NEUE SERIE – E-Health und Digitale Medizin – Digitalisierung der Medizin: Kapellmeister gesucht

10.06.2024 | Politik

In Österreich gibt es einige e-Health Projekte und Initiativen zur digitalen Medizin, aber für die bundesweite Umsetzung fehlt laut Experten eine ausgewiesene zentrale Koordinationsstelle.

Sophie Niedenzu

HerzMobil, Teledermatologie, virtuelle retinale Befundoptimierung mittels Teleophthalmologie – das alles sind Beispiele für erfolgreiche e-Health-Projekte, die in einigen Bundesländern bereits im Regelbetrieb umgesetzt sind. Sie alle haben eines gemeinsam: Durch die Nutzung von Telemonitoring und Telemedizin erfolgen eine ortsunabhängige und engmaschige Patientenbetreuung sowie intensive Absprachen zwischen Allgemeinmedizinern und Fachärzten. Die digitalen Lösungen ermöglichen besonders im ländlichen Raum eine bessere Betreuung. „Auf der anderen Seite haben wir österreichweit immer wieder Pilotprojekte angefangen, die viel Potential hatten, aber dann finanziell nicht weiter unterstützt wurden und daher wieder von der Bildfläche verschwunden sind“, sagte der Allgemeinmediziner Alexander Moussa, Leiter des Referats „e-Health in Ordinationen“ und Generalsekretär der Fachgesellschaft „ÖGTelemed“, der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin, im Rahmen eines Pressegesprächs zum Thema „Wie kommt die Digitalisierung der Medizin in die Fläche?“ Dietmar Bayer, stellvertretender Kurienobmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer und Präsident der ÖGTelemed, ergänzte: „Die Situation lässt sich vergleichen mit einem Orchester: Jede einzelne Gruppe an Instrumenten spielt ihren Part, aber es fehlt der Kapellmeister für das gesamte Orchester“. Das sei angesichts des Potentials in der digitalen Medizin bedauerlich, so Bayer. Benötigt werde eine Art nationale Agentur, die über die einzelnen Projekte wache und die Implementierung vom Pilotprojekt zum Regelbetrieb sicherstelle. Zudem müsse grundsätzlich sichergestellt sein, dass Breitbandinternet überall in Österreich sowohl für Patienten, als auch für Ärzte, in entsprechender Qualität verfügbar sei: „Um die digitalen Entwicklungen voranzutreiben, braucht es eine Art „e-Health-Milliarde“, forderte Bayer.

Pre-Competitive Space

Österreich verfüge mit ELGA und der e-Card über eine digitale Basisstruktur, um die uns andere Länder beneiden würden: „Natürlich haben wir auch hier immer noch ein paar kleinere Probleme, aber es wird daran gearbeitet und wir arbeiten schon seit vielen Jahren immer digitaler“, sagte Bayer. Nun sei der aktuelle Trend, alles unter dem Blick der künstlichen Intelligenz zu sehen, durchaus mit viel Druck auf die Ärzteschaft verbunden: „Jeder beginnt nach digitalen, telemedizinischen und künstlich intelligenten Lösungen zu rufen, aber bevor die Büchse der Pandora geöffnet ist, braucht es eine Art Roadmap“, so Bayer. Er verwies auf Joe Lennerz, Chief Scientific Officer von BostonGene, der vor wenigen Wochen als KeyNote Speaker auf der Veranstaltung „dHealth“ den Begriff des „Pre-Competitive Space“ ins Spiel gebracht hat: „Damit können digitale Projekte von allen Stakeholdern unter Beisein der Regulationsbehörde vorab bereits erfahren und diskutiert werden, um dann in der realen Umsetzung wenig bis keine Überraschungen zu erleben“, sagte Bayer. Jeder könne in diesem „Pre-Competitive Space“ seine Einwände einbringen, um zu verhindern, dass diese dann bei Markteinführung nicht zu „Projekt-Killern“ werden. Ein digitales Analogon dazu wäre jedenfalls die Umsetzung des elektronischen Impfregisters gewesen: „Hier haben wirklich alle Stakeholder gemeinsam daran gearbeitet, ein Projekt von der Finanzierung bis zur Nutzung sinnvoll umzusetzen und für die Fläche zu entwickeln“, betonte Bayer. Das habe gezeigt, wie wichtig die Einbindung der Ärzte, die mit diesen digitalen Prozessen und Tools täglich arbeiten, sei.

