Portrait Aglaja Kopf: Wenn Zellen miteinander sprechen

14.08.2024 | Medizin

Die Molekularbiologin Aglaja Kopf bekam das L‘Oréal-Stipendium „For Women in Science“ zur Erforschung der Interaktion von Struktur- und Immunzellen in Granulomen. Dabei richtet sie ihren Fokus auf die Bindegewebszellen als Entzündungstreiber.

Ursula Scholz

Aglaja Kopf zählt zu den wenigen Personen, denen der erfolgreich absolvierte Aufnahmetest sowohl ein Studium der Humanmedizin als auch der Zahnmedizin ermöglich hätte, und die dann doch ein anderes Fach gewählt haben. Ihre Faszination für die Medizin und das Anliegen, mit ihrer Forschung klinisch relevante Ergebnisse zu erzielen, lebt sie nun als Molekularbiologin mit medizinischem Fokus aus.

„Ich habe mir mein Studium mit zwei Nebenjobs selbst verdient – mit Verkauf am Wochenende und Labortätigkeit unter der Woche“, erzählt Aglaja Kopf. „Die Berufstätigkeit wäre mit einem Medizinstudium nicht kombinierbar gewesen. Also habe ich Molekularbiologie gewählt, weil dieses Fach auch berufsbegleitend zu studieren ist.“

Früh Laborluft geschnuppert

Im Biochemie-Zweig der HTL für Chemieingenieure in Wien hat sich Kopf seinerzeit jenes Basiswissen erworben, das es ihr ermöglichte, bereits während der Schul- und Studienzeit als Labortechnikerin in einem auf T-Zellen-Differenzierung spezialisierten Labor der MedUni Wien tätig zu sein. Kopf bekam dort nicht nur Einblick in den Wissenschaftsbetrieb, sondern entwickelte auch eine Leidenschaft für die Arbeit mit Immunzellen. Zusätzlich inspiriert wurde sie auf ihrem beruflichen Werdegang vom renommierten Genetik-Professor Markus Hengstschläger. „Wir wissen noch so wenig über die grundlegenden zellulären Mechanismen unseres Immunsystems, deshalb setzen bisherige Therapien bei entzündlichen Erkrankungen noch ziemlich oberflächlich an“, erläutert Kopf. „Ich hingegen möchte die Vorgänge gerne auf zellulärer Ebene verstehen, um daraus alternative Therapiemöglichkeiten zu entwickeln.“ Die Wissenschafterin startete ihre berufliche Karriere in der Grundlagenforschung, am Institute of Science and Technology Austria (IST), wo sie in der Gruppe von Michael Sixt die Fortbewegungsmechanismen von Leukozyten erforschte, wie sie sich zielsicher durch das Gewebe bewegen und was ihnen die Kraft dazu gibt. Für ihre Dissertation zu diesem Thema wurde sie mit dem PhD-Award der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGMBT) ausgezeichnet. Dies blieb aber nicht ihre einzige Auszeichnung.

Fokus auf Strukturzellen

Seit Herbst 2020 fokussiert sich Kopf in der Forschungsgruppe von Univ. Prof. Georg Stary an der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien und am Zentrum für Molekulare Medizin (CeMM) auf die Interaktion von Struktur- und Immunzellen in Granulomen, insbesondere bei Sarkoidose. „Ich wollte nach dem Doktorat wieder in die angewandte Immunologie zurückkehren und mich klinischen Fragestellungen widmen.“ Das L‘Oréal-Stipendium „For Women in Science“ erhielt sie für die Erforschung dieser „Cell Specific Interactions in Granulomas“. Die 25.000 Euro Preisgeld investierte sie in die Vorbereitung eines entsprechenden Forschungsantrags, der zwischenzeitlich bereits genehmigt wurde.

Die Granulome der Haut, denen sich Kopf nun widmet, haben den Vorteil, dass man direkt mit betroffenen Zellen arbeiten kann, weil das Organ leicht zugänglich ist. Noch ist die Genese der Sarkoidose ungeklärt. Ein Drittel der Fälle heilt spontan aus, ein weiteres Drittel ist durch reguläre Therapie mit Corticosteroiden in den Griff zu bekommen. Das letzte Drittel jedoch nimmt einen schweren Verlauf inklusive Gewebefibrose und bis hin zum Transplantationsbedarf.

