Angestellte Ärzte: Interview Harald Mayer: Mehr Zeit für die Patienten

25.06.2025 | Aktuelles aus der ÖÄK

Autor: Thorsten Medwedeff

60 Prozent der Spitalsärzte finden ihre Arbeit unangenehmer als vor fünf Jahren, 38 Prozent zweifeln, ob sie noch einmal Medizin studieren würden – das sind die alarmierenden Ergebnisse der Spitalsärzteumfrage der Bundeskurie angestellte Ärzte (BKAÄ) der ÖÄK. Bundeskurienobmann Harald Mayer spricht im Interview mit Thorsten Medwedeff über die Ursachen und vor allem, wie man diesem Trend entgegensteuern kann.

Der Sommer – und damit eine politisch üblicherweise etwas ruhigere Zeit – steht bevor. Welche Hausaufgaben für die Ferien können Sie mitgeben, was die künftige Gesundheitsversorgung in unseren Spitälern betrifft? Grundsätzlich müssen alle Maßnahmen darauf ausgerichtet sein, wieder Freude an der Arbeit in unseren Spitälern zu entfachen. Diese Freude ist auch in den vergangenen fünf Jahren weiter verloren gegangen. Und das nicht nur wegen der Ausnahmesituation, in die uns die Pandemie gebracht hat. Unsere Spitalsärzteumfrage hat ergeben, dass die Arbeit in unseren Krankenhäusern für 60 Prozent der Befragten unangenehmer ist als vor fünf Jahren. Allen voran die Politik und die Spitalsträger müssen gegensteuern. Dazu gehört in erster Linie, dass mehr Zeit für die Betreuung und Versorgung unserer Patienten zur Verfügung stehen muss.

Welche Maßnahmen könnten das bewirken? Was die Freude am Arbeiten betrifft, geht es zuallererst um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Die Ärzte müssen wieder mehr Medizin und weniger Administration machen. Darüber hinaus müssen auch flexible Arbeitszeitmodelle möglich sein, die den aktuellen Bedürfnissen der Ärztinnen und Ärzte entsprechen. Dazu gehören Teilzeitangebote, aber auch besser planbare Arbeitszeiten und die strikte Einhaltung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes. Wir wissen, dass eine vertraglich vereinbarte 40-Stunden-Woche oft anders aussieht: Die Wahrheit liegt zwischen 46 und sogar 62 Stunden. Das ist vor allem für Ärztinnen und Ärzte mit Familie sehr belastend – da geht die Freude verloren.

Wo sind die Lösungen, die mehr Zeit bringen? Hier möchte ich das Schlagwort „Patientenlenkung“ nennen. Nur eine verbindlich verankerte Patientenlenkung wird unser Gesundheitssystem retten und dazu beitragen, dass die Versorgung auf Top-Niveau bleibt. Die überfüllten Spitalsambulanzen müssen dringend entlastet werden. Dazu hat sich erfreulicherweise auch die neue Bundesregierung bekannt. Ich hoffe, dass dies schnell umgesetzt wird, denn das bringt sofort mehr Zeit für die Patientenbehandlung. Das zweite Schlagwort, das ich seit Jahren immer wieder anführe, ist die Entbürokratisierung.

Wie kann das gelingen? 72 Prozent der Befragten in unserer Spitalsärzteumfrage sehen Administration und Dokumentation als gravierendes Problem und Zeitfresser. Zeit, die für ärztliche Tätigkeiten fehlt. Die bürokratischen und dokumentarischen Tätigkeiten unserer Ärztinnen und Ärzte haben ein Ausmaß erreicht, das unsere Gesundheitsversorgung sogar gefährdet! Lassen wir sie doch endlich das machen, was sie können und wofür wir sie jahrelang ausgebildet haben: sich um ihre Patienten zu kümmern und ausreichend Zeit für umfassende Gespräche, Untersuchungen, Diagnosen und Therapien zu haben. Wir fordern seit Jahren angestellte Dokumentationsassistenten in allen Abteilungen. Den Spitalsträgern fehlt dafür aus Kostengründen aber der Umsetzungswille. Auch funktionierende IT-Lösungen könnten zur Entlastung beitragen. Allerdings zeigt die Umfrage, dass sowohl Hard- als auch Software in unseren Spitälern oft nicht den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entsprechen. Das ist peinlich.

Als dritten Faktor könnte man noch den Personalmangel nennen… Vollkommen richtig. Und dieser Mangel liegt nicht daran – wie viele Stimmen aus der Politik immer wieder glaubhaft machen wollen –, dass wir mehr Studienplätze bräuchten. Das bringt gar nichts, außer wir wollen hunderte weitere Jungmediziner für das benachbarte Ausland ausbilden. Wir müssen jene, die bei uns ein Medizinstudium abschließen, mit attraktiven Angeboten im Land halten. Wenn wir es nicht schaffen, die Wartezeiten auf Ausbildungsplätze drastisch zu verringern und uns mit aller Kraft um sie zu bemühen, werden wir die Jungen nicht halten – und folglich den jährlichen Bedarf von derzeit 1.400 Ärztinnen und Ärzten weiterhin nicht abdecken können. Natürlich ist auch die Besetzung offener Dienststellen in den Spitälern ein Muss. Auch hier wird an falscher Stelle gespart.

All das führt dazu, dass 19 Prozent der Befragten gar nicht mehr Medizin studieren würden und 19 Prozent zumindest an ihrer Entscheidung zweifeln – wie kann man das beheben? Das geht mit den oben genannten Faktoren Hand in Hand. Wir müssen uns um die Jungen kümmern und ihre Ausbildung ernst nehmen – das darf kein ärztliches Hobby sein! Wir müssen sofort Stellen anbieten, bessere Karriere- und Aufstiegsmodelle aufzeigen und das Arbeiten am Patienten ermöglichen. Nur so werden wir ihnen auch schmackhaft machen können, bis zum Pensionsalter oder darüber hinaus im Spital zu arbeiten.

Das will laut Spitalsärzteumfrage nicht einmal jeder Zweite – warum? Weil wir auch mit den Älteren nicht so umgehen, wie wir es sollten. Für sie muss es flexible Arbeitszeitmodelle geben. So könnten wir die erfahrenen Kollegen von den Nachtdiensten befreien und sie hauptsächlich in der Lehre einsetzen. Wir brauchen diese Expertise, sie geht sonst bald verloren! Dazu muss es die Möglichkeit geben, die Arbeitszeit zu verringern. Selbst die, die jetzt 40 oder sogar jünger sind, sagen, dass sie sich nicht vorstellen können, bis 65 zu arbeiten. Diesem Trend müssen wir sehr rasch entgegenwirken. Denn eigentlich bräuchten wir sie sogar über das Pensionsalter hinaus. Zudem sollten wir auch noch über die psychische Gesundheit der Spitalsärztinnen und -ärzte sprechen. Dies ist ein Punkt, der viel zu wenig Beachtung findet und der eine jahrelange, berufsbegleitende Supervision erfordert. Nur wenn all diese Faktoren optimal zusammenspielen, werden wir es schaffen, die Freude an der Arbeit im Krankenhaus wieder deutlich zu erhöhen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2025