Ein Bericht des EU-Rechnungshofs warnt vor kritischen Engpässen bei Medikamenten in Europa. Die von den EU-Ländern gemeldeten Mängel an Medikamenten haben in den vergangenen zwei Jahren eine Rekordhöhe erreicht – ein unhaltbarer Zustand, wie ÖÄK-Vizepräsident Harald Mayer befindet.
Thorsten Medwedeff
Die meisten Engpässe wurden zwischen 2022 und 2024 laut Daten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Belgien, Spanien und Frankreich gemeldet. Österreich liege im europäischen Mittelfeld auf Platz elf. Der EU-Rechnungshof kritisierte in einem Mitte September veröffentlichten Bericht, dass es auf EU-Ebene noch immer kein wirksames System oder eine gemeinsame Strategie gebe, diesen Medikamentennotstand zu bekämpfen.
Grundsätzlich falle die Überwachung der Arzneimittelversorgung in der Europäischen Union in erster Linie in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, wobei die EMA die Koordinierung übernehme. Allerdings sei diese noch immer nicht befugt, die EU-Länder auch jenseits von Gesundheitskrisen – wie etwa bei einer Pandemie – zu unterstützen. Zudem werde die EMA, so der Bericht, häufig erst zu spät und nur unvollständig über Engpässe informiert, um diese verhindern zu können. Die EU-Kommission nennt unterschiedliche Ursachen für die Engpässe, etwa Schwachstellen in den Lieferketten oder ineffiziente Bevorratung in den einzelnen Staaten. Eines der größten Probleme sei aber, dass die Produktion, vor allem von Antibiotika und Schmerzmitteln, größtenteils nach Asien ausgelagert worden ist.
Abhängigkeit vom asiatischen Markt beenden
Genau hier müsse eine europäische Strategie ansetzen, forderte zum wiederholten Mal der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte (BKAÄ), Harald Mayer: „Wir brauchen in Europa, aber auch in Österreich, wirksame Maßnahmen zur Behebung dieses Mangels. Wichtige Medikamente müssen wieder vermehrt in Europa produziert werden, um endlich die Abhängigkeit vom asiatischen Markt zu stoppen. Das gilt besonders auch für die Rohstoffproduktion. Medikamentenengpässe in Europa und in Österreich sind unerklärlich und nicht zu tolerieren. Es ist höchste Zeit, dass die Politik sich dieses Problems annimmt und es auf der Liste gesundheitspolitischer Themen deutlich höher priorisiert als bisher.“
Aktuell waren zum Zeitpunkt des EU-Rechnungshofberichts in Österreich 432 Medikamente laut Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) nicht oder nur eingeschränkt in der jeweiligen, angeführten Packungsgröße verfügbar. Auf dieser ständig aktualisierten Liste stehen bekannte Medikamente, von Schmerzmitteln bis hin zu Impfstoffen, Magenschutz oder Antibiotika.
Gesundheit von unschätzbarem Wert
„Die EU, aber auch Österreich, hätten genug Geld, um hier gegenzusteuern und die eigenständige Medikamenten- und Rohstoffproduktion zu fördern und anzukurbeln. Gesundheit, und damit auch Medikamente und deren Produktion, muss uns etwas wert sein. Ständige Engpässe sind für die betroffenen Patienten eine Zumutung und dürfen in einer der reichsten Regionen der Welt einfach nicht stattfinden! Unsere Patienten und Ärzte müssen sich darauf verlassen können, dass hier ausreichend Medikamente zur Verfügung stehen“, fordert Mayer. Gemeinsam mit den Ärztekammern in Deutschland und in der Schweiz hatte die ÖÄK bereits mehrfach in Resolutionen auf die Engpässe hingewiesen und politische Initiativen auf EU-Ebene eingefordert.
„Leider gibt es aber nach wie vor keine erfolgversprechende, abgestimmte EU-Strategie, wir sind bei der Medikamentenversorgung immer noch auf unternehmerische Eigeninitiativen angewiesen“, unterstreicht der BKAÄ-Obmann und spielt damit zum Beispiel auf den Tiroler Standort Kundl des harma-Unternehmens Sandoz an. „Dort werden in den nächsten zehn Jahren für die Modernisierung und Erweiterung der Antibiotika-Produktion 250 Millionen Euro investiert. Das zeigt: Wo ein Wille, ist auch ein Weg.“
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2025