Im Mai dieses Jahres präsentierte sich die Österreichische Ärztekammer erstmals mit einem eigenen Programmpunkt auf der Fachtagung „dHealth“. Das war auch der Auftakt zur ÖÄZ-Digitalisierungsserie, die Sie seither begleitet hat. Thorsten Medwedeff fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Telemedizin: Nationale Roadmap muss kommen
Dietmar Bayer, Präsident der ÖGTelemed, verwies auf der „dHealth“ auf das abschreckende Beispiel Mecklenburg-Vorpommern: Das deutsche Bundesland leidet akut unter unbesetzten Kassenstellen – und zwar in einem Ausmaß, dass einzelne Landstriche bereits fast schon als „arztfreie Zonen gelten“. Die demographische Prognose zeichne für die Zukunft ein noch düstereres Bild. Hier könnte Telemedizin ein Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung sein, so Bayer. Für Österreich dürfe es nie so weit kommen, nahm er unter anderem die Kassen in die Pflicht. Darüber hinaus forderte Bayer eine nationale Roadmap, die mit allen Beteiligten abgestimmt ist, sowie eine Breitbandmilliarde, damit der Zugang zur Telemedizin flächendeckend möglich wird.
Gesundheits-Apps: Nutzen für den Patienten im Fokus
Im Interview mit der ÖÄZ erklärte Alexander Moussa, Leiter des ÖÄK-Referats „e-Health in Ordinationen“, dass digitale Gesundheitsanwendungen (Apps), etwa im psychischen Bereich wie Stressmanagement oder Burnout, oder auch bei Diabetes, Hypertonie oder Schlafproblemen, grundsätzlich durchaus sinnvoll sein können. „Es muss aber ganz klar hervorgehen, dass ein Produkt sicher ist und die Daten nicht für andere ominöse Zwecke verwendet werden. Es sollten für alle Gesundheits-Apps die Medizinproduktestandards gelten. Damit ist auch klar dargelegt, wo die Daten, die generiert werden, auch abgespeichert werden und dem europäischen Datenschutz entsprechen.“ Es gelte, jene Bedingungen zu schaffen, um die digitalen Möglichkeiten flächendeckend nutzen zu können, nur so könnten sie eine wertvolle Unterstützung in der ärztlichen Versorgung sein: „Derzeit fehlen aber die Schnittstellen zur Arztpraxissoftware und die Interoperabilität ist nicht gewährleistet, solang es keine zentrale Datenauswertung oder Datenspeicherung gibt.“ Daher sei der Weg zu einem nachhaltigen und sinnvollen Einsatz noch lang. Ziel müsse es aber sein, mit Hilfe digitaler Unterstützungen den Gesundheitszustand der Patienten zu verbessern und die Patientenbetreuung zu erleichtern.
Europaweite Datenvernetzung: Schwieriges Regelwerk
Das soll auch mit der Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) erreicht werden, indem Gesundheitsdaten europaweit abrufbar werden. Durch die Verknüpfung der Informationen der nationalen Gesundheitssysteme soll es künftig möglich sein, dass etwa der behandelnde Arzt in Italien die Krankengeschichte eines Urlaubers aus Österreich am Computer abrufen kann. Der EHDS soll aber auch neue Perspektiven für die medizinische Forschung bringen und eine datenschutzkonforme Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten aus der Routineversorgung für Forschungszwecke ermöglichen. Die Herausforderungen für die Umsetzung sind sehr hoch, wie auch ÖÄK-Kammeramtsdirektor Lukas Stärker konstatierte: „Allein, wenn wir uns Österreich und die Umsetzung der Elektronischen Gesundheitsakte ELGA anschauen, können wir uns vorstellen, wie schwierig es werden wird, alle 27 EU-Staaten im EHDS unter einen Hut zu bringen.“ Daher müsse man noch einige Hürden überwinden, etwa die Frage nach den unterschiedlichen Datenschutzkulturen in den verschiedenen EU-Staaten oder den unterschiedlichen IT-Lösungen oder den untereinander abweichenden Programmstandards. Das müsse letztlich dazu führen, dass es im gemeinsamen Gesundheitsdatenraum mithilfe der gemeinsamen Daten eine bessere medizinische Versorgung in der gesamten EU gibt und Forschung und Innovation, aber auch gesundheitspolitische Schritte, gefördert werden und eine bessere Kontrolle der Gesundheitsdaten möglich wird. „Der EHDS und dessen Regelwerk müssen als Verbesserung angesehen werden und unser Leben nicht zusätzlich erschweren oder verteuern“, unterstrich Stärker.
