SERIE – E-Health und Digitale Medizin Digitale: Interview Alexander Moussa – Gesundheitsanwendungen: „Muss sinnstiftend sein“

25.06.2024 | Politik

Es gibt sie in Hülle und Fülle: Gesundheits-Apps unterstützen dabei, sich mehr zu bewegen oder sich gesünder zu ernähren. Worauf bei Gesundheits-Apps zu achten ist, welche Messungen grundsätzlich sinnvoll sind und wie es mit digitalen Gesundheitsanwendungen, die auf Rezept in Deutschland erhältlich sind, aussieht, erzählt der Allgemeinmediziner Alexander Moussa, Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“, im Interview.

Sophie Niedenzu

Durch die zunehmende Digitalisierung gibt es zahlreiche Möglichkeiten, über so genannte „Wearables“, also Computersysteme, die direkt am Körper getragen werden, Herzfrequenz, den Blutdruck, den Blutzuckerspiegel, den Schlaf oder auch den Kalorienverbrauch zu beobachten. Was gilt es dabei zu beachten? Leider fehlen bei vielen Wearables und auch Smart Gears Qualitätszertifizierungen und oft handelt es sich hier um sehr ungenaue Messinstrumente. Umso mehr muss auf hochwertige Produkte mit entsprechender Technik geachtet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, durch falsche oder nicht plausible Messwerte die Patienten zu verunsichern. Das bemerken wir leider auch im Ordinationsalltag. Ich habe fast täglich mit Patienten zu tun, die mit auffälligen Werten zu mir kommen, um die Werte verifizieren zu lassen. Wearables werden mittlerweile sowohl von Jugendlichen, als auch von älteren Patienten genutzt. Und teilweise sind Arztkonsultationen – etwa bei Herzrhythmusstörungen – sehr wohl sinnvoll. Andererseits führen falsche Messergebnisse zu unnötigen Konsultationen, diese Fehlkonsultationen überwiegen leider derzeit noch. Idealerweise sollten die Gesundheits-Apps daher zertifizierte Medizinprodukte sein, die für den Patienten auch klar erkennbar sind.

Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Möglichkeiten für Patienten, ihre Gesundheitsdaten zu beobachten? Wearables, Smart Gears und andere digitale Tools und Sensoren, die die Vitaldaten oder Körperfunktionen messen, können für die Zukunft wichtige Werkzeuge für die Diagnose und Therapie sein, besonders in Kombination mit einer guten KI. Derzeit sehen wir aber das Problem mit qualitativ minderwertigen Produkten, die uns oft mehr Kopfzerbrechen bereiten als sie uns Vorteile bieten. Die digitalen Möglichkeiten sind grundsätzlich positiv, aber sie müssen qualitativ hochwertig und sinnstiftend sein.

Welche Gesundheits-Apps bieten tatsächlich derzeit einen Mehrwert? Apps, die die Herzfrequenz, die Schlafstruktur und auch Ruhephasen messen, sind durchaus für die langfristige Gesunderhaltung ein wichtiger Faktor. Patienten erhalten so eine Information zu ihrer eigenen Resilienz. Grundsätzlich gibt es überall dort, wo es zur allgemeinen Langzeitgesunderhaltung dient, einen Mehrwehrt. Es gibt beispielsweise Bestrebungen, Sensoren, die über die Haut Werte messen, einzusetzen. Das kann mit Uhren oder auch Ringen funktionieren, die Übertragung erfolgt dann über das Handy. Schrittzähler sind auch eine gute Innovation, damit werden wir täglich konfrontiert und sie sind ein klarer Motivator für Patienten, mehr Schritte zu gehen. Nahrungs-Apps mit Kalorienabgaben sind auch sinnvoll. Es gibt viele Gesundheits-Apps, die aktiv die Bewegung fördern und die Schlafdauer und -qualität messen und helfen, den Medienkonsum und die Bildschirmarbeit zu reduzieren. Viele Apps sind sinnvoll und es liegt auch an uns Medizinern, diese Tools richtig einzusetzen und die Patienten zu motivieren und ihnen bei der Einschätzung zu helfen, welche digitalen Lösungen gut sind und worauf zu achten ist.

Worauf ist genau zu achten? E-Health-Applikationen können gerade im Bereich der Gesundheitsvorsorge Awareness schaffen. Aber es ist grundsätzlich Vorsicht geboten: Wer steht hinter der App? Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Was die Datensicherheit angeht, können wir uns bei Daten, die nicht in Europa gespeichert werden – sondern beispielsweise in den USA oder auch in China – nicht sicher sein, dass sie ausschließlich dem individuellen Zweck und der Gesundheitsvorsorge dienen und nicht für andere Zwecke verwendet werden. Gesundheitsdaten sind hoch sensible Daten, daher muss die Datensicherheit durchgehend gewährleistet sein. Daher ist im Umgang mit Firmen, wo der europäische Datenschutz nicht mehr greift, Vorsicht geboten.

