Interview Johannes Steinhart: „Das können nur starke Standesvertretungen garantieren“

10.10.2025 | Aktuelles aus der ÖÄK

Autor: Sascha Bunda

Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, spricht im Interview mit Sascha Bunda über den Stellenwert der Ärzteschaft in der Gesundheitsversorgung, die Rolle der ärztlichen Standesvertretung im aktuellen gesundheitspolitischen Diskurs, und über das Zukunftsthema Künstliche Intelligenz in der Medizin.

Aktuell läuft eine sehr aufmerksamkeitswirksame Kampagne der Österreichischen Ärztekammer, die die Leistungen der Ärztinnen und Ärzte besonders in den Vordergrund stellt. Wie lautet Ihr Zwischenfazit? Für mich ist das Wichtigste, dass wir Ärztinnen und Ärzte die Anerkennung bekommen, die uns zusteht. Dass wir zu den am meisten geschätzten Berufsgruppen gehören, das zeigen zahllose Umfragen und Erhebungen immer wieder, aber im gesundheitspolitischen Diskurs geht das zu Unrecht oft unter. Stattdessen wird den ärztlichen Leistungserbringern gerne der Schwarze Peter für alles zugeschoben, was in der Versorgung nicht funktioniert. Bei manchen Gesundheitspolitikern und Sozialversicherern gehört das fast schon zum Ritual. Beobachtungen und Umfragen aus den vergangenen Jahren zeigen auch, dass sich die Stimmung in den Ambulanzen und den Ordinationen häufig aufgeheizt hat. Immer wieder werden Ärztinnen und Ärzte Opfer von verbaler Gewalt oder sogar körperlichen Übergriffen. Das ist völlig inakzeptabel. Abgesehen davon, dass Ärztinnen und Ärzte nicht verantwortlich für lange Wartezeiten und überfüllte Ambulanzen sind. Ich glaube, dass Patientinnen und Patienten das auch grundsätzlich wissen. Die neue Kampagne soll auch ins Gedächtnis rufen, dass Arzt und Patient ein besonderes partnerschaftliches Vertrauensverhältnis verbindet.

Sollten Ärztinnen und Ärzte, die schließlich am besten über die Realitäten und Schwachstellen der Gesundheitsversorgung Bescheid wissen, nicht viel stärker in die Lösung der aktuellen Probleme im Gesundheitswesen eingebunden werden? Selbstverständlich. Schließlich verzeichnen Österreichs Ärztinnen und Ärzte jeden Tag über eine halbe Million Patientenkontakte in den Ordinationen und Spitälern. Sie kennen daher genau die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten und können beurteilen, wo es im Gesundheitssystem Verbesserungspotenzial gibt. Das gilt auch für den aktuellen Mangel an Bereitschaft, als Ärztin oder Arzt im öffentlichen System tätig zu werden. Leider gehen die Lösungsvorschläge oft in völlig untaugliche Richtungen wie zum Beispiel Zwangsverpflichtungen, Kompetenzverlagerung an schlechter oder anders ausgebildete Berufsgruppen, oder den Verkauf von öffentlichen Gesundheitseinrichtungen an private Investoren. Das wären fatale Entwicklungen, die unser System über Jahrzehnte hinweg beschädigen würden. Ohne Ärztinnen und Ärzte geht es nicht, das muss jedem klar sein. Die Überlegungen müssen daher in die Richtung gehen, wie man das öffentliche Gesundheitssystem wieder so attraktiv macht, dass Ärztinnen und Ärzte gerne darin arbeiten. Dafür haben wir bereits eine Reihe von Lösungskonzepten erarbeitet, die sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten auch in Zukunft die bestmögliche Versorgung bekommen, ohne dass ihre Sicherheit gefährdet wird oder sie zu Kosten-Nutzen-Rechnungen degradiert werden. Das beinhaltet flexiblere Kassenverträge, generell bessere Arbeitsbedingungen und einen deutlichen Bürokratieabbau.

Wie beurteilen Sie unter diesem Gesichtspunkt die Rolle der ärztlichen Standesvertretung? Die Interessen von Patientinnen und Patienten bleiben in der Gesundheitspolitik oft als erstes auf der Strecke. Weil wir uns ihnen verpflichtet fühlen, legen wir großen Wert darauf, mit den Patientinnen und Patienten gemeinsam den Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem entgegenzutreten, also auch hier immer an ihrer Seite zu sein. Aber auch für uns Ärztinnen und Ärzte selbst ist die Standesvertretung unverzichtbar. Der Arztberuf ist zurecht ein freier Beruf. Das bedeutet, dass die medizinischen Grundsätze vor den politisch, ökonomisch und bürokratisch begründeten Vorgaben anzuwenden sind. Diese Unabhängigkeit und Freiheit können nur starke Standesvertretungen garantieren. Nur so können die medizinische Qualität und ethische Grundsätze frei von politischer oder ökonomischer Einflussnahme gehalten und somit bewahrt werden. Nur eine starke Kammer kann die Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Politik, den Kassen und den Konzernen wirksam verteidigen.

Als Präsident der Landesärztekammer für Wien haben Sie kürzlich ein Symposium zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Medizin veranstaltet. Welche Eindrücke haben Sie dort gewonnen? Das Interesse an Digitalisierung und KI ist verständlicher Weise sehr hoch, schließlich werden sie unsere Ausbildung und unseren Beruf stark beeinflussen. Ärztinnen und Ärzte wollen seriöse Informationen über Chancen und Risiken von KI, über die technologischen Entwicklungen und deren mögliche praktische Auswirkungen, und kein Marketinggeschrei. Zudem gibt es viele eminent wichtige Fragen, die noch zu klären sind – etwa bei der diagnostischen Sicherheit, der Ethik, der Verantwortlichkeit oder der Haftung.

Wie ist Ihr Zugang zu diesem Thema? Ich denke, man sollte sich einerseits nicht dagegen sperren, dass die Potenziale der KI, zum Beispiel in der Diagnostik, Ärzten und Patienten zu Gute kommen. Andererseits müssen die Entwicklungen mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein, planvoll und schrittweise erfolgen, damit die KI nicht aus dem Ruder läuft. Die Politik sollte das mit vernünftigen Gesetzen begleiten. Ärztinnen und Ärzte müssen auch in Zukunft das letzte Wort bei Diagnose und Therapie haben. Unser Ethos kann nicht zulassen, dass wir unsere Patientinnen und Patienten mit KI alleine lassen. KI kann uns also unterstützen – bei der Diagnose, der Therapieentscheidung, der Patientenüberwachung, bei administrativen Aufgaben, etc. -, aber darf uns niemals ersetzen. Zentral war für mich die Aussage von KI-Experte Bart de Witte, der meinte, Ärztinnen und Ärzte sollten nicht nur Anwender, sondern auch Gestalter von KI sein. Damit hat er völlig recht. Nur wenn wir uns einbringen, können wir diese Transformation mitgestalten. Wir dürfen auf keinen Fall die Entwicklungen den KI-Anbietern, der Politik, den Kassen oder Gesundheitskonzernen überlassen. Außerdem hat sich in der Vergangenheit regelmäßig gezeigt, dass Digitalisierungsprojekte nur dann gelingen können, wenn Ärztinnen und Ärzte frühzeitig und vollwertig eingebunden werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2025