Schwerpunkt Kardiologie – Interview Georg Delle Karth: ÖKG-Jahrestagung – Viele Fortschritte in der Kardiologie

10.05.2024 | Medizin

Im Vorfeld der Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft spricht Kongresspräsident Priv. Doz. Georg Delle Karth, Leiter der Abteilung für Kardiologie an der Klinik Floridsdorf, im Interview mit Martin Schiller über die unterstützende Funktion von KI, Neuerungen in den ESC-Leitlinien und neue Studiendaten zur Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom.

Nach dem Motto der Jahrestagung „Von persönlicher Erfahrung bis zur künstlichen Intelligenz“: Welchen Einfluss auf die Kardiologie sehen Sie durch den Einsatz von KI? Künstliche Intelligenz wird die Kardiologie auf mehreren Ebenen beeinflussen. Bei Diagnosetools, etwa Echokardiografie, MRT und CT, wird KI bei der Interpretation von Bilddaten unterstützen. Sie kann uns vermutlich auch bei der Generierung von Bilddaten anleiten. Das EKG wird durch KI an Stellenwert gewinnen, weil damit andere Interpretationsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Diese ergeben sich aus der Quervernetzung von Millionen Daten aus anderen EKGs. Medizinerinnen und Mediziner werden durch KI unterstützt, aber die Umsetzung bleibt in unseren Händen. Wir werden allerdings mehr Zeit für Klinik, Wissenschaft und Ausbildung gewinnen.

Vergangenes Jahr wurden neue ESC-ACS-Leitlinien vorgestellt. Welche wichtigen Neuerungen gibt es hier? Die Neufassung der ESC-Guidelines ist als innovativ einzustufen, weil nicht nur der ST-Hebungsinfarkt (STEMI) beleuchtet wird, sondern auch der Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI). Damit wird nun das gesamte Spektrum des akuten Koronarsyndroms in einem Leitliniendokument abgedeckt. Es sind auch neue Betrachtungsweisen integriert. Bei STEMI etwa wird das Preloading mit einer potenten plättchenhemmenden Substanz wie Prasugrel oder Ticagrelor nicht mehr so stark empfohlen – das ist ein sehr interessanter Aspekt. Bei NSTEMI soll ja ein Preloading zwar noch mit Aspirin, nicht mehr aber mit potenten Thrombozytenaggregationshemmern erfolgen. Bezüglich NSTEMI ist in den Guidelines auch neu, dass nicht mehr jeder Patient innerhalb von 24 Stunden ins Katheterlabor gebracht werden muss, sondern eine individuelle Risikostratifizierung erfolgen soll.

Welche neuen Erkenntnisse gibt es zur Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom? Neue Studiendaten zeigen, dass die Revaskularisation beim chronischen Koronarsyndrom nicht den gleichen Stellenwert hat wie bei der akuten Form. Es entscheidet vielmehr das aktuelle klinische Bild des Patienten: Ist er stabil eingestellt, besteht keine Angina pectoris und liegen keine sonstigen kardiologischen Beschwerden vor, dann ist laut neuer Datenlage die Revaskularisation nicht mehr im Vordergrund. Anders verhält es sich, wenn der Patient symptomatisch ist oder rezidivierende ischämische Attacken hat.

Wie hat sich die Datenlange zur Langzeit-Haltbarkeit von TAVI-Prothesen zuletzt entwickelt? Mittlerweile stehen robuste Langzeitdaten über Zeiträume von fünf und zehn Jahren zur Verfügung. Es stellt sich dabei immer deutlicher heraus, dass TAVI-Prothesen eine ähnliche Haltbarkeit wie chirurgisch eingesetzte Herzklappen aufweisen. Das schafft Zuversicht und eröffnet die Diskussion über die Bedeutung und den möglichen Einsatz von TAVI-Prothesen auch für jüngere Patienten.

Gibt es auch Fortschritte in der Therapie der Trikuspidalklappeninsuffizienz? Eine Katheter-Reparatur der Trikuspidalklappe ist möglich. Allerdings hat eine Studie mit Triclip nicht die Ergebnisse gebracht, die erhofft wurden. Die Methode hat zwar prinzipiell funktioniert und es zeigten sich gute Ergebnisse im Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire (KCCQ-12), aber die Patienten haben bei harten Endpunkten gegenüber einer konservativen Therapie nicht so profitiert wie erwartet. Wir sind hier also noch nicht am Ziel und benötigen noch mehr Erfahrungswerte.

