnahen Versorgung sehen. Flexiblere Kassenverträge, Schutz der bestehenden ärztlichen Hausapotheken und die Möglichkeit der Abgabe von Medikamenten in Ordinationen seien mögliche Lösungswege, betont die Bundeskurie niedergelassene Ärzte.

Sascha Bunda, Sophie Niedenzu

Kassenärzte sind in manchen Regionen fast schon ein rares Gut: Österreichweit gibt es aktuell 311 offene Kassenstellen, davon 175 in der Allgemeinmedizin. „Viele Gemeinden sind ohne Allgemeinmediziner, wodurch der niederschwellige und wohnortnahe Zugang zur medizinischen Versorgung immer schwerer wird“, hielt Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, im Rahmen einer Pressekonferenz in Wien fest. Persönlich ein Bild davon konnte er sich bei der diesjährigen Kommunalmesse in Klagenfurt (siehe Seite 12) machen, wo er den ÖÄK-Stand leitete: „Dabei konnten wir mit vielen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern ins Gespräch kommen, aus denen klar hervorgeht: Das Problem der zunehmend schwierigeren Besetzung von Kassenstellen ist allen schmerzlich bewusst“, resümierte er. Auch eine aktuelle Umfrage des Kommunalverlages unter Bürgermeistern, Vize-Bürgermeistern, Amtsleitern, Gemeindemandataren und anderen Gemeindebediensteten belegt, dass das Thema zunehmend problematisch wird und sie neue Lösungsansätze einfordern, berichtete Wutscher: Fast 70 Prozent der Gemeindevertreter stimmen zu, dass sich die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Kassenärzte positiv auf die Zukunft ihrer Gemeinde auswirken würde. 56 Prozent der 789 Teilnehmer meinen, dass Erleichterungen bei Gründung und Bewahrung von ärztlichen Hausapotheken eine positive Auswirkung auf die Zukunft ihrer Gemeinden haben würde. Bei der Möglichkeit für Ärzte, in ihrer Praxis Medikamente abzugeben, stimmen 58 Prozent zu. „Das zeigt klar, dass die Patientenversorgung am Land essentiell dafür ist, ob eine Region überlebt“, sagte Wutscher: „Wenn es keinen Arzt im Ort gibt, wird es schwierig, sowohl mit dem Zuzug, als auch damit, die Bevölkerung im Ort zu halten.“ Daher fordert die Bundeskurie niedergelassene Ärzte neben flexibleren Kassenverträgen auch den Schutz der ärztlichen Hausapotheken und das Recht auf Medikamentenabgabe für alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

Hausapotheken: Status Quo erhalten

Die medikamentöse Versorgung von Patienten durch ihre Hausärzte leidet unter immer größeren gesetzlichen Restriktionen. Die Folge: Die Zahl der hausapothekenführenden Niederlassungen nimmt stetig ab. Größtes Hindernis für den Betrieb von ärztlichen Hausapotheken sei das veraltete Apothekengesetz, führte Silvester Hutgrabner, Leiter des ÖÄK-Referates für Hausapotheken und Medikamentenangelegenheiten aus: „Dort heißt es, dass im Umkreis von vier Straßenkilometern einer öffentlichen Apotheke keine ärztliche Hausapotheke bewilligt werden darf, im Umkreis zwischen vier und sechs Kilometern nur in Form einer Nachfolgepraxis“, so der Allgemeinmediziner. Bis 1998 gab es österreichweit knapp 1.000 öffentliche Apotheken und 1.100 ärztliche Hausapotheken. Nach etlichen Gesetzesnovellen und höchstgerichtlichen Entscheidungen hat sich die Zahl der ärztlichen Hausapotheken auf aktuell rund 800 verringert, während die Zahl der öffentlichen Apotheken auf gut 1450 gestiegen ist, schilderte Hutgrabner die zunehmende Schieflage. „Dabei sagen uns Studien, dass die Stärkung ärztlicher Hausapotheken dabei helfen würde, offene Kassenstellen zu besetzen. Von bis zu 400 neuen Kassenärzten gehen die Experten dabei aus“, betonte Hutgrabner. Mit einer Stärkung sei keinesfalls eine Erhöhung der Zahl an Hausapotheken gemeint, sondern die Absicherung des Status Quo, betonte er das Anliegen.

Vertretungsarzt und PVE ohne Hausapotheke

„Dass der Tierarzt im Gegensatz zum Humanmediziner beim Hausbesuch alle Medikamente mit dabeihat, legt den Schluss nahe, dass es der kranken Kuh besser geht als der kranken Bäuerin“, veranschaulichte Carmen Berti-Zambanini, Obfrau des Schutzverbandes hausapothekenführender Ärzte, die Situation. Die Allgemeinmedizinerin aus dem Bregenzerwald forderte außerdem mehr Rücksichtnahme auf die älter werdende Bevölkerung: „Immer mehr Menschen sind darauf angewiesen, dass ihnen Verwandte oder Freunde die benötigten Medikamente aus der Apotheke mitbringen. Die anderen, die noch fit genug für den Weg zur Apotheke sind, zwingen wir nachts in Autos oder Postbusse, damit sie die Therapie bekommen, die sie benötigen“, kritisierte sie. Ein weiteres Beispiel zeige, wie auf Kosten der Bevölkerung vorgegangen werde: „Geht ein Arzt, der in seiner Ordination eine Hausapotheke führt, auf Urlaub, darf der Arzt, der ihn in dieser Zeit in der Praxis vertritt, keine Medikamente aus der Hausapotheke abgeben. Auch das ist eine völlig aus der Zeit gefallene Regelung“, so Berti-Zambanini.

Völlig unverständlich sei zudem, dass Primärversorgungseinrichtungen überhaupt keine ärztlichen Hausapotheken führen dürfen, ergänzte Berti-Zambanini: „Sie können sich in den PVE zwar von mehreren Allgemeinmedizinern oder Kinderärzten behandeln lassen, sie können dort Ernährungsberatung oder Physiotherapie bekommen – aber für die Medikamente müssen kranke Menschen erst wieder den umständlichen, meist zeitaufwendigen Weg zur nächsten Apotheke auf sich nehmen.“ Das stehe im Widerspruch zu einem Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde aus 2019, worin sie empfiehlt, zusätzlich zu der bereits bestehenden Bestimmung über die Kooperation der PVE mit öffentlichen Apotheken eine Möglichkeit vorzusehen, dass in PVE selbst auch Hausapotheken geführt werden dürfen: „Das würde vor allem im ländlichen Bereich einen Mehrwert der ganzheitlichen gesundheitlichen Versorgung bringen, heißt es dort explizit“, sagte Berti-Zambanini: „Deutlicher kann man das eigentlich nicht formulieren und auch die ersatzlose Streichung der Mindestentfernungen findet sich in diesem Bericht.“ Wutscher, Hutgrabner und Berti-Zambanini forderten daher, diese Empfehlungen endlich umzusetzen. Ein nächster, logischer Schritt sei das Dispensierrecht, also die Möglichkeit für alle niedergelassenen Ärzte, Medikamente abzugeben. Wutscher und Hutgrabner kündigten diesbezüglich eine bevorstehende Informationskampagne an.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2025