Als nächstes großes Projekt stehe nun die so genannte automatisierte Diagnoseerfassung durch niedergelassene Ärzte im Raum. Ähnlich wie im Spitalsbereich sollen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte – mit und ohne Kassenvertrag – künftig die Diagnosen digital erfassen: „Hier bedarf es der sinnvollen Umsetzung einer patientenorientierten Diagnoseerfassung, die für wissenschaftliche Forschungszwecke, aber auch zur Erfassung der Volkskrankheiten oder Sekundärdatennutzung verwendet werden können“, sagte Bayer. So sei beispielsweise ein Allergieregister möglich.

Sinnvolle Rahmenbedingungen notwendig

Moussa ergänzte, dass von künstlicher Intelligenz manche Fachrichtungen wie Radiologie und Pathologie mehr betroffen seien als andere. Das Wichtigste sei aber nach wie vor, dass   digitale Tools und KI die Arbeit in den Ordinationen unterstützen und nicht zusätzlich belasten. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen – begonnen bei zuverlässiger und vertrauenswürdiger Technologie bis hin zu klaren rechtlichen Spielregeln – dann sei die Akzeptanz digitaler Medizin in der Ärzteschaft voll gegeben, ist Moussa überzeugt. Bereits jetzt seien einige Tools im Alltag integriert, Stichwort Patientendokumentationssysteme: „Abseits davon haben wir aber auch schon Gesundheitsapplikationen, Sensoren und Monitoring-Systeme bis hin zu Künstlicher Intelligenz und Robotic, die wir in der Medizin nutzen“, sagte Moussa. Ob e-Health zum Einsatz komme, hänge aber einerseits von der digitalen „Reife“ der Gesundheitsdienstleister ab, aber auch von der digitalen Inklusion der Patienten: „Der digitale Zugang muss jedenfalls niederschwellig und barrierefrei möglich sein“, betonte der Allgemeinmediziner. Wichtig sei, dass Ärzte die digitale Transformation aktiv mitgestalten: „Es braucht praktikable und anwenderfreundliche digitale Lösungen, damit wir diese auch problemlos in unseren ärztlichen Alltag integrieren können“, sagte Moussa.

Um den Einsatz von digitaler Medizin in die Flächenversorgung zu integrieren, sollen laut den beiden e-Health-Experten folgende Rahmenbedingungen umgesetzt werden:

  • Investitionen in die nationale Gesundheitstelematik-Infrastruktur (GTI) in Form einer „e-Health-Milliarde“ mit dem flächendeckenden Ausbau von zentralen Komponenten, Breitbandnetzen und Anwendersoftware als Basis für den Einsatz von Telemedizin
  • Schaffung moderner rechtlicher Rahmenbedingungen durch ein „Digital Health Zukunftsgesetz“, wie international üblich, mit klarer Regelung der Finanzierung abseits des planwirtschaftlichen Finanzausgleiches und mit der Ermöglichung der Nutzung der Daten für die Forschung
  • Abstimmung einer nationalen e-Health Roadmap für die Implementierung telemedizinischer Anwendungen und Leistungen. Dazu braucht es die verbindliche Festlegung der erforderlichen Maßnahmen, der Finanzierung sowie Erstellung eines Zeitplans für die Umsetzung in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Ärztekammer
  • Schaffung und Ausbau eines Digitalen Gesundheitspfades Österreich inklusive Weiterentwicklung der etablierten Infrastruktur (Bilddaten und mobile Anbindung an ELGA) mit zentralen e-Health Registerfunktionen (wie e-Impfpass)
  • Schaffung eines nationalen Kompetenzzentrums, welche die erforderlichen Qualitäts- und Zertifizierungs-Standards festlegt und überprüfen kann
  • Sicherstellung der Interoperabilität der e-Health-Infrastruktur und Verwendung von internationalen Standards (Patient Summary) und Terminologien (z.B. SNOMED)
  • Erstattung von digitalen Gesundheits-Apps Med (DiGA-Med) als Teil der integrierten Versorgung, welche Ärztinnen und Ärzte verschreiben können und die unter dem Motto „App per Rezept“ über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden
  • Integration von Telemedizin und e-Health als integraler Bestandteil des Medizinstudiums
  • Zusammenführung der drei staatlichen IT-Firmen unter ein Dach und Schaffung einer digitalen Gesundheitsbehörde, wie im Europäischen Raum für Gesundheitsdaten (EHDS) vorgesehen, idealerweise wäre das die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG). Die Stelle muss mit genügend Finanzmitteln ausgestattet werden, um ihren Aufgaben auch nachkommen zu können

Webtipp

Österreichweit sind schon einige e-Health-Projekte in Umsetzung – teilweise als Pilotprojekte, teilweise bereits in den Regelbetrieb übernommen. Die Österreichische Ärztekammer hat auf ihrer Webseite eine Auflistung der größten Projekte: www.aerztekammmer.at/ehealth.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2024

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