In Nottwil in der Innerschweiz tauschten sich die deutschsprachigen Ärzteorganisationen vor allem zu den Themen Ausbildung und Künstliche Intelligenz aus.
Sascha Bunda
So unterschiedlich die Länder auch sein mögen, so ähnlich sind doch die Themen, die derzeit Ärztinnen und Ärzte in Deutschland, Südtirol, der Schweiz, Österreich, Liechtenstein und Luxemburg beschäftigen. Die Auswirkungen der Digitalisierung und des demographischen Wandels auf die Gesundheitsversorgung, aber auch die kommenden Generationen und die Ausbildung fordern die deutschsprachigen Ärzteorganisationen Europas aktuell heraus. Bei der 70. Konsultativtagung stand daher im Vordergrund, Wissen und Erfahrungen, Problemstellungen und Lösungsmodelle auszutauschen und zu diskutieren.
Die zuständigen Bildungsverantwortlichen, die sich im Rahmen der Ständigen Arbeitsgruppe trafen, setzten sich auch besonders mit dem Thema Auswirkung der KI auf das Studium und den zukünftigen Arztberuf auseinander. Große Themen hierbei waren etwa, wie zukünftig KI-Systeme die medizinische Versorgung prägen werden und wie die Ärztinnen und Ärzte das KI-generierte Wissen einsetzen werden und müssen. „Insbesondere der extrem rasche Fortschritt der KI erfordert ein ständiges Anpassen der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung“, so die Conclusio. Die Teilnehmenden sprachen sich für eine vertiefte Kooperation und einen intensiven fachlichen und strukturellen Austausch aus. Ziel ist eine abgestimmte Weiterentwicklung der Bildungssysteme, die dem hohen Anspruch an Qualität, Transparenz und Vergleichbarkeit gerecht wird. Der länderübergreifende Dialog eröffnet neue Perspektiven, etwa in der digitalen Bildungsentwicklung und dem zukünftigen Einsatz von KI.
Ohne Einbindung geht es nicht
Die Künstliche Intelligenz war dann auch das zentrale Thema des Folgetages. Alexander Moussa, Leiter der ÖÄK-Referate „e-Health in Ordinationen“ sowie „Primärversorgung und ärztliche Zusammenarbeitsformen“, befasste sich mit der KI in der ärztlichen Praxis am Beispiel der Primärversorgung. KI-Assistenzsysteme würden sich aktuell bereits in den Feldern Dokumentation, Telefonassistenz und Terminmanagement bewähren, könnten aber auch Unterstützung bei Diagnose und Therapie bieten. Gleichzeitig betonte Moussa aber: „Trotz aller technischen Möglichkeiten ist Be-Handlung dennoch immer eine Wahrnehmung des Menschen mit allen Sinnen.“ Bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten sei es entscheidend, die Ärzteschaft sowohl als User und Experten, aber auch das Ermöglicher und Ideengeber ernstzunehmen und einzubinden. „Die Ärzteschaft steht der Digitalisierung grundsätzlich positiv gegenüber, wenn Mehrwert und Zeitgewinn für die Patientenbetreuung sichergestellt ist“, unterstrich Moussa.
Klaus Reinhardt, Präsident der deutschen Bundesärztekammer prägte den Begriff des „Airbus-Moments“. Der Erfolg des europäischen Flugzeugbauers sei wesentlich abhängig gewesen von der europäischen Zusammenarbeit, ebenso seien die politische Unterstützung, Anschubfinanzierung und auch ein langer Atem entscheidend gewesen. Diese Faktoren könnten als Blaupause für den KI-Aufbau in Europa gelten, so Reinhardt. Ärzteorganisationen müssten sich jedenfalls auf ein verändertes Berufsbild einstellen. „Die Voraussetzungen für einen Airbus-Moment sind gegeben“, schlussfolgerte Reinhardt, – „aber: welche Aufgaben stellen sich für die Zusammenarbeit der Ärzteorganisationen?“
Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, präsentierte das Positionspapier der Bundesärztekammer „Von ärztlicher Kunst mit Künstlicher Intelligenz“ und skizzierte den Weg zu dieser fast 100 Seiten starken Publikation. Besonders die „Werkstattgespräche“ des Digitalisierungsausschusses, bei denen die Perspektiven nicht primär ärztlicher Stakeholder wie Krankenversicherung, Ministerium, Technische Universität und große Player aus Pharma und Big Data eingebunden wurden, hätten eine spannende Außenperspektive geboten, die dann in ein Thesenpapier flossen. Die weiteren großen Teile der Publikation bilden die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer quasi als „Innenperspektive“ sowie die Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer mit Handlungsempfehlungen und ethische Prinzipien für den Einsatz von KI im Gesundheitswesen.
KI (noch) nicht überlegen
Spannende Einblicke boten die Vorträge zweier externer Experten: Wolf Hautz, Leitender Arzt am Inselspital Bern, Universitätsklinik für Notfallmedizin, befasste sich mit Diagnosequalität in der (Akut-)Medizin und die Rolle von KI. Eine US-Studie über die 145 Millionen Ambulanzbesuche (davon 14 Prozent Aufnahmen) habe ergeben, dass Fehldiagnosen bereits die zweithäufigste Diagnose seien. Das verursache neben tragischen Folgen für die Patientensicherheit – Medien berichten von 250.000 Todesfällen aufgrund von Fehldiagnosen in den emergency rooms – erhebliche Kosten. Kann hier die KI für Verbesserungen sorgen? Einer aktuellen Studie von Hautz zufolge (noch) nicht. In der Untersuchung an vier Schweizer Notaufnahmen mit rund 16.000 Patientinnen und Patienten verringerte sich durch die Verwendung von KI bzw. computergestützten Unterstützungssystemen das Auftreten von Diagnosefehlern im Vergleich zum üblichen Diagnoseprozess nicht.
Fenja Persello, Innovation Lead Digital Health beim Schweizer Telemedizinanbieter santé24 präsentierte den aktuellen Stand von Projekten, bei denen generative KI in der Patientenkommunikation eingesetzt wird. Persello betonte vor allem die Wichtigkeit, die Stakeholder einzubinden. „Gesundheitsökonomen können nicht Ärzten vorschreiben, mit welchen Tools sie arbeiten sollen – das kann nicht funktionieren“, meinte sie.
Südtiroler Parallelen
Déjà-vu-Erlebnisse hatte die österreichische Delegation beim Vortrag von Astrid Marsoner, der neuen Präsidentin der Ärzte- und Zahnärztekammer Bozen. Sie beschrieb die elektronische Patientenakte als Ansammlung einzelner pdf-Dateien in einem instabilen System mit langen Ladezeiten. Auch die Bemühungen nach einheitlichen Systemen in Spital und Niederlassung haben Parallelen.
In der abschließenden Diskussion appellierte Moussa, erst einmal die basalen Themen anzugehen, zum Beispiel bei den Kommunikationskanälen. Dabei erinnerte der Steirer an die österreichischen Entwicklungen rund um den Faxersatz. Hautz erinnerte bei der Frage nach den Einsatzmöglichkeiten von KI daran, dass vieles von dem, was landläufig als KI bezeichnet wird, eigentlich Sprachmodelle seien, keine Diagnosemodelle. Und auch Bodendieck betonte besonders die Rolle des Arztes – auch in der Zukunft: „Die menschliche Dimension ist unsere Kernkompetenz“
Die Publikation „Von ärztlicher Kunst mit Künstlicher Intelligenz“ der deutschen Bundesärztekammer finden Sie auf der Homepage der BÄK oder hier.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.8.2025