Studie zur Resilienz in Gesundheitskrise: Effekt auf Behandlungsqualität

25.06.2024 | Medizin

Eine neue Studie zeigt, dass individuelle Resilienz Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, die Behandlungsqualität auch in Krisenzeiten wie der COVID-19-Pandemie sicherzustellen. Als Studienkohorte dienten Absolventen eines ÖÄK-Psy-Diploms.

Martin Schiller

Während der COVID-19-Pandemie haben laut Studien Stress und Burnoutraten bei Ärzten erheblich zugenommen; das Risiko für Depressionen und Angststörungen ist gestiegen. In den vergangenen Jahren hat sich das Konzept der Resilienz im Arztberuf nachweislich als eine der möglichen Strategien gegen Burnout etabliert. In der Literatur gab es bislang Hinweise darauf, dass sich die individuelle Resilienz auch positiv auf die Behandlungsqualität im Rahmen einer Gesundheitskrise wie der COVID-19-Pandemie auswirken könnte. Den ersten empirischen Beleg dafür konnte Priv. Doz. Christian Fazekas von der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Graz mit seinem Team in einer kürzlich veröffentlichten Studie* erbringen. Diese wurde in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Ärztekammer, der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM) und der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt konzipiert. „Es handelt sich um die erste Studie, die untersucht hat, inwieweit es Ärzten durch individuelle Resilienz gelingt, die Behandlungsqualität in einer solchen Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie sicherzustellen“, erläutert Fazekas die Forschungsfrage und ergänzt: „Ziel war es auch, herauszufinden, ob die Psy-Diplom-Weiterbildung der  Österreichischen Ärztekammer dazu beiträgt, diese Resilienz aufzubauen und, ob auch unabhängig von der Resilienz, ein Mehr an Psy-Diplom-Weiterbildungshintergrund die Behandlungsqualität zu sichern hilft.“

Als Studienkohorte wurden Ärzte ausgewählt, die mindestens eines der drei ÖÄK-Psy-Diplome absolviert hatten. „Diese Weiterbildung umfasst unter anderem resilienzfördernde Aktivitäten, Selbsterfahrung, Supervision und Schulung im Einsatz der eigenen Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit schwierigen Situationen“, erklärt Fazekas den Hintergrund. Die Einladung zur Teilnahme an der Studie erfolgte in Kooperation mit den Landesärztekammern. Die finale Stichprobe bestand aus 229 Personen (159 weiblich, 70 männlich); davon waren 42,5 Prozent in der Allgemeinmedizin tätig, 28,1 Prozent in der Psychiatrie, sieben Prozent in der Inneren Medizin sowie 22,4 Prozent in anderen Fachrichtungen. Die Studie begann zeitnah nach dem Ende des ersten Lockdowns im Juli 2020.

Zur Ermittlung der Resilienz wurde die deutsche Version der Connor-Davidson Resilience Scale (CD-RISC) angewendet. Die Skala basiert auf zehn Items im Umgang mit belastenden Situationen:

  • Ich bin fähig, mich anzupassen, wenn sich etwas verändert.
  • Ich komme mit allem klar, was sich mir in den Weg stellt.
  • Wenn ich mit Problemen konfrontiert bin, versuche ich dies mit Humor zu sehen.
  • Der Umgang mit Stress kann mich stärken.
  • Ich neige dazu, mich nach Krankheit, Verletzungen oder anderen Missgeschicken wieder gut zu erholen.
  • Auch wenn es Hindernisse gibt, bin ich der Meinung, meine Ziele erreichen zu können.
  • Wenn ich unter Druck stehe, bleibe ich fokussiert und denke klar.
  • Wenn ich versage, lasse ich mich nicht leicht entmutigen.
  • Wenn es um den Umgang mit Herausforderungen des Lebens und allgemeine Schwierigkeiten geht, schätze ich mich als starke Person ein.
  • Ich bin fähig, mit unerfreulichen und schmerzhaften Gefühlen wie Traurigkeit, Angst und Wut umzugehen.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen eine positive Assoziation des Trainingshintergrundes der Teilnehmer mit individueller Resilienz. Die Abfrage umfasste außerdem die Beantwortung von Qualitätsindikatoren. „Ein Indikator lautet: Ist es möglich, bei all meinen Patienten eine hohe Behandlungsqualität sicherzustellen? Diese Frage haben Ärzte mit mehr Background im Bereich der Psy-Diplom-Weiterbildung weitaus häufiger als ‚völlig zutreffend‘ oder ‚zutreffend‘ beantwortet“, berichtet Fazekas über die Ergebnisse. Als weitere Qualitätsindikatoren wurden die angemessene Zeit mit Patienten, die professionelle Autonomie („Ich hatte/habe die Freiheit, klinische Entscheidungen zu treffen, die den Bedürfnissen der Patienten entsprechen“) sowie die Jobzufriedenheit abgefragt. Die Angaben mussten jeweils für drei Zeiträume erfolgen: Vor der COVID-19-Krise, während des ersten Lockdowns und zum Zeitpunkt der Erhebung im Juli 2020.

„Wir haben die Pandemie als biologische, psychische und soziale Krise nicht nur für Patienten und die Gesellschaft, sondern auch für Ärzte und das Gesundheitssystem insgesamt interpretiert. Vor diesem Hintergrund zeigen die Studienergebnisse sowohl den eigenständigen Mehrwert der Psy-Diplome als auch eigenständigen Mehrwert erhöhter Resilienz deutlich“, fasst Fazekas die Hauptresultate zusammen. Die Psy-Diplome würden dabei unterstützen, verstärkt auf eigene Handlungsmöglichkeiten zuzugreifen. Im qualitativen Teil der Studie hätten die Teilnehmer auch berichtet, dass sie die in der Weiterbildung erlernten Werkzeuge häufiger einsetzen. „Dies ist ein deutlicher Hinweis, dass diese Tools in einer Krisensituation wirklich in die Praxis umgesetzt werden“, folgert Fazekas.

) Fazekas C et al., Physician resilience and perceived quality of care among medical doctors with training in psychosomatic medicine during the COVID-19 pandemic: a quantitative and qualitative analysis. BMC


Priv. Doz. Christian Fazekas über…

… das Besondere an der Studie: „Sie beinhaltet nicht nur quantitative Fragestellungen, sondern wir haben auch qualitativ untersucht, etwa in Form der Frage nach den drei schwierigsten beruflichen Herausforderungen in der COVID-19-Krisenzeit. Über die Zusammenschau dieser Daten konnten wir nochmals eine Validierung der quantitativen Ergebnisse erzielen.“

… die zentrale Schlussfolgerung: „Die Psy-Diplome sind eine empfehlenswerte Weiterbildung – sowohl im Sinne von Self-Care zur Erweiterung der eigenen Handlungsmöglichkeiten als auch, weil sie einen Benefit für das Gesundheitssystem zur Verfügung stellen. Die öffentliche Wahrnehmung der zahlreichen Stunden, die für diese Weiterbildung aufgewendet werden, ist derzeit noch ausbaufähig. Wichtig sind natürlich auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, die Resilienz ermöglichen.“

Fakten zu den ÖÄK-Psy-Diplomen

Die Psy-Diplome Psy1, Psy2 und Psy3 sind drei aufeinander aufbauende Weiterbildungsdiplome für Allgemeinmediziner und Ärzte aller Fachrichtungen:

  • Psychosoziale Medizin (Psy1): Dauer circa ein Jahr, Umfang 190 UE
  • Psychosomatische Medizin (Psy2): Dauer circa zwei Jahre, Umfang 480 UE
  • Psychotherapeutische Medizin (Psy3): Dauer drei bis vier Jahre, Umfang 1.870 UE

Mit Stichtag 17. Jänner 2024 haben 1.511 Ärzte das ÖÄK-Diplom für Psychotherapeutische Medizin erworben, 2.113 Ärzte das ÖÄK-Diplom für Psychosomatische Medizin und 2.898 das ÖÄK-Diplom für Psychosoziale Medizin.


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2024