SERIE – E-Health und Digitale Medizin: Europaweite Datenvernetzung

14.08.2024 | E-Health und Digitale Medizin, Politik

Der Europäische Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) ist einer der Eckpfeiler der europäischen Gesundheitsunion. Das Europäische Parlament und der Rat haben eine generelle Einigung über den Vorschlag der EU-Kommission dazu erzielt. Die Herausforderungen für die konkrete Umsetzung sind dennoch mannigfaltig, wie Thorsten Medwedeff im Gespräch mit ÖÄK-Kammeramtsdirektor Lukas Stärker festgestellt hat.

Mit der Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) sollen Gesundheitsdaten bald europaweit abrufbar werden. Durch die Verknüpfung der Informationen der nationalen Gesundheitssysteme soll es künftig möglich werden, dass etwa der behandelnde Arzt in Italien die Krankengeschichte oder die Labortests eines Urlaubers aus Österreich am Computer abrufen kann, um die richtigen Medikamente zu verschreiben oder dass eine Wien-Besucherin aus Schweden ihr Rezept in einer österreichischen Apotheke einlösen kann. Und für die Menschen beziehungsweise Patienten soll quasi ein EU-Rechtsanspruch auf einen einfachen und schnellen Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten geschaffen werden.

Der Europäische Gesundheitsdatenraum soll aber auch neue Perspektiven für die medizinische Forschung bringen und eine datenschutzkonforme Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten aus der Routineversorgung für Forschungszwecke ermöglichen. Für die Sekundärnutzung, jedenfalls für kommerzielle Zwecke, muss die informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben und eine generelle Zustimmung (Opt-In) notwendig sein – darauf hatte auch schon die ÖGTelemed in ihrem Positionspapier hingewiesen. Und auch darauf, dass Rückschlussmöglichkeiten auf Personen unterbunden werden müssen.

All dies soll zu einer besseren medizinischen Forschung, zu mehr Innovation in der Forschung und zu einer datenbasierten Gesundheitspolitik führen. Die Erwartungen sind also sehr hoch. Die Herausforderungen aber nicht minder.

ELGA – bisher kein großer Wurf

„Allein, wenn wir uns Österreich und die Umsetzung der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA anschauen, können wir uns vorstellen, wie schwierig es werden wird, alle 27 EU-Staaten im EHDS unter einen Hut zu bringen. Als ich 2012 mit dem damaligen Gesundheitsminister Alois Stöger den Startschuss und das Bekenntnis zu ELGA mitverhandelt habe, hätte ich mir nicht gedacht, dass wir seither kaum viel weitergekommen sind und wir uns in Österreich noch immer in den digitalen Anfängen bei der Verwendung und Nutzung unserer Gesundheitsdaten befinden. Das Schlagwort ‚Patient Summary‘, das jetzt wieder so propagiert wird, habe ich schon damals gehört. Diese Zusammenfassung aller persönlicher, medizinischer Informationen sollte längst – mit einer Filterfunktion versehen – eingeführt sein. Wir müssen Realität und Praxis aneinander anpassen und dürfen nicht immer nur Ankündigungspolitik machen. Spätestens wenn der EHDS fixiert ist, wird es auch in Österreich konkrete, rasche Umsetzungen brauchen“, befindet Lukas Stärker, Kammeramtsdirektor der Österreichischen Ärztekammer.

Einheitliches Programm-Fundament

ELGA wiederum ist aus Sicht der Ärztekammer weder effizient noch zeitsparend noch hat es zu Erleichterungen für die Anwender geführt – und ist daher bisher kein großer Wurf. Stärker führt aus: „Was wir fordern, ist ganz einfach: ELGA muss so gut sein, dass es die Profis, die damit arbeiten, als eine Verbesserung bei der EDV und beim Informationsstand gegenüber dem Status quo wahrnehmen.“ Dazu wäre es nötig, trägerübergreifende Informationen zuzulassen und sowohl den Ambulanzbefund vom Spital als auch den Laborbefund vom niedergelassenen Facharzt verfügbar zu machen. Genau das ist in Dänemark mit einer einfachen Reform gelungen. „Das wäre so, als wenn wir in unseren Spitälern alle über dasselbe Krankenhausinformationssystem (Anm.: KIS) verfügen würden – das wäre äußerst wünschenswert, praktisch und effizient.“

