Thromboseprophylaxe: Frühmobilisation maßgeblich

25.03.2024 | Medizin

Bei der Einschätzung des Risikos für eine venöse Thromboembolie spielen extrinsische und intrinsische Faktoren eine Rolle. So können etwa nach orthopädischen Eingriffen Thrombosen nur zu rund 50 Prozent verhindert werden, weswegen die Frühmobilisation von zentraler Bedeutung ist.

 Martin Schiller

Chirurgische Eingriffe, Erysipel und krankheitsbedingte Bettlägerigkeit über mehrere Tage sind wesentliche Indikationen für Maßnahmen zur Prophylaxe einer venösen Thromboembolie (VTE). Die Prävalenz tiefer Beinvenenthrombosen beträgt ohne Thromboseprophylaxe nach großen urologischen und gynäkologischen Eingriffen bis zu 40 Prozent und nach Hüftfrakturen sowie Hüft- und Kniegelenksersatz bis zu 60 Prozent. Auch bei onkologischen Patienten ist das Risiko für eine Thrombose signifikant erhöht. Art und Umfang eines operativen Eingriffs sowie akute Erkrankungen mit einhergehender Immobilisation stellen die extrinsischen Faktoren zur Einschätzung des VTE-Risikos dar. „Für die Ermittlung des individuellen Thromboserisikos müssen aber auch intrinsische Faktoren wie der Allgemeinzustand, etwaiges Übergewicht und eine möglicherweise angeborene Thromboseneigung einfließen“, erklärt Assoz. Prof. Thomas Gary von der Klinischen Abteilung für Angiologie der Medizinischen Universität Graz. Spontane thrombotische Ereignisse bei Verwandten ersten Grades können ein Hinweis darauf sein, dass eine genetische Veranlagung besteht. Fallweise könne dann eine Thromboseneigungsdiagnostik erwogen werden.

Auch die Einschätzung der aktuellen Mobilität der Betroffenen spielt im Rahmen der Risiko-orientierten VTE-Prophylaxe eine Rolle, wie Judith Traxler von der Abteilung für Dermatologie und Venerologie am Kepler Universitätsklinikum Linz erklärt. „Auch, wenn ein Patient prinzipiell mobil ist, kann es durch eine krankheitsbedingte Phase, vor allem bei Hospitalisierung, zu großen Einschränkungen kommen, wie das etwa bei einer Herpes zoster-Infektion häufig der Fall ist. Bei diesen Patienten wird eine großzügige Prophylaxe durchgeführt.“ Auch auf ältere Menschen mit einer akuten Erkrankung sollte verstärktes Augenmerk gelegt werden. Auch die Dauer der Immobilität spielt eine Rolle. „Sprechen wir über einen Zeitraum von ein oder zwei Tagen, ist das Risiko überschaubar. Ab vier Tagen wird es aber relevant“, sagt Traxler.

Frühmobilisation, medikamentöse Maßnahmen und physikalische Maßnahmen zählen zur VTE-Prophylaxe. Die Frühmobilisation umfasst Bewegungsübungen und die Anleitung zu Eigenübungen. „Patienten sollen animiert werden, im Alltag möglichst viel die Beine zu bewegen“, rät Gary. Thrombosen können nach orthopädischen Eingriffen laut Traxler nur zu rund 50 Prozent verhindert werden. Daher sei es wichtig, früh zu mobilisieren und dem Patienten die vorbeugende Wirkung der Venenpumpe zu vermitteln.

Heparin fallweise höher dosieren

Bei der medikamentösen Thromboseprophylaxe kommen in erster Linie subkutan verabreichte Heparine zum Einsatz. Standardmäßig wird Enoxaparin oder auch ein anderes äquivalentes Heparin wie Dalteparin in einer Dosierung von einmal täglich 4.000 IE angewendet. „Bei stark übergewichtigen Personen kann diese Dosierung allerdings zu niedrig sein“, merkt Gary an. In solchen Fällen werde auf andere Dosierungsschemata umgestellt, häufig auf einmal täglich 6.000 IE subkutan. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Enoxaparin-Dosis wegen der Gefahr der Kumulation reduziert werden. „Die Therapie wird daher durch Kontrolle der anti-Faktor-Xa-Aktivität überwacht“, berichtet Traxler. Bei schweren Nierenfunktionsstörungen ist die Verabreichung von Enoxaparin kontraindiziert.