Während sich die bisherige Granulom-Forschung zumeist mit der Rolle der Immunzellen befasst hat, richtet Kopf ihren Fokus auf die Bindegewebszellen als Entzündungstreiber. Sie sucht nach jenem Mechanismus, mit dem die Strukturzellen die Immunzellen in ein höheres Aktivitätsniveau treiben.

Selbst wenn die Molekularbiologin unbegrenzte Ressourcen für ihre Forschung zur Verfügung hätte, meint sie, sähe ihr Arbeitsalltag nicht sehr anders aus als jetzt: „Ich würde die Rolle der Bindegewebszellen in verschiedenen Erkrankungen erforschen, wie sie andere Zellen aktivieren und wie sie sich mit ihren speziellen Eigenschaften auf das umliegende Gewebe auswirken.“ Gerne würde sie dazu – wie seinerzeit als Doktorandin – wieder mit hochauflösender Mikroskopie arbeiten.

Raus aus der Bubble

Nach der Geburt ihres zweiten Kindes wollte Aglaja Kopf einmal aus der naturwissenschaftlichen Bubble ausbrechen und absolvierte in den Jahren 2021 und 2022 an der California Lutheran University in Thousand Oaks in den USA noch einen Master of Business Administration. Das Bedürfnis nach einem Tapetenwechsel war groß geworden und Kopf genoss das amerikanische Mindset in ihrem Umfeld, das sie nach wie vor für innovativer hält als das europäische.

Mit ihrem zusätzlichen Studium beabsichtigte sie nicht nur, ihr Interesse für ökonomische Zusammenhänge zu pflegen, sondern auch, sich auf eine mögliche zukünftige Führungsposition vorzubereiten. In ein paar Jahren eine eigene Forschungsgruppe zu leiten, gehört durchaus zu ihren beruflichen Zielen. „Vieles, das ich in den USA gelernt habe, ist mir aber auch jetzt schon im wissenschaftlichen Alltag nützlich: bewusste Kommunikation, Verhandlungsstrategien entwickeln und Teambuilding.“

Wider die Selbstzweifel

Mit Führungskompetenzen von Frauen beschäftigt sich Aglaja Kopf auch auf ganz andere Weise, nämlich als Co-Gründungsmitglied der Initiative STEM fatale, die sich dem Mentoring von Frauen in MINT-Fächern verschrieben hat. „Im vorelterlichen Dasein war mir nicht so bewusst, welchen strukturellen Benachteiligungen Frauen im Wissenschaftsbetrieb immer noch ausgesetzt sind“, erzählt Kopf. „Mutter zu werden war da eine deutliche Zäsur. Deshalb ist es mir so wichtig, anderen naturwissenschaftlich forschenden Frauen zu vermitteln, dass es ein Netzwerk gibt, auf das sie zurückgreifen können. Niemand muss da alleine durch.“ Neben zahlreichen Vorträgen und Seminaren mit erfolgreichen Wissenschafterinnen hat STEM fatale auch eine Umfrage organisiert, welche Faktoren Forscherinnen aus dem MINT-Bereich daran hindern, sich um Führungspositionen zu bewerben. „Das erschreckende Ergebnis lautet, dass Frauen noch immer unter massiven Selbstzweifeln leiden und sich diese Positionen schlichtweg nicht zutrauen.“ Kopf hofft, dass ihre heute vierjährige Tochter zum Zeitpunkt ihres Berufseinstiegs dann schon ein egalitäres berufliches Umfeld vorfinden wird.

Alles, nur keine Ineffizienz

„Ich bin eine leidenschaftliche Prozess-Optimiererin“, bekennt Aglaja Kopf. „Ineffizienz halte ich gar nicht aus. Wahrscheinlich erfordert ein Berufsleben mit ständigen Kurzzeitverträgen diese Art von Effizienz.“ Ihre beiden Kinder setzen einen Kontrapunkt dazu und lehren sie Geduld. Im Familienleben hat nicht die Effizienz oberste Priorität.

Möchte Aglaja Kopf den Alltag zwischendurch hinter sich lassen, geht sie in den Wald laufen oder macht Yoga. Da ihr Wohnort an den Wienerwald grenzt, ist der Wald nie weit, wenn sie ihn braucht, um ihren Stresslevel zu senken. Dabei läuft sie – wie in ihrer Karriere – auch gerne bergauf.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2024