Humane Tollwut: Fledermäuse als Virusreservoir

10.02.2024 | Medizin

Humane Tollwutfälle durch infizierte Fledermäuse traten bisher in Europa vereinzelt auf. Im September 2023 wurde nun erstmals in Österreich ein Tollwutvirus in einer Fledermaus nachgewiesen.

Martin Schiller

Der Nachweis des Bat Lyssavirus 1 (EBLV-1) im Gehirn einer Breitflügelfledermaus im September 2023 ist der erste bestätigte Fledermaus-Tollwutfall in Österreich. Am  Nationalen Referenzlabor für Tollwut an der AGES in Mödling wurden seit 2006 mehr als 1.750 Fledermäuse auf Lyssa-Viren untersucht; bis jetzt allesamt mit negativem Ergebnis. In der Europäischen Union konnten jedoch in der Vergangenheit mehrfach Fledermaus-Tollwutviren nachgewiesen werden: Zwischen 2017 und 2021 wurden Lyssa-Viren bei Fledermäusen in Deutschland, Frankreich, Polen und Spanien registriert. „Es wurden auch schon Antikörper gegen diese Viren in Fleder mäusen in anderen Nachbarländern gefunden. Somit war absehbar, dass auch Österreich einmal betroffen sein wird“, sagt Univ. Prof. Franz Allerberger vom Universitätsinstitut für Klinische Mikrobiologie und Hygiene an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg.

Übertragungen von Tollwut durch Fledermäuse auf den Menschen sind in der EU bisher vereinzelt beschrieben: 1985 verstarb ein Fledermausforscher in Finnland, 2002 gab es einen Fall in Schottland, 2019 trat ein Fall in Frankreich auf. Im Jahr 2022 gab es außerdem einen Bericht über einen Enzephalitis-Todes-fall in Westeuropa, ausgelöst durch EBLV-1. Der Verstorbene war gegenüber einer Fledermaus-Kolonie exponiert gewesen. Eine 2020 erfolgte Übertragung des West Caucasian Bat Lyssa-Virus auf eine Katze in Italien führte zu keinem humanen Folgefall.

Anders stellt sich die Situation auf dem amerikanischen Kontinent dar, wo Fledermäuse sowohl in Nordamerika als auch in Südamerika Reservoir für das klassische Tollwut-Virus sind. „In Europa zirkulieren vor allem EBLV-1 und EBLV-2. Die meisten Fledermäuse sind aber generell frei von Rhabdoviren. In Amerika hingegen zirkuliert das Rabies-Virus, also das klassische Tollwutvirus, in Fledermauspopulationen. Es wird dort vor allem durch Vampirfledermäuse übertragen“, erklärt Allerberger die Unterschiede zwischen den Kontinenten. Laut den US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sind 70 Prozent der humanen Tollwutfälle in den USA durch Exposition mit Tollwut-infizierten Fledermäusen bedingt.

Indikationen für Post-Expositionsprophylaxe

Österreich wurde zwar im Jahr 2008 als frei von terrestrischer Tollwut erklärt; es besteht jedoch grundsätzlich die Möglichkeit einer Infektion durch Fledermäuse (oder durch illegal eingeführte Tiere). Eine Bisswunde oder ein direkter Schleimhautkontakt sowie andere Verletzungen durch eine Fledermaus sind laut dem aktuellen Österreichischen Impfplan 2023/2024 Indikation für eine postexpositionelle Tollwutprophylaxe (PEP). Die bloße Anwesenheit einer Fledermaus im gleichen Raum ist jedoch kein Tollwut-verdächtiger Fledermauskontakt. In einem AGES-Papier zu Tollwut vom Oktober 2023 werden auch herabgefallene Jungtiere, Kot, Harn oder Tiere, die einen Winterschlaf halten, als nicht ausreichend für eine Übertragung des Erregers eingestuft. Gleiches gilt für das Einatmen von Luft in Fledermausquartieren wie zum Beispiel auf Dachböden. Wie schätzt Allerberger die Situation nach dem Nachweis von Tollwutviren aus dem September ein? „Eine gewisse Sorge besteht, wenn man bedenkt, dass viele heimische Dachböden ein Quartier für Fledermäuse sind. Findet ein Kind beispielsweise eine Fledermaus und wird gekratzt, ist eine Virusübertragung durchaus möglich.“ Auch ehrenamtliche Mitarbeiter von Fledermaus-Schutzvereinen sollten sich „vorbeugend impfen lassen“, sagt Allerberger.

Vereinigtes Königreich: andere Sichtweise

In den „Guidelines on managing rabies post-exposure“ (2023) der United Kingdom Health Security Agency wird bei der Anwesenheit einer Fledermaus im gleichen Raum zwischen Fällen innerhalb und außerhalb des Vereinigten Königreichs sowie Irland differenziert. Demnach wird die Anwesenheit einer Fledermaus im Raum einer schlafenden oder intoxikierten Person als Kategorie 2-Exposition eingestuft. Diese Kategorie, in der eine postexpositionelle Prophylaxe empfohlen wird, steht laut dem Österreichischen Impfplan für das Knabbern unbedeckter Haut, das Belecken von verletzter Haut, kleinere Kratzer und nicht-blutende andere Verletzungen. „Die UK-Kategorisierung be-deutet beispielsweise, dass ein solcher Vorfall für eine Person in England keine Konsequenz hätte. Passiert es ihr jedoch in Österreich, wäre sie Kandidat für eine postexpositionelle Prophylaxe.“ In der UK-Leitlinie wird außerdem auf US-amerikanische Zahlen verwiesen, wonach 50 Prozent der humanen Tollwutfälle, die durch Rabies-Viren von Fledermäusen ausgelöst werden, das Resultat von unbemerkten Fledermausbissen sind.

Im Österreichischen Impfplan wird die präexpositionelle Prophylaxe (außer als Reiseimpfung) für „beruflich möglicherweise Exponierte“ empfohlen. Dazu zählen Veterinärpersonal, Tierpräparatoren, Tierpfleger, Tierhändler, Personal der Seuchenhygiene und Personal in einschlägigen Labors oder Impfstoffproduktionsstätten. Außerdem besteht eine Empfehlung für Fledermausforscher sowie Höhlenforscher.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2024