Datenschutzexperte Thomas Lohninger ist davon überzeugt, dass sich Datenschutz und Datennutzung mit ausreichend gutem Willen unter einen Hut bringen lassen.
Martin Novak
Warum sind Gesundheitsdaten auch für die Europäische Union besonders schützenswert? Datenschutzfachmann Thomas Lohninger von der Datenschutz-NGO epicenter.works hat Antworten: Keine anderen Daten beträfen so die „Intimsphäre“ von Menschen und könnten in den falschen Händen lebenslang gegen einen Menschen verwendet werden, begründet der Datenschützer die besondere Sensibilität von Gesundheitsdaten. Das gelte ganz besonders, aber nicht nur für geistige oder körperliche Beeinträchtigungen.
Das gelte nicht nur für den digitalen Datenschutz, begründet er den „Risikoansatz des europäischen Gesetzgebers“: Auch im wirklichen Leben würden heikle Fragen nach dem Gesundheitszustand als Eingriff in die Privatsphäre empfunden. Der digitale Datenschutz würde diese „Grenzen im Zwischenmenschlichen“ nur nachempfinden.
Mit dem Ruf nach mehr digitaler Medizin lasse sich der Datenschutz durchaus in Einklang bringen, ist Lohninger überzeugt. Wichtig sei, dass er nicht erst nachträglich bedacht werde, um von vornherein Stabilität herzustellen. Eine Nachrüstung wie etwa auch beim Brandschutz sei die teuerste Lösung und dauere außerdem lange, fordert Lohninger „kluge und durchdachte Lösungen“. Diese seien nur zu finden, wenn alle Stakeholder an einen Tisch gebracht werden könnten.
Die Nutzung von Daten für die Forschung kann kein Grund sein, um das ärztliche Berufsgeheimnis und damit das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient aufs Spiel zu setzen. Die Rückverfolgbarkeit auf eine Person müsse unterbunden werden.
Lohninger spricht sich auch für Datenminimierung aus. Oft brauche die Forschung gar keine personenbezogenen Daten, um zu Ergebnissen zu gelangen.
Natürlich gäbe es ein Abwägen von Interessen. Im Falle eine Epidemie könne laut Datenschutzgrundverordnung eine andere Vorgangsweise gewählt werden als unter normalen Umständen. Zudem sei zu hinterfragen, ob Daten im Rahmen eines öffentlichen For-chungsprojekts oder für kommerzielle Zwecke verwendet würden.
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz privater Daten und der Nutzung öffentlicher Daten unter Wahrung des ertrauensverhältnisses von Ärzten und Patienten ist für Lohninger so aufzulösen, dass beide Grundrechte hochgehalten werden. Das ist für Lohninger der Kern.
Kritik an der öffentlichen Hand
Dem Gesundheitsministerium wirft Lohninger vor, ein Datenschutzverständnis aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu pflegen. Der Anlass: Das Ministerium hatte geklagt, nachdem epicenter.works Schwachstellen im Epidemiologischen Meldesystem (EMS) aufgedeckt hatte. Rund zwei Jahre wogte der Streit, bevor das Verfahren eingestellt wurde. Während große private Unternehmen wie Google (Alphabet), Apple oder Microsoft es durchaus zu schätzen wüssten, wenn Sicherheitsforscher Lücken in der Sicherheitsarchitektur aufdecken, die dann geschlossen werden können, gäbe es im Bereich der öffentlichen Hand eher die Haltung gegen die Aufdecker vorzugehen, statt mit den externen Fachleuten vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Die Unternehmen hätten längst begriffen, dass die Hilfe von außen ihnen viel Geld spart, weil sie keine eigenen Fachleute brauchen.
Im „European Health Data Space“ sieht der Experte eine Weiterführung von ELGA, die einerseits weit über diese hinausgeht, in mancher Hinsicht aber auch eine falsche Richtung einschlage. So drohe die Gefahr, dass Arbeitgeber aus den Datensätzen auf eine bestimmte Person schließen könnten. Das Gleiche gelte bei Sozialen Medien. Das beträfe in erster Linie Jugendliche, die dort Gesundheitsdaten preisgeben.
Eine der möglichen Gegenstrategien sei es, erst gar keine großen Datenpools entstehen zu lassen. Würden die gehackt, sei der Schaden entsprechend groß.
Von Vorratsdatenspeicherung bis Netzneutralität
Gegründet wurde epicenter.works noch unter dem Namen „AKVorrat“ 2010, um die Vorratsdatenspeicherung zu bekämpfen – mit Erfolg. Längst haben sich die selbstgewählten Aufgabengebiete stark verbreitert. Man schaue sich jedes einschlägige Gesetz an und unterstützte die Politik mit hoher Expertise.
Ein Schwerpunkt des Engagements von epicenter.works ist die Netzneutralität. Kritiker argumentieren, dass ein freies Internet ohne Priorisierung auch ein langsames Internet sei. „Das Gegenteil ist der Fall“, ist Lohninger überzeugt. Er warnt vor einer „künstlichen Verknappung“: Netzneutralität, das sei beweisbar, führe zu größeren Bandbreiten und damit zu einer höheren Geschwindigkeit. Speziallösungen, etwa die Verbindung zweier Krankenhäuser, blieben ja weiterhin möglich.
Alle Gesellschaftsbereiche
Jedenfalls würde der Datenschutz in alle Gesellschaftsbereiche hineinwirken. „Die Digitalisierung wird die Gesellschaft massiv verändern“, sieht Arzt-Sohn Lohninger „Riesenprojekte“ (nicht nur) auf Österreich und Europa zukommen.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 13-14 / 15.07.2024
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