Bei Heparin-Unverträglichkeit empfehlen Traxler und Gary auf Fondaparinux zu wechseln. Der Einsatz des Faktor Xa-Inhibitors kann auch bei Patienten mit Anämie und bei der selten auftretenden Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) erwogen werden. „Ist Enoxaparin aufgrund einer Niereninsuffizienz kontraindiziert, stellt Fondaparinux allerdings keine Alternative dar“, betont Traxler. Weiters stehen auch die NOAKs Rivaroxaban und Apixaban bei der medikamentösen Thromboseprophylaxe zur Verfügung. „Diese NOAKs sind bei Hüft- und Kniegelenksendoprothetik eine oral einzunehmende Alternative“ sagt Gary. Gleiches gelte für den Thrombin-Inhibitor Dabigatranetexilat.

Kompression: schwache Daten

Physikalische Maßnahmen sind der medikamentösen Prophylaxe nachgereiht. Sie umfassen vorwiegend medizinische Thrombose-Prophylaxestrümpfe (MTPS) als Oberschenkel-oder Wadenstrumpf und seltener die intermittierende pneumatische Kompression (IPK). Gary verweist auf die schwache Datenlage zu Kompressionsstrümpfen, „weil Studien dazu fehlen“. Traxler gibt für die Anwendung zu Hause zu bedenken, dass vor allem ältere Menschen oft Probleme mit dem An- und Ausziehen des Strumpfes hätten. Im Sommer sei das Tragen der Strümpfe außerdem für viele Patienten unangenehm. Verordnet wird der Kompressionsstrumpf nach einer akuten Thrombose, um die Wahrscheinlichkeit für ein postthrombotisches Syndrom zu verringern. Dazu gebe es auch belastbare Daten. Kontraindiziert sind medizinische Thromboseprophylaxe-Strümpfe bei PAVK-Patienten.

Die Strumpflänge hat bei der medizinischen Thromboseprophylaxe laut Traxler keinen signifikanten Einfluss auf die Wirksamkeit der VTE-Prophylaxe. Aufgrund der einfacheren Anwendbarkeit rät sie daher zu wadenlangen Strümpfen. Außerdem sei die Kompression am Oberschenkel in vielen Fällen weniger effektiv: „Für eine wirksame Kompression soll der Strumpf eng sitzen. Durch die Weitung am Oberschenkel verrutschen sie aber, und der notwendige Druck wird nicht immer ausgeübt.“

Bei der intermittierenden pneumatischen Kompression werden über luftgefüllte Manschetten Wechseldrucke eingesetzt, um den Blutkreislauf im Bein laufend zu aktivieren. „Die Methode weist eine gute Datenlage auf“, sagt Gary, was allerdings nur für die Prophylaxe gilt. Kommt es zu einer Thrombose, birgt die intermittierende pneumatische Kompression jedoch die Gefahr einer Embolie. Kontraindiziert ist die Anwendung weiters bei Herzinsuffizienz, PAVK, schwerer Hypertonie, offenen Wunden, Erysipel, Phlegmone und okkludierenden Prozessen im Lymphabstrom-Bereich.

Medikamentöse Reiseprophylaxe

Auf Reisen erfolgt eine medikamentöse VTE-Prophylaxe mit Heparin bei Vorliegen von Risikofaktoren wie vorangegangenen Thrombosen oder fortgeschrittener Varikose. „Neigt eine gesunde Person ohne Risikofaktoren bei langen Autofahrten zum Venenstau, kann ein Kompressionsstrumpf versucht werden. Die Indikation für eine Thromboseprophylaxe besteht jedoch nicht“, sagt Gary. Flugreisen ab einer Dauer von zehn Stunden gelten jedoch als Thrombose-gefährdend. „Bei einem Transatlantikflug ist eine Thromboseprophylaxe bei zusätzlichen VTE-Risikofaktoren indiziert“, so der Experte.

Weitere präventive Maßnahmen im Alltag sind ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Mobilität. Personen mit Bürotätigkeit empfiehlt Gary, einmal pro Stunde aufzustehen und sich kurz die Beine zu vertreten. Auch wippende Bewegungen mit den Waden können durchgeführt werden, um die Muskulatur zu aktivieren. „Der Thrombose-förderliche Faktor schlechthin ist die eingeschränkte Mobilität“, betont er abschließend.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2024