Auch vor der Umsetzung der europaweiten Idee gibt es noch große Hürden zu überwinden: „Es gibt unterschiedliche Daten und Datenschutzkulturen bis hin zu unterschiedlichen Zugängen, die die Bürger der verschiedenen EU-Staaten zu Daten und zum Datenschutz generell haben. Aber auch die einzelnen Regierungen der EU-Mitgliedsländer haben unterschiedliche Zugänge zu diesem Thema. Weiters gibt es natürlich unterschiedliche Programme und IT-Lösungen in den einzelnen Ländern und damit bestehende Inkompatibilitäten. Dazu kommt die Unfähigkeit verschiedener Programme, überhaupt miteinander zu kommunizieren. Das liegt auch an den unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen beim Zugang zu Daten in den einzelnen EU-Staaten und an den ebenfalls vorhandenen voneinander abweichenden Programmstandards. Daher muss zuerst ein einheitliches, EU-weites ‚Programm-Fundament‘ geschaffen werden, welches eine sichere Interoperabilität gewährleistet“, betont Stärker.

Die ÖGTelemed hat in ihrem Positionspapier für einen verbesserten Datenaustausch im medizinischen Alltag gefordert, künftig Snomed CT im niedergelassenen Bereich zu verwenden – bisher ist dort überhaupt kein derartiges Programm im Einsatz. Das wäre auch kompatibel mit dem derzeit gängigen ICD-10 im Spital und würde zu einer weiteren Verbesserung der Interoperabilität führen. „Dazu bedürfte es eines Thesaurus, der aber schon von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin entwickelt wurde. Snomed wird auch international verwendet und ist für das österreichische Gesundheitssystem lizenziert. Das wäre ein wesentlicher Schritt, das für alle so wichtige Tool des Patient Summary etablieren zu können“, betont Dietmar Bayer, Präsident der ÖGTelemed und stellvertretender Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte der ÖÄK. „Snomed CT eignet sich hervorragend zur Etablierung eines strukturierten Diagnoseregisters, welches hinkünftig zusammen mit dem Impfregister und in weiterer Folge dem Implantat- und Allergieregister ein wesentlicher Baustein im Patient Summary sein wird.“

EHDS als Verbesserung des Status quo

Aber auch die Fragen des Datenschutzes und der IT-Sicherheit müssen erst noch geklärt werden, nämlich so „dass beides auch wirklich funktioniert und nicht für die EU-Bürger zur Qual wird. Damit meine ich zum Beispiel sinnlose Freigabeprozesse oder Zustimmungserfordernisse oder exorbitant hohe Kosten für Cyber-Security“.

Das alles sollte im Zusammenspiel dazu führen, dass der EHDS und dessen Regelwerk „als Verbesserungen angesehen werden und unser Leben nicht zusätzlich erschweren oder verteuern“, unterstreicht Stärker. „Konkret den gemeinsamen Gesundheitsdatenraum betreffend wären also Lösungen erwünscht, die mithilfe der Daten zu einer besseren medizinischen Versorgung in der gesamten EU beitragen, Forschung und Innovation, aber auch gesundheitspolitische Schritte fördern und eine bessere Kontrolle der persönlichen Gesundheitsdaten ermöglichen.“

Digitale Gesundheitsbehörde

Die EU sieht für den Europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS auch eine digitale, nationale Gesundheitsbehörde verpflichtend vor. „Diese Stelle muss aber erst mit genügend Finanzmitteln ausgestattet werden, um ihren Aufgaben dann auch wirklich nachkommen zu können“, fordert Stärker. Und damit neue digitale Tools auch wirklich funktionieren können, funktional und zuverlässig, sicher und nützlich sind, sollten, so Stärker, bei jeder Entwicklung auch die Anwender – sprich: die Ärzte – mit eingebunden werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2024