KI in der Medizin: Kein Ersatz für den Arzt
Wie kann Künstliche Intelligenz sinnvoll in der Medizin genutzt werden, wird sie bald den Arzt ersetzen? – eine immer wieder kehrende, zentrale Frage in der ÖÄZ-Digitalisierungsserie. Rudolf Knapp, Primarius und Radiologe im Bezirkskrankenhaus Kufstein sowie stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte, kam nach einer Reise durch die Geschichte der KI in der Medizin zu dem Schluss: „KI wird als physikalischer Prozess gesehen, der nichts mit Intelligenz zu tun hat. Es handelt sich vielmehr um eine ‚Erweiterung der menschlichen Intelligenz‘, wie es der deutsche PhilosphieProfessor Markus Gabriel ausdrückte. KI ist nur ein Werkzeug, das uns hilft, Probleme in kürzerer Zeit besser zu lösen. Diese Argumentation passt auch im medizinischen Bereich gut. Bei allen Nebenwirkungen von KI wird sie uns helfen, die Medizin zu verbessern. KI, ob nun intelligent oder nicht, wird die ärztliche Tätigkeit nicht ersetzen. Aber: Ärzte, die sich nicht mit KI auseinandersetzen, könnten ersetzt werden.“
Dietmar Bayer, Präsident der ÖG Telemed und stellvertretender Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte, ergänzte: „Niemand von uns ist darauf vorbereitet, welche disruptive Kraft mit dieser Entwicklung auf uns hereinbrechen wird. Nur, wenn wir uns frühzeitig damit befassen, können wir den Prozess mitgestalten und ethische Regeln aufstellen. Und mit frühzeitig meine ich: jetzt.“ Bayer unterstrich, „dass technische Tools nur unterstützende Hilfsmittel in Diagnose und Therapie sein, aber niemals einen Ersatz für den Arzt darstellen können“. Es sei aber notwendig, einen vernünftigen Umgang mit der KI in der Medizin zu lernen. „Dazu gehört auch, die Chancen und Möglichkeiten zu erkennen – gerade in der Interpretation bildgebender Verfahren gibt es viel Potenzial zu heben und dieses wird noch viel größer werden, je mehr Material wir den Maschinen als Lernmaterial geben. Aber dennoch muss klar sein: Die Letztverantwortung muss beim Arzt liegen und bei der Implementation neuer Tools und Technologien muss die Ärzteschaft voll eingebunden werden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die neuen Technologien eine Unterstützung und keine zusätzliche Belastung und/oder Fehlerquelle sind.“
Digitalisierungsoffensive: Neustart nötig
Eine Digitalisierungs-Initiative in den Spitälern hatte die alte Bundesregierung im Jahr 2023 ausgerufen. Diese ist allerdings bis heute nicht in Schwung gekommen und brauche eigentlich einen totalen Neustart, wie der Arbeitsmediziner und Anästhesist Daniel von Langen, Vorsitzender des Bildungsausschusses der Österreichischen Ärztekammer, konstatiert. Ein Beispiel dafür: Bei der Ausbildungsevaluierung wurden die Ärzte in Ausbildung dazu befragt, wie es um die funktionierende, digitale Infrastruktur bestellt ist, um effizient arbeiten zu können. Das Ergebnis: Die flächendeckende, zuverlässige Internetverbindung in den österreichischen Spitälern wurde mit der Gesamtnote 4,82 von 6,0 bedacht, die dazugehörige Hardware sogar nur mit 4,17 von 6,0. „Das ist im 21. Jahrhundert eigentlich verheerend, gibt aber ganz gut die tatsächliche Realität wieder – und die sieht so aus, dass es in Zeiten personeller Knappheit in den Abteilungen zusätzlich extrem frustrierend ist, mit schlechten und alten Computern Zeit zu verschwenden oder sich mit einer veralteten IT-Infrastruktur herumzuschlagen“, betonte von Langen. „Veraltete Geräte sind ein No-Go. Solange aber dieser Zustand herrscht, kann die begrüßenswerte E-Health-Strategie der Bundesregierung – und auch die neue Regierung wird sich dazu bekennen müssen – niemals sinnvoll umgesetzt werden.“ Es müsse, so von Langen, eine bundesweit einheitliche Stelle geben, die endlich „die digitale Verantwortung übernimmt“.
© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2024