Wie gestaltet sich die derzeitige Situation am Markt? Es gibt zu viele nicht zertifizierte Anbieter, die mit In-App-Käufen locken, ohne dafür einen gesundheitlichen Mehrwert zu bieten. Es muss ganz klar hervorgehen, dass ein Produkt sicher ist und die Daten nicht für andere ominöse Zwecke verwendet werden. Es sollten für alle Gesundheits-Apps die Medizinproduktestandards gelten. Damit ist auch klar dargelegt, wo die Daten, die generiert werden, auch abgespeichert werden und dem europäischen Datenschutz entsprechen. Seriöse Anbieter entsprechen den hohen Qualitätskriterien und stellen möglichst transparent dar, wie und wo die Daten gespeichert werden. Alles andere ist kritisch zu sehen. Für jeden einzelnen können KI und Gesundheits-Apps eine Bereicherung in der Versorgung sein. Wir als Ärzte sind auch gefordert, uns aktiv einzubringen, gute Lösungen zu forcieren und diese auch mitzugestalten.

Digitale Gesundheitsanwendungen, so genannte DiGAs, sind auf digitale Technologien basierende Medizinprodukte, die in Deutschland auf Rezept erhältlich sind, wenn der Arzt diese verschreibt. Wie stehen Sie dazu? In Österreich gibt es derzeit noch keine DiGA, also keine App auf Rezept. Medizin-Apps werden in Österreich in speziellen Versorgungsprogrammen genutzt, wie etwa bei HerzMobil für Patienten mit Herzschwäche. Es gibt Überlegungen der österreichischen Sozialversicherung, DiGAs einzuführen. Vorsicht ist aber geboten, denn die Erfahrungen aus Deutschland zeigen, dass nicht alles, wo DiGA draufsteht, sinnvoll ist.

Inwiefern? Viele sind nur kurzfristig in Verwendung, bieten keinen Mehrwert in der Versorgung und verursachen nur Kosten. Wenn wir aber Steuergeld für digitale Gesundheitsanwendungen ausgeben wollen, dann sollten sie auch so wirksam wie andere Therapien sein, es geht ja hier um öffentliche Ausgaben. In Deutschland werden die Patienten oft mit den DiGAs allein gelassen. Sie erhalten auf Rezept einen Code, den sie einlösen müssen, die Benutzung hat dann ein Verfalldatum nach drei Monaten. Es gibt aber kein Zwischengespräch mit dem Arzt, außer, der Patient ergreift eine starke Eigeninitiative. Die erfassten Daten des Patienten bleiben beim Patienten – das heißt, der Arzt hat gar keine Möglichkeit, Einsicht zu nehmen und zu schauen, ob sich der Gesundheitszustand beim Patienten tatsächlich durch die Verwendung dieser digitalen Tools verbessert. Insgesamt sind in Deutschland seit dem Start der DiGAs 203 Anträge gestellt worden – davon 159 zur vorläufigen Aufnahme zur Erprobung und 44 Anträge zur dauerhaften Aufnahme. Derzeit sind in Deutschland 55 DiGAs gelistet, aber 110 haben auch ihren Antrag zurückgezogen. Grund dafür sind die langwierigen Aufnahmeprozesse, die für viele Firmen zu kostenintensiv sind.

Was ist also Ihr derzeitiges Resümee? Aus Praxissicht ist festzuhalten, dass digitale Gesundheitsanwendungen auf Rezept, wie sie derzeit in Deutschland verschrieben werden, vor allem einen Mehraufwand bedeuten, aber keinen großen Mehrwert für die Patientenversorgung darstellen. Insellösungen sind sinnlos, es gilt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um die digitalen Möglichkeiten flächendeckend nutzen zu können. Denn nur so bieten sie eine wertvolle Unterstützung in der ärztlichen Versorgung. Derzeit fehlen Schnittstellen zur Arztpraxissoftware und die Interoperabilität ist nicht gewährleistet, solang es keine zentrale Datenauswertung oder Datenspeicherung gibt.

Welche Vision haben Sie im Hinblick auf digitale Unterstützungen in der Gesundheitsversorgung? Grundsätzlich sind digitale Gesundheitsanwendungen, etwa im psychischen Bereich wie Stressmanagement oder Burnout, oder auch bei Diabetes, Hypertonie oder Schlafproblemen sinnvoll. Aber der Weg zu einem sinnvollen Einsatz ist noch lang und muss sorgfältig geplant werden, das können wir aus den Erfahrungen aus Deutschland lernen. Nur so können wir mit den digitalen Unterstützungen den Gesundheitszustand unserer Patienten nachhaltig verbessern, die Patientenbetreuung erleichtern und in Summe mehr Patienten adäquat betreuen. Das wäre das angestrebte Ziel.

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