NEUE SERIE – E-Health und Digitale Medizin – dHealth 2024: Digital-Debüt setzt Maßstäbe

24.05.2024 | Politik

Erstmals präsentierte sich die Österreichische Ärztekammer mit einem eigenen Programmpunkt bei der Fachtagung „dHealth“. Die ebenso informativen wie aufschlussreichen Inhalte eroberten das Publikum im Sturm.

Sascha Bunda

Mit über 300 Teilnehmern aus Wissenschaft, Industrie, Verwaltung und Gesundheitsorganisationen ist die Jahreskonferenz für Gesundheitsinformatik „dHealth“ längst ein Fixstern am e-Health-Firmament geworden. Für die Ausgabe 2024 im Wiener Schloss Schönbrunn beteiligte sich auch die Österreichische Ärztekammer als Partner mit einem höchst attraktiven Programm – zum einen, um den Stellenwert des Themas als ärztliche Tätigkeit zu unterstreichen, zum anderen als Dokumentation von Innovationsgeist und Pionierleistungen der österreichischen Ärzteschaft.

Den Auftakt des 90-minütigen Programms im gut gefüllten Raum 1, quasi dem Center Court der Veranstaltung, bildete die Beschäftigung mit den Grundlagen. Gerade die rechtliche Dimension der Telemedizin ist ein wesentliches Kriterium für die Akzeptanz. Johannes Zahrl, neben seiner Direktorenfunktion in der Österreichischen Ärztekammer auch einer der führenden Medizinrechtsexperten des Landes, bot einen entsprechend fundierten, aber dennoch keinesfalls trockenen Einblick in das juristische Reglement der Telemedizin.

Positive Einstellung

Nach dem rechtlichen Fundament folgte der Schritt in die Praxis: Alexander Moussa, Leiter des ÖÄK-Referates „e-Health in Ordinationen“, befasste sich mit e-Health in der ärztlichen Regelversorgung. Dabei widmete sich Moussa zunächst der Definition und der Historie von e-Health – von den ersten Diagnosen via Radio bis hin zum Da-Vinci-Operationssystem. Moussas Conclusio: Medizin werde generell komplexer, „technischer“ und „mathematischer“. Von künstlicher Intelligenz seien manche Fachrichtungen wie Radiologie und Pathologie mehr betroffen als andere, von zentraler Bedeutung sei jedenfalls, dass digitale Medizin und KI den Workflow in den Ordinationen unterstützen müssen. Als Kernbotschaft für das Publikum formulierte Moussa: „Ärztinnen und Ärzte stehen der digitalen Medizin positiv gegenüber – wenn die Rahmenbedingungen passen.“ Dazu zählen unter anderem die Verwendung von vertrauenswürdiger Technologie und die Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Wie sehr der positive Zugang der Ärzteschaft zur Telemedizin zutrifft, untermauerten die folgenden beiden Vorträge, die sich jeweils mit Vorzeige- und Vorbildprojekten befassten, die sich nach überaus erfolgreichen Pilotphasen gerade mitten in der Ausrollung in anderen Bundesländern befinden. Edith Arzberger, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie, präsentierte das steirische Teledermatologiemodell das seit Jänner 2024 unter „steirischer Leitung“ in ganz Tirol verfügbar ist. Andere Bundesländer wie Oberösterreich und das Burgenland seien bereits in der Planung und sogar die Übernahme des Erfolgsmodells in den Regelbetrieb sei bereits geplant, „jedenfalls in der Steiermark, vielleichtbundesweit“, so Arzberger. Momen Radi, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer für Tirol, stellte das 2012 als Pilotprojekt im Bezirk Innsbruck gestartete „Herzmobil Tirol“ vor. Dieses telemonitorische Versorgungsprogramm ermöglicht Patienten mit drohender oder manifester kardialer Dekompensation eine nachhaltige Stabilisierung der Erkrankung. Patienten übertragen unter anderem über ein eigens programmiertes Smartphone mit spezieller Handy-App ihre Gesundheitsparameter an das Betreuungsteam. Der Erfolg wurde zuletzt 2021 wissenschaftlich untermauert: Die absolute Risikoreduktion in zwölf Monaten beträgt bei Mortalität 16 Prozent. Bei der Wiederaufnahme ins Krankenhaus beträgt die absolute Risikoreduktion nach sechs Monaten neun Prozent. Rein statistisch müssen sieben Patienten für drei Monate betreut werden, um einen Todesfall oder eine Hospitalisierung innerhalb eines Jahres zu verhindern. Weiterentwicklungen wäre etwa im Bereich der so genannten „wearables“, wie smart rings oder smart clothes möglich, so Radi.

Weg in die Flächenversorgung

Nach den vier eröffnenden Vorträgen erwartete die Besucher am ÖÄK-Programmteil eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wie kommt Telemedizin in die Flächenversorgung?“: Johannes Pressl, seit Februar 2024 Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, betonte die Wichtigkeit von zwei Bereichen auf Gemeindeebene: Die niedergelassene Versorgung und die Vorsorge. „In beiden Bereichen kann Telemedizin unterstützen und das Gesundheitsangebot sogar noch verbessern, wenn etwa in der niedergelassenen Versorgung genügend Mediziner Tele-Systeme anwenden und Patienten derart motiviert sind, dass sie diese auch nutzen und dafür vor allem ‚einfache‘ technische Hilfsmittel zur Verfügung haben“, sagte der Gemeindebund-Präsident. Essentiell sei dabei, dass es „sichere“ Verbindungen und einheitliche Sicherheitsstandards, wie etwa ID Austria gebe und damit auch der Datenschutz maximal gewährleistet sei. Im Bereich der Vorsorge sei unter anderem die lebensbegleitende Motivation durch wearables ein Erfolgsfaktor. „Am Ende werden wir einiges probieren und testen müssen, um das ‚Beste‘ und wirklich ‚Anwendbare‘ herauszufinden“, so Pressl.

„Telemedizin ist für mich gerade für die ältere Generation eine probate Möglichkeit, jederzeit und rasch eine Antwort auf gesundheitliche Fragen zu erhalten“, sagte Peter Kostelka, Präsident des Österreichischen Pensionistenverband. Voraussetzung dafür sei jedoch eine entsprechende Kapazität, Warteschleifen als Antwort auf die Nummer 1450 seien keine probate Lösung. Zudem müsse es für die ältere Generation entsprechende Schulungen für die Benutzung dieses Tools entsprechend geben. Hier könnte sich Kostelka etwa Unterstützung durch die Pensionsversicherungsanstalten vorstellen, die ja über Kontaktdaten der Pensionisten verfügen würden. „Vor allem scheint es mir aber wichtig, die Telemedizin nicht als Alternative zum bisherigen Gespräch mit dem vertrauten Arzt darzustellen, sondern sie als zusätzliches Angebot zu verstehen“, postulierte Kostelka. Immerhin würden 75 Prozent der über 70-Jährigen über ein Smartphone und damit über einen Zugang zum Internet verfügen. „Wichtig scheint mir aber auch bei den restlichen 25 Prozent nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie nunmehr schrittweise auf dem Zugang zur medizinischen Hilfe ausgeschlossen werden sollen. Auch aus dieser Sicht kann und soll daher die Telemedizin eine Ergänzung und keine obligatorische Alternative darstellen“, stellte der Pensionistenverband-Präsident klar.

Der Argumentation, dass Telemedizin lediglich Ergänzung, aber kein Ersatz für den Arztkontakt sein könne, schloss sich auch Angelika Widhalm, Vorsitzende des Bundesverband Selbsthilfe Österreich an. Die Vertreterin des Dachverbands der bundesweit tätigen, themenbezogenen Selbsthilfe- und Patientenorganisationen Österreichs war kurzfristig für Patientenanwältin Michaela Wlattnig eingesprungen. Widhalm plädierte auch dafür, bei den technischen Kompetenzen nicht zu generalisieren. Es gebe in jeder Altersgruppe Experten und Verweigerer betreffend technische Neuerungen und Kommunikationsformen.

Roadmap zur Telemedizin

Dietmar Bayer steuerte als Präsident der ÖGTelemed noch ein gehöriges Maß internationale Expertise im eHealth-Bereich zur Podiumsdiskussion bei. Er verwies auf das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern – das deutsche Bundesland leidet eminent unter unbesetzten Kassenstellen, in einem Ausmaß, dass einzelne Landstriche bereits fast schon als „arztfreie Zonen“ gelten. Die demographische Prognose zeichne für die Zukunft sogar ein noch düstereres Bild. Hier könne Telemedizin ein Hoffnungsschimmer für die Bevölkerung sein, so Bayer. Für Österreich dürfe es nie so weit kommen, nahm er unter anderem die Kassen in die Pflicht. Darüber hinaus forderte Bayer eine nationale Roadmap, die mit allen Beteiligten abgestimmt ist, sowie eine Breitbandmilliarde, damit der Zugang zur Telemedizin flächendeckend möglich wird.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2024

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