Eine Session auf der Jahrestagung wird sich der inflammatorischen Kardiomyopathie widmen. Welche Fragestellungen stehen derzeit besonders im Fokus? Bei der inflammatorischen Kardiomyopathie ist derzeit noch offen, in welchen Fällen immunstärkend therapiert wird und wann immunsuppressiv interveniert werden sollte. Ziemliche Einigkeit besteht mittlerweile darin, dass bei einer fulminanten Myokarditis ein Maximum an Diagnostik – inklusive Biopsie – gerechtfertigt ist, um Sicherheit zu erhalten, ob eine inflammatorische oder eine autoimmunologische Genese vorliegt. Für die therapeutische Vorgangsweise bieten neue Guidelines zu Kardiomyopathien, die beim letzten ESC-Kongress vorgestellt worden sind, eine gute Orientierung. Hier wurden erstmals alle Formen – auch verschiedene Subformen – behandelt.

Welche Fortschritte macht die Therapie der obstruktiven Kardiomyopathie? Vergangenes Jahr wurde eine neue Behandlungsmethode bei hypertropher obstruktiver Kardiomyopathie zugelassen. Es handelt sich um einen Myosin-Inhibitor, der ein völlig neues Kapitel in der Therapie aufschlägt. Bisher konnten wir Patienten nur wenige Optionen anbieten und chirurgische Eingriffe waren als risikoreich einzustufen.

Wie sieht die derzeit gängige Vorgangsweise hinsichtlich Antikoagulation bei Vorhofflimmern aus? Es ist wichtig, die Nutzen-Abwägung gemeinsam mit dem Patienten zu treffen. Die Antikoagulation stellt bei Vorhofflimmern eine Prävention für Schlaganfälle dar, weshalb gleich bei Erst-Diagnose eine individuelle Risikostratifizierung erfolgen soll. Neuere Studiendaten, die beim ESC-Kongress 2023 präsentiert wurden, mahnen eher zur Zurückhaltung bei subklinischer Vorhofflimmer-Episode: Sie zeigen, dass bei häufigeren atrial high-rate episodes nicht unbedingt antikoaguliert werden muss, da keine signifikante Effektivität besteht – das ist ein wichtiger, neuer Aspekt.

Welche weiteren spannenden Erkenntnisse aus der Kardiologie gab es kürzlich noch? Auf dem ESC-Jahreskongress wurden interessante Daten zur interventionellen Behandlung von Vorhofflimmern präsentiert. Sie zeigen, dass bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz eine Ablation in Form von Pulmonalvenenisolation und auch Substratmodifikation sinnvoll ist. Das verbessert nicht nur die Symptomatik, sondern hat bei vielen Patienten auch einen günstigen Einfluss auf die Prognose. Der Stellenwert der interventionellen Behandlung nimmt jedenfalls zu – nicht nur bei stabilen Patienten, bei denen die Symptomatik verbessert werden soll, sondern auch bei Herzinsuffizienz-Patienten, bei denen man versucht, die Überlebensraten zu verbessern. Eine Studie hat vergangenes Jahr dargelegt, dass diese Patienten weniger häufig ein Unterstützungssystem oder eine Transplantation benötigen. Aber das ist nur eine Studie, welche unsere Praxis tatsächlich verändert. Mittlerweile wurden auch beim ACC bahnbrechende Studien publiziert wie über den positiven Einsatz der mikroaxialen Flusspumpe (Impella) bei Patienten im infarktbedingten kardiogenen Schock, über den erfolgreichen Einsatz der TAVI-Prothesen bei Niedrigrisikopatienten im Vergleich zur Chirurgie und vieles mehr. Unser jährlicher Kongress wird auf alle diese Themen eingehen und ich freue mich auf einen regen Austausch, wie wir damit in der Praxis umgehen.


Jahrestagung der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft

29. Mai bis 1. Juni 2024
Salzburg-Congress


